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von Judith Schuck, 25.03.2024

Puppenspuk beim Movie Day: Psychothriller gewinnt

Puppenspuk beim Movie Day: Psychothriller gewinnt
Junge Talente mit ihren Auszeichnungen beim 11. Movie Day in Romanshorn | © Judith Schuck

Nervenkitzel und Überraschungsbesuch erwarteten die Besucher:innen beim 11. Movie Day. Talentierte Jungregisseur:innen zeigten ihre Werke, und Regie-Profis Andreas Müller und Florian Rexer feierten ebenfalls eine Premiere. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Es ist Samstag, der 23. März, und kurz vor der Preisverleihung für die besten Filme beim Movie Day. Einige Anwesende sind schon seit dem Vormittag dabei, wo die Filme der Kategorie A bis 16 Jahre liefen. Andere haben sich jetzt am Nachmittag dazugesellt, um die Wettbewerbsteilnahmen der Kategorie B von Filmemacher:innen zwischen 17 und 25 Jahren zu sichten. Von den 60 eingereichten Produktionen schafften es 17 in den Wettbewerb.

Während die Jury noch über der Bewertung brütet, leitet Moderator Cyrill Keller durch das Programm, führt noch ein Interview mit Jaden Bisnang und Noah Bernhard, den Machern des später mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Films „Baptized By Fire“, oder erklärt das Filmquiz. Kurz vor 15.30 Uhr kündigt Keller noch einen Film an, der von früheren Festivalgewinnern produziert sei und Blockbusterqualität habe. Die Spannung im Saal steigt, ob der erwarteten Preisverleihung und dem, was sie gleich zu sehen bekommen werden. „Spiel’s nochmals, Rapha“, heisst der Streifen; Regie und Produktion werden nicht bekannt gegeben.

Düstere Bar mit erstklassigem Pianisten

Die Handlung spielt in einer düsteren, schmierigen Bar. Die Bilder sind unklar, zum einen durch die vergilbten Farben, zum anderen durch die rauchige Atmosphäre. Es geht auf jeden Fall um einen Deal zwischen zwei zwielichtigen Gestalten. Auch der Barkeeper ist prominent in Szene gesetzt – ein eher ruppiger Wirt, der sich gerne in die Gespräche seiner Stammkundschaft einmischt und kein Blatt vor den Mund nimmt. Vom Barpianisten verlangt er „etwas Klassisches“, was dieser mit „Für Elise“ von Ludwig van Beethoven sofort umsetzt. Der Pianist wird zunächst nur von hinten und im Profil gezeigt, was zur Unschärfe, die in den Szenen vorherrscht, passt.

Als das Lied zu Ende ist, lobt der Barkeeper den Musiker für sein Können. Während er den Musiker wissen lässt, dass ein klassisches Stück zwischendurch eine richtige Wohltat sei, nähert sich die Kamera dem Pianisten von der Seite und zoomt auf sein Spiegelbild, sodass klar wird: Irgendetwas verändert sich an der einlullenden Stimmung. Der Barkeeper, nun in Grossaufnahme, spricht frontal in die Kamera: „Mir hat's gefallen. Was glotzt ihr so blöd? Du, mit dem Bart und den roten Bäckchen, was hörst du gerne?“

Es vergehen nur wenige Sekunden, bis eine Stimme aus dem Kinosaal antwortet: „Reggae!“ Der Barkeeper, in dem einige schon den Regisseur und Schauspieler Florian Rexer erkannt haben, ruft dem Pianisten zu: „Rapha, spiel Reggae für den Typen!“, und dieser gibt seine Pianoversion von Bob Marleys „No Woman No Cry“ zum Besten.

 

Florian Rexer als Barkeeper im Überraschungsfilm  «Rapha, spiel noch mal!» Bild: Filmstill

Wenn Film zum Live-Erlebnis wird

An dieser Stelle dürfte allen klar geworden sein, dass hier gerade die vierte Wand aufgebrochen wurde und der Darsteller auf der Kinoleinwand live mit den Anwesenden im Kinosaal in Austausch tritt. Wer ein bisschen aufgepasst hat, sieht auch Andreas Müller, der in der Barszene mitspielte, immer wieder mit Kamera im Saal umherlaufen. Andreas Müller und Florian Rexer gewannen 2023 mit ihrer Einreichung „Siijuu“ den Publikumspreis von Ratartouille, der Projekt-Ausschreibung der Kulturstiftung Thurgaunicht ganz unumstritten.

Aus den Kinoreihen dürfen noch weitere Musikwünsche geäussert werden, wobei Florian Rexer hier schon ein wenig eingreift und mal statt dem gewünschten Blues und Jazz „Last Christmas“ vorzieht. Auch Pink Floyd liegt ihm nicht so, dafür soll Rapha, den inzwischen vielleicht einige als den Thurgauer Pianisten Raphael Jost identifizieren konnten, Robbie Williams' „Angels“ spielen, bei dem Rexer auch ein wenig mitsingt, soweit der Text sitzt. Für die Rocker gibt’s dann noch den Stones-Song „I Can’t Get No Satisfaction“, und für „zwei ganz Kleine“ in der ersten Reihe, die Florian Rexer als Anna und Elsa bezeichnet, den Kindersong „Baby Shark“.

Eine der beiden wird später als die elfjährige Hauptdarstellerin Laura im Film „K.I.“ von Julian Schreiner den dritten Preis in der Kategorie A entgegennehmen. Julian Schreiner, der schon 2023 am Movie Day mit „Wiedersehen“ teilnahm, bekam dafür einige Monate später den Deutschen Jugendfilmpreis. Um die Reise durch die Welt der Musik abzurunden, leitet Raphael Jost mit der Titelmelodie von Star Wars wieder zum Film über.

 

„Siijuu“ will verschiedene Kulturformen verbinden

Auch wenn das Publikum eher verhalten auf die allererste „Siijuu“-Intervention reagiert, denn der Auftritt im Roxy Kino ist die Premiere für das Projekt von Andreas Müller und Florian Rexer, ist die Überraschung deutlich zu spüren. Um das Ganze aufzulösen, kommt Rexer jetzt in den Saal und erklärt den Zuschauer:innen, was sie hier gerade miterleben durften: Als wir alle in der Corona-Zeit via Bildschirme kommuniziert hätten, alles aber sehr ernsthaft ablief, habe ihn und Andreas Müller die Lust gepackt, das zu „cracken“. „Wir haben nach einem Format gesucht, mit dem wir verschiedene Kulturformen verbinden können“, erklärt Rexer. Durch die Live-Zuschaltung kann die Situation aufgelockert werden und räum- und genreübergreifend agiert werden.

„Wir sind sehr glücklich, dass das Zusammenspiel zwischen Technik und Schauspiel ohne grosse Pannen funktioniert hat“, sagt Andreas Müller zu dieser „Siijuu“-Premiere. Der Film war vorgedreht, aber für die Publikumsinteraktion ist Florian Rexer aus einem Studio oberhalb des Kinosaals zugeschaltet. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Raphael Jost zum Zeitpunkt des Ereignisses in München bei einem Auftritt befindet.

Darum nutzt die Technik eine Auswahl von Jost eingespielten bekannten Musiktiteln. Dass dies wie live wirkt, hängt mit den professionellen Technikern wie Joel Reisinger zusammen. „Sie verstehen ihr Handwerk“, lobt Müller. Das Publikum sei überrascht, begeistert und gut unterhalten gewesen und habe dank dem grossartigen Thurgauer Jazzmusiker Raphael Jost verschiedene Musikstile kennengelernt, fasst er diese erste „Siijuu“-Intervention zusammen.

Für sein Lieblingskind entscheiden

Zurück zum Filmfestival, wo das Warten nun ein Ende hat. Jurymitglied und Filmemacher Marcel Gisler betont, wie schwierig die Bewertung war, bei so vielen unterschiedlichen, gut umgesetzten Filmen. Im Vergleich zu grossen Festivals hätten sie vielleicht noch objektiver bewerten können. „Wir hatten keinen Druck, es ging uns nur um Leistung, nicht um Namen.“

Edward Piccin, Schauspieler und ebenfalls Teil der Jury, betont, dass das Niveau mitunter sehr hoch war. „Es war, als müsse man sich für sein Lieblingskind entscheiden.“ Den ersten Platz in der Kategorie A erhält der Film „Henrietta“ von Aliza Sautter. Sie zeigte ihn bereits im vergangenen September beim Filmfest Zürich. Henrietta ist eine Schildkröte, die dem Mädchen Emilia hilft, über den Tod ihres Vaters hinwegzukommen.

In der Kategorie B gewinnt „Ninullë, Wiegenlied“. Die albanisch-schweizerische Produktion von Regisseur Adrian Asllani feierte im September 2023 beim Filmfestival in Pristina Premiere. Mit 15 Minuten schafft es der Film gerade noch im Rahmen der Mindestlänge zu bleiben. Dabei bleibt die Geschichte vom ersten bis zum letzten Bild spannend.

 

Adrian Asllani, rechts, bei der Movie Day Preisverleihung. Bild: Judith Schuck

Erfrischend und witzig

In der Werkstatt eines Puppenmachers geht es nicht mit rechten Dingen zu. Sein fiebernder Sohn fürchtet sich vor dem König in Schwarz. Bedrohlich wirken die Gesichter der Porzellanpüppchen, die eigentlich Spielzeug sein müssten, so wie der Vater eigentlich Beschützer sein sollte. Asllani gelingt hier eine in Kamerabild, Drehbuch und Ton professionelle Umsetzung eines kurzen Psychothrillers, aus dem die Jury Freuds Psychoanalyse sprechen hört.

Das Jugendfilmfestival Movie Day im Roxy Kino in Romanshorn fand dieses Jahr zum 11. Mal statt. Obwohl es neben den länger etablierten nationalen Jugendfilmfestivals wie die Jugendfilmtage in Zürich oder den Upcoming Filmmakers, ehemals innerschweizer Jugendfilmtage, eher beschaulich ist, überzeugt die Qualität der Einreichungen in den allermeisten Fällen.

Die Mischung von poetischen Animationen wie bei „Grabbing The Spider By The Horns“ von Lily Pellaud, die den Roxy Award erhielt, über witzig-kreative Drehbuchvariationen wie bei „Script Suppe“ von Ephraim Ehling und Annina Babotai ist sehr erfrischend.

 

Die SchauspielerInnen von „Script Suppe“ nehmen den dritten Platz in Kategorie B entgegen. Bild: Judith Schuck

 

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