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von Judith Schuck, 22.09.2025

Tanzen oder nicht tanzen, das ist hier die Frage!

Tanzen oder nicht tanzen, das ist hier die Frage!
Kippt das Tanzverbot an hohen Feiertagen auch im Thurgau endgültig? Am Sonntag wird darüber abgestimmt, ob Veranstaltungen aus Kultur und Sport für bis zu 500 Personen möglich sein könnten. Das Bild zeigt eine Szene aus dem Kaff Frauenfeld. | © kaff frauenfeld

Am Sonntag wird über die Revision des Ruhetagsgesetzes abgestimmt. Worum geht es überhaupt, und welche Auswirkung hat das Gesetz auf die Kultur im Thurgau? (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Wer die Plakate des Nein-Komitees zur Abstimmung über die Anpassung des Ruhetagsgesetzes sieht, versteht vielleicht nicht auf den ersten Blick, worauf sie sich beziehen: abgehetzte Menschen, die vor einem bedrohlich schauenden Weihnachtsbaum flüchten, mit Aufschriften wie: «An Ostern oder Weihnachten arbeiten?»

Abgesehen davon, dass es viele Berufsgruppen gibt, die im Wechsel mit ihren Kolleg:innen an Feiertagen arbeiten und dafür an Werktagen mal zu Hause bleiben – und für die das überhaupt nichts Ungewöhnliches wäre –, ist beim Anblick dieser Plakate zunächst nicht ganz klar, worauf der Inhalt abzielt.

Am 28. September dürfen die Stimmberechtigten über eine Lockerung des sogenannten Ruhetagsgesetzes abstimmen. Das aktuell gültige Gesetz über die öffentlichen Ruhetage für den Kanton Thurgau stammt aus dem Jahr 1989, mit einer Revision im Jahr 2002. Dieses besagt, dass an hohen Feiertagen ein Veranstaltungsverbot für nichtreligiöse Anlässe besteht.

 

So wirbt das Nein-Komitee für seine Haltung. Bild: zVg

Ausschlaggebend war eine parlamentarische Initiative

Bereits 2017 gab es eine parlamentarische Motion zum Thema. Damals wollte der Regierungsrat am bestehenden Ruhetagsgesetz festhalten und damit auch nicht an dem Verbot von bestimmten Veranstaltungen an so genannten "hohen Feiertagen" rütteln. 2023 wurde im Grossen Rat die parlamentarische Initiative «Anpassung Ruhetagsgesetz» eingereicht, welche eine moderate Lockerung des Ruhetagsgesetzes forderte. Die Initiant:innen sehen hier bisher eine Ungleichbehandlung von Kultur- und Sportveranstaltungen gegenüber religiösen Anlässen. Der Regierungsrat begrüsste die Initiative, möchte aber eine Totalrevision des Gesetzes, die Kultur- und Sportveranstaltungen gleich behandeln soll.

Denn die Initiative bevorzugte die Kultur gegenüber dem Sport. Was diesen betrifft, waren bisher «öffentliche Filmvorführungen, Schaustellungen, Ausstellungen, Theateraufführungen, Lesungen und Konzerte» an den hohen Feiertagen verboten. Weil Partys ebenfalls zu den untersagten Veranstaltungen gehören, wird das bisherige Gesetz auch Tanzverbot genannt.

Darüber wird am 28. September abgestimmt

Ein grundsätzliches Verbot von Veranstaltungen nichtreligiöser Art im Thurgau besteht aktuell für Karfreitag, Ostersonntag, Pfingstsonntag, den Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag sowie den Weihnachtstag am 25. Dezember. Insbesondere diese hohen Feiertage sind von der Revision betroffen. An ihnen sollen Kultur- und Sportveranstaltungen in kleinem Rahmen bei einer Annahme der Gesetzesrevision möglich sein, insofern sie in geschlossenen Räumen stattfinden und nicht mehr als 500 Menschen daran teilnehmen.

In anderen Kantonen wie Zürich oder St. Gallen besteht bereits eine Lockerung. Die Thurgauer Gesetzesrevision orientiert sich in erster Linie am Nachbarkanton St. Gallen, der die Lockerung des Ruhetagsgesetzes schon vor 20 Jahren einführte.

44 Kantonsräte ergriffen Anfang 2025 das Behördenreferendum. Die Gegner der angestrebten Gesetzesänderung argumentieren unter anderem damit, dass mit einer Lockerung des Ruhetagsgesetzes unsere christlichen und kulturellen Werte verloren gingen.

 

Diese Bühne könnte auch an Feiertagen bespielt werden, wenn die Revision des Ruhetagsgesetzes angenommen wird. Bild: Archiv

Wie das Nein-Komitee argumentiert

Das offizielle Nein-Komitee schreibt: «An den fünf hohen Feiertagen sollen neu auch Kultur- und Sportveranstaltungen erlaubt sein. Gegen diesen unnötigen Ruhetag-Abbau wehrt sich ein breit abgestütztes Komitee mit Kantonsräten aus SVP, EDU, Aufrecht, Die Mitte und EVP. Die Folgen sind gesellschaftlich verheerend. Alle sind betroffen – doch sozial Schwache trifft es besonders hart: mehr Arbeit, weniger Erholung, weniger Ruhezeit, weniger Familienzeit! Wir wehren uns gegen diesen Angriff auf unsere christlichen Werte.»

Gegner befürchten mehr Stress für die Menschen

Gemässigter ist eine Stellungnahme der EVP-Kantonsrätin Eva Rickenbach im Thurgauer Kirchboten: «Aus meiner Sicht ist die Frage zentral, was uns der Schutz dieser hohen Feiertage wert ist. Unsere Gesellschaft hat sich zu einem 24-Stunden-Betrieb entwickelt. Permanent sind wir mit Ablenkung konfrontiert, die Werbung ist da mit eingeschlossen. Im Gegenzug nehmen wir steigende Gesundheitskosten, die Zunahme psychischer und physischer Krankheiten in Kauf. Wäre heute nicht erst recht die Einsicht wichtig, dass das gesellschaftliche Zusammensein nach einer Entschleunigung ruft?»

Die Frage ist, ob diese gesellschaftliche Entwicklung wirklich in Verbindung mit den gesetzlichen Feiertagen zu bringen ist und ob die Revision des Ruhetagsgesetzes noch als Motor für diese Entwicklung einer abgehetzten Gesellschaft dienen würde. Und gerade was die Bezeichnung des Gesetzes als Tanzverbot betrifft, kommen Zweifel daran auf, wie zeitgemäss es noch ist. Gerade das Tanzen ist für viele Menschen ein Ventil, Stress abzubauen, Freunde zu treffen und somit etwas Positives zu ihrer physischen und psychischen Gesundheit beizutragen.

 

Feine, kleine Veranstaltungen wie hier im Kaff könnten bald auch an hohen Feiertagen möglich sein. Bild: Kulturstiftung des Kantons Thurgau/Beni Blaser

Was Thurgauer Kulturschaffende sagen

Mara Notter ist aus dem Vorstandsteam des Kaff, Kulturelle Arbeit für Frauenfeld. Sie findet, dass die geplante Revision das Gesetz der aktuellen gesellschaftlichen Realität anpasst. «Lokale wie das Kaff könnten bei einer Annahme der Revision an diesen Tagen Events organisieren, um ein breites und vielfältiges Angebot für die genauso vielfältige Gesellschaft zu bieten.»

Wichtig im Diskurs zu den Ruhetagen scheine ihr, dass die Menschen sich erholen und die Gemeinschaft geniessen könnten. «Wie und ob das geschieht, sollten in der heutigen Gesellschaft alle für sich selbst entscheiden», sagt Mara Notter im Namen des Kaff-Vorstands.

«Lokale wie das Kaff könnten bei eine Annahme der Revision an diesen Tagen Events organisieren, um ein breites und vielfältiges Angebot für die genauso vielfältige Gesellschaft zu bieten.»

Mara Notter, KAFF Frauenfeld

«Mit diesem Gesetz könnten zudem die Menschen, die sonst nach Zürich, St. Gallen oder Konstanz fahren, mit lokalen Angeboten bedient werden. An diesen Orten ist das Ruhetagsgesetz längst an die gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst worden.» Der Kaff-Vorstand hat seine Parolen bereits gefasst: «Ja, um der Vielfalt unserer Gesellschaft gerecht zu werden, zur Stärkung unserer lokalen Kultur und für einen längst überfälligen Schritt in Richtung Gegenwart!»

Pro-Komitee betont die «moderate Lockerung»

Das Pro-Komitee ist von linken bis konservativen Parteien breit abgestützt. Gewerbeverband, Gastro Thurgau, Sportverbände und Arbeitsgemeinschaft für Wirtschaft und Gesellschaft der Mitte wollen ebenfalls die Revision. SP-Nationalrätin Nina Schläfli sagt dazu: «Auch Kulturveranstaltungen können an Feiertagen sinnstiftende Begegnungen fördern. Das Ruhetagsgesetz schafft dafür einen zeitgemässen Rahmen.»

Die Mitte-Ständerätin Brigitte Häberlin sieht darin eine bewährte und klare Regelung, wie sie es in anderen Kantonen schon gebe. SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr argumentiert, dass von der moderaten Lockerung auch das Gewerbe profitiere. Die «moderate Lockerung» ist es, wovon die Befürworter sprechen; die Gegner befürchten grosse Veränderungen.

 

Werben für ein Ja zum neuen Ruhetagsgesetz: Mitglieder des Ja-Komitees.  Bild: zVg

Verständnis für beide Seiten

Andrea Röst, Geschäftsführerin im Kino Roxy Romanshorn, sagt, dass ihr Verein grundsätzlich keine Stellung zu politischen Themen nimmt. Sie selbst könne allerdings beide Seiten verstehen. Einerseits, dass sich der Thurgau an andere Kantone angleichen wolle, andererseits aber auch, dass Tage, an denen wirklich Ruhetag ist, wichtig sind. «Wir werden aber selbst bei einer Annahme nicht an Weihnachten Filme zeigen. Allein schon, weil wir das freiwillige Personal dafür kaum finden werden», sagt Andrea Röst. Beim Buss- und Bettag sähe es anders aus. Sie findet, dass dieser Feiertag als solcher aufgehoben werden könne. 

 

«Was mich grundsätzlich touchiert, ist, dass diese hohen Feiertage immer kirchliche Feiertage sind. Da unsere Gesellschaft durchmischt ist, würde ich mir wünschen, das aus dem sakralen Kontext herauszunehmen.»

Micha Stuhlmann, Performerin

Micha Stuhlmann ist Performerin und mit ihrem Verein «Laboratorium für Artenschutz» unter dem Dach des Kreuzlinger Kulturzentrums Kult-X. Sie findet die Ruhe an Feiertagen grundsätzlich gut, um mal in die Entschleunigung zu kommen, «wenn keine Veranstaltungen locken. Wenn wir daran anfangen herumzuschrauben, ist irgendwann jeder Tag mit dem gefüllt, was wir immer machen, nämlich konsumieren», befürchtet Micha Stuhlmann. Andererseits ginge es ja nur um eine Lockerung.

«Darin sehe ich auch eine Chance für kleinere, unscheinbarere und vielleicht auch stillere Veranstaltungen.» Dennoch müssten selbst bei kleinen Veranstaltungen wieder Menschen arbeiten. «Was mich grundsätzlich touchiert, ist, dass diese hohen Feiertage immer kirchliche Feiertage sind. Da unsere Gesellschaft durchmischt ist, würde ich mir wünschen, das aus dem sakralen Kontext herauszunehmen.» Ein politischer Feiertag würde bei ihr anders wirken. Erzwungenes Innehalten könne ihrer Ansicht nach aber ohnehin nicht durchgesetzt werden.

 

Solche Konzerte wie hier im Eisenwerk (im Bild die Band Gamma Kite) könnten künftig auch an hohen Feiertagen stattfinden, wenn die Gesetzesrevision angenommen wird. Bild: Michael Siegenthaler

«Friedliche Koexistenz der Angebote»

Das Eisenwerk in Frauenfeld begrüsst es, wenn das Tanzverbot gelockert wird. «Wenn es möglich ist, auch im Thurgau an den christlichen Feiertagen kleine, nichtreligiöse Veranstaltungen in Innenräumen zu veranstalten, ist das ein Bekenntnis zur Bedeutung der Kultur, die Austausch und Begegnungen ermöglicht und damit das gesellschaftliche Zusammenleben befördert», sagt Claudia Rüegsegger dazu. Sie ist Geschäftsstellenleitung im Eisenwerk.

 

«Wenn es möglich ist, auch im Thurgau an den christlichen Feiertagen kleine, nichtreligiöse Veranstaltungen in Innenräumen zu veranstalten, ist das ein Bekenntnis zur Bedeutung der Kultur, die Austausch und Begegnungen ermöglicht und damit das gesellschaftliche Zusammenleben befördert»

Claudia Rüegsegger, Geschäftsstellenleiterin Eisenwerk Frauenfeld

Rüegsegger sieht in einem Ja an der Urne ein Bekenntnis zum Kanton als Kulturstandort. Publikum, das an diesen Tagen einen nichtreligiösen Anlass besuchen möchte, müsse dafür nicht mehr nach Zürich oder St. Gallen ausweichen.

Für Claudia Rüegsegger bedeutet die Revision «eine friedliche Koexistenz der Angebote: Niemand, der ein Popkonzert an Ostern besuchen möchte, geht stattdessen in den Gottesdienst, weil kein Popkonzert erlaubt ist. Und umgekehrt wird niemand vom Besuch religiöser Veranstaltungen abgehalten, nur weil es parallel auch nichtreligiöse Veranstaltungen gibt.» Die Lockerung des Ruhetagsgesetzes gebe einfach allen mehr Flexibilität – den Kulturveranstaltenden wie dem Publikum.

Wer kontrolliert, ob das Gesetz eingehalten wird?

Für den Vollzug des Ruhetagsgesetzes ist die Politische Gemeinde zuständig. Diese muss prüfen, ob die Veranstaltung den hohen Feiertag nicht stört und ob sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. «Aufgrund der moderaten Lockerung des Veranstaltungsverbots an hohen Feiertagen ist davon auszugehen, dass sich der Vollzugsaufwand einer Politischen Gemeinde leicht erhöhen wird», heisst es in einer Mitteilung des Kantons vom 10. Mai 2024.

Bei den Gemeinden konnten allerdings schon bisher Ausnahmegenehmigungen für Veranstaltungen eingeholt werden, wenn diese befand, dass sie dem «Charakter der hohen Feiertage Rechnung trage».

 

Hier geht es zur Botschaft des Regierungsrats zur Abstimmung über das Ruhetagsgesetz.

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