von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 12.02.2017
Unsere Tür ist weit offen
Die Kulturstiftung des Kantons stand 2016 im Mittelpunkt einer heftigen Debatte um ihre Fördermittelvergabepraxis und die Zusammensetzung des Stiftungsrats. Renate Bruggmann ist die neue Präsidentin der Institution. Im Interview erklärt sie ihre Ziele für die Zukunft und was die Stiftung aus der Diskussion des vergangenen Jahres gelernt hat
Interview: Michael Lünstroth
Frau Bruggmann, seit diesem Jahr sind Sie Präsidentin der Kulturstiftung. Wie waren die ersten Tage?
Die ersten Tage im Amt waren relativ ruhig. Erst jetzt hat es wieder richtig angefangen. Aber ich muss mich auch noch einarbeiten. Es ist doch eine andere Situation, ob man einfache Stiftungsrätin ist oder Präsidentin.
Wie sieht der Alltag der Stiftungspräsidentin aus?
Der Alltag ist noch nicht eingekehrt. Aber es ist wichtig, dass ich in guter Verbindung bin mit dem Büro und dass wir die laufenden Geschäfte auf den Weg bringen. Es ist nicht meine Aufgabe als Präsidentin, dauernd anwesend zu sein. Jetzt geht es vor allem darum, unsere erste Stiftungsratssitzung vorzubereiten. Insgesamt geht es um Absprachen, organisatorisches Aufgleisen, die Sitzungen gut vorzubereiten und immer vorausschauend zu denken.
Schauen wir in die Zukunft: Wohin wollen Sie mit der Stiftung?
Vieles geht weiter wie bisher. Die Arbeit hier war immer sehr offen und immer wieder von neuen Einflüssen geprägt. Und das bleibt natürlich so. Die Form der Förderung werden wir weiterführen, aber auch laufend überdenken. Wichtig wird sein, die Kulturszene zu beobachten und zu schauen, was läuft, in welche Richtung die Entwicklung geht und wie man solche Dinge aufnehmen und auch mit neuen Förderformaten unterstützen kann, wie die Werkschau zum Beispiel. Ziel muss es sein, die zeitgenössische, professionelle Szene immer im Auge zu behalten und zu reagieren auf Entwicklungen, aber auch selbst neue Dinge zu initiieren.
Gibt es schon konkrete Ideen für neue Veranstaltungsformate?
Noch nichts, was spruchreif wäre. Es geht nicht darum, dass ich mir ein Denkmal setzen will. Bei uns ist der Stiftungsrat in Zusammenarbeit mit der Kulturbeauftragten Gioia dal Molin und dem Büroteam das Gremium, das neue Ideen entwickelt. Das kann auch eine Idee von mir sein.
Wird es die Werkschau auch weiterhin geben?
Wir haben demnächst eine Sitzung, in der wir Bilanz ziehen. Dann sehen wir weiter. Grundsätzlich finde ich das ein sehr interessantes, sehr spezielles Format, bei dem man einen guten Überblick über das Kunstschaffen im Kanton bekommt. Die Werkschau ist ein Abbild der Dezentralität des Kantons, das finde ich gut. Über die Zukunft werden wir uns dann noch unterhalten.
Die Stiftung stand im vergangenen Jahr intensiv in der Kritik. Wie lange mussten Sie überlegen, ob Sie das Amt übernehmen wollten?
Ich brauchte keine lange Überlegungszeit. Wir wussten im Stiftungsrat ja schon länger, dass Claudia Rüegg Ende 2016 zurücktreten wird. Sie ist ja nicht mitten in der kritischen Phase ausgestiegen, sondern das war intern schon längst besprochen. Abgesehen davon hat mich die Debatte nicht abgeschreckt. Ich lasse mich von solchen Problemen nicht aufhalten.
Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?
Mich reizen immer wieder neue Aufgaben. Ich finde, die Kulturstiftung ist eine Institution, auf die der Kanton Thurgau, die Bevölkerung und die Kulturschaffenden wirklich stolz sein können. Da mitzugestalten, erscheint mir reizvoll. Dieser wirklich wertvollen Institution ein Gesicht zu geben, das finde ich spannend. Ich habe auch grosse Lust auf die Arbeit im Kulturbereich.
Was machen Sie jetzt mit den Erkenntnissen aus der Debatte um die Stiftung?
Wir haben intern natürlich sehr viel darüber gesprochen. Wir sind jetzt im Austausch mit der Regierung und mit dem Kulturamt. Dass sich eine solche Stiftung auch dauernd erneuern muss, war uns schon immer klar. Gewisse Anpassungen werden kommen, welche, das werden wir dann sehen. Wir haben schon bisher über unsere Arbeit reflektiert und uns immer wieder zusammengesetzt, um über unsere Fördertätigkeit, die Strukturen und die Besetzung des Stiftungsrates nachzudenken. Wir waren offen für Veränderungen und sind das nach wie vor. Aber vieles ist durch die Stiftungsurkunde vorgegeben und deshalb Aufgabe des Regierungsrats. Ein Punkt in der öffentlichen Diskussion war die Ausstandsregelung. Diese ist sehr strikt, aber wir wollen, dass sie in der Geschäftsordnung besser sichtbar wird.
Konkret gefragt: Sollten Stiftungsräte weiter vom Geld der Stiftung profitieren können?
Vorläufig auf jeden Fall. Die Zusammensetzung, die wir im Stiftungsrat haben, drei Kulturschaffende, drei Vermittler, drei Personen des öffentlichen Lebens, hat sich bewährt. Wenn die drei Kulturschaffenden oder Vermittler nicht mehr Gesuche für kulturelle Projekte eingeben könnten, würde es schwieriger werden, Leute zu finden, die mitmachen. Und so lange die Urkunde so ist, wird es auch so bleiben. Ganz ehrlich: Wir haben so strenge Ausstandsregelungen und wir schauen so genau hin, wenn Gesuche von Stiftungsräten und Stiftungsrätinnen vorliegen, und beurteilen diese eher noch strenger als andere Gesuche.
Geht es jetzt auch darum, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen?
Nicht unbedingt verlorenes Vertrauen, aber für uns ist es natürlich wichtig, das Vertrauen in unsere Arbeit in der Bevölkerung und bei den Kulturschaffenden zu bewahren. Es ist eine aktuelle Erscheinung in unserer Gesellschaft. Das bisherige Grundvertrauen gegenüber den Institutionen verwandelt sich in Misstrauen. Das ist sehr schade. Dieses Säen von Misstrauen ist leider sehr in Mode gekommen. Konsequenz daraus ist: Das Vertrauen kommt abhanden und das erschwert oft eine gute Arbeit. Es hält zum Teil auch Leute davon ab, aktiv mitzuarbeiten, weil sie sagen: Soll oder muss ich mir das antun? Gerade in solchen Bereichen, wo es auch um subjektive Einschätzungen geht wie in der Kultur.
Was kann die Stiftung tun, um dieses Vertrauen zu bewahren?
Wir sollten gut sichtbar sein als Stiftungsrat, als Büro, als Institution, die immer eine weit offene Tür hat. Und das ist wirklich so. Der Zugang ist sehr leicht. Diese Offenheit muss da sein, damit die Leute wissen, dass sie an unsere Stiftung gelangen und das Gespräch suchen können. Unsere Tür ist wirklich weit offen, und das geht manchmal vergessen.
Wenn Sie mal etwas Freizeit frei haben, wofür entscheiden Sie sich: Theater, Museen, ein Konzert, Kleinkunst?
Ich mache vieles. Ins Theater gehe ich sehr gerne, Bücher lese ich auch sehr viele. Museen besuche ich sowieso, und zwar alle Arten. Ich lasse mich gerne auch total überraschen. Das regt zum Weiterdenken an und kann im Idealfall ganz neue Horizonte eröffnen.
Zur Person
Renate Bruggmann (60) stammt aus Schaffhausen, heute lebt sie in Kradolf. Ihre Laufbahn hat sie als Primarlehrerin in Buchberg (SH) begonnen. Drei Jahre lang unterrichtete sie auch an der Schweizerschule in Madrid. Seit 1987 ist sie Kursleiterin Weiterbildung am BZW Weinfelden. Sie hat sich in den vergangen Jahren intensiv in der Politik engagiert. Zunächst als Gemeinderätin in Kradolf-Schöneberg, später auch als Mitglied und Präsidentin des Grossen Rats Kanton Thurgau. Von 2009 bis 2012 war Bruggmann Fraktionspräsidentin SP und Gewerkschaften. Sie ist darüber hinaus Mitglied des Hochschulrats der PH Thurgau. Seit 2010 ist sie Stiftungsrätin bei der Kulturstiftung des Kantons. Zu ihren Hobbys zählt sie den Besuch von kulturellen Veranstaltungen, Reisen, spanische Sprache und Kultur, Fotografieren, Lesen und Kochen. Renate Bruggmann ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Weitere Texte zur Kulturstiftung
Interview mit Claudia Rüegg, Bruggmanns Vorgängerin als Stiftungspräsidentin
Die Debatte im Grossen Rat vom 23. November 2016
Die Kritikpunkte von Alex Bänninger an der Stiftung
Die Interpellation von Urs Martin (SVP) zur Kulturstiftung
Hinweis: thurgaukultur.ch wird von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau unterstützt. Die Stiftung ist Aktionärin der Thurgau Kultur AG
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
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