Psychedelisches, Pritschen, Praxen
Während in Frauenfeld am Samstag Casper auf der Openair-Bühne stand, gab's am sechsten Rock im Knast in der Komturei Tobel andere Musik zu hören - mit Kohledampfern, Creolen und einigen Premieren.
Die vielen Kellerräume, die Gefängniszellen, der weitläufige Hof – die Komturei Tobel lädt zum Entdecken ein. Zur Begrüssung wurden die Besucher nicht direkt zum Konzertraum geführt, sondern über Umwege durch die gesamte ehemalige Johanniter-Komturei. Und konnten dabei einige Überraschungen entdecken.
Interaktive Tröten, musikalische Pritschen
Die zweckentfremdete Gefängniströte. (Bilder: David Nägeli)
Die alte Gefängnisglocke, mit der früher den Gefangenen in die Zellen oder zum Essen geläutet wurde, grinst den Besuchern fröhlich entgegen. Die kleine Installation passt zur Komturei – und auch zu den Bands des Rock im Knast: Vieles entsteht hier durch Handarbeit und durch kreatives Umnutzen der Gegebenheiten.
Kollektives Musizieren in der Zelle: Viele der rund 150 Besucher liessen sich inspirieren und musizierten drauf los.
Auf der Tour durch die Komturei stiess man auch auf eine E-Gitarre, die mit Verstärker auf der Pritsche einer alten Zelle liegt. Eine Einladung an die Besucher, selbst zu musizieren – und die Knast-Atmosphäre in Töne zu verwandeln.
60s-Mucke & 60s-Style
Ein Stockwerk tiefer, in der Komtureibeiz, standen am Samstag gleich drei Bands und ein DJ auf der Bühne. Die Eröffnung machten The Flamerians mit hübsch-naivem Psychedelic-Rock im Stil vom Brian Jonestown Massacre und Konsorten.
The Flamerians - mit Ein-Mann-Schellenkranz- und Shaker-Abteilung. Ein Video des Auftritts hat die Band auf Facebook geladen.
Das junge Quintett spielte in Tobel ihr erstes Konzert – vor einigen Fremden und vielen tanzenden Freunden. Fürs erste Mal auf der Bühne ein gelungener Gig: Die einfachen, trocken gespielten Gitarrenriffs nach alter Schule erinnern an die Sechzigerjahre – der Look der Flamerians ebenfalls. Aus Mangel an Songs (wie erwähnt: das erste Konzert) gab's als Zugabe einen Song zum zweiten Mal, «leicht verändert». Was hiess: Doppelt so schnell gespielt. Sympathisch.
Walzer à la Waits
Während es langsam eindunkelte, spielten The Dorks – die musikalischen Altherren des Abends – ebenfalls eine Premiere. Neue Stücke von einem Konzeptwerk über Leben und Laster einer Seereise mit Kohledampfer. Die Musik passt: Stolperndes Staccato-Spiel, hüpfende Melodien auf Kontrabass oder Fünfsaiter, viel Offbeat-Gitarren und eine Stimme, die nach den rostigen Zellengittern der Komturei-Fenster klingt.
The Dorks – Schiffswalzer à la Tom Waits.
Das liest sich wie Tom Waits und klingt häufig auch so – nur mit mehr Indie-Rock-Einflüssen. Auch ein Cover des amerikanischen Musik-Grossmeisters fand Platz im Set. Nach den eher klassischen Rock-Songs der Flamerians waren Sechs-Achtel-Walzer und Kontrabass-Solo hübsche Abwechslung im musikalischen Gesamtprogramm.
Psychedelische Praxen
Bevor Kool Kut Luke Oldschool-Hip-Hop und -Funk ab Vinyl auflegte, spielten die Urbanen Praxen als Abschluss des Abends die zweite Portion Psychedelic-Rock. Das junge Trio aus Güttingen hat jüngst ihr Vinyl-Debüt getauft: Neun Tracks, viel Delay, langgezogene Vocals, monotone, hypnotisierende Grooves. Empfehlenswert – erstehen kann man's an den Praxen-Konzerten.
Dancing Barefoot: Die Urbanen Praxen.
Obwohl Brian Jonestown Massacre hier auch passen würde, klingen die Praxen doch noch mehr Jefferson Airplane: Die langgezogenen, meist schleppenden Songs laden zum langsamen Haare-Schütteln ein. Hippie-Mucke halt – passend dazu: Der Sänger und Gitarrist spielte Barfuss. Das hätte man sich früher, als die Komturei noch ein Zucht- und Arbeitshaus war, wohl nicht vorstellen können. The Times They Are a-Changin'. Und das ist gut so.
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Jailhouse-Rock statt Knast - thurgaukultur.ch vom 09.07.2015
Strafen – sühnen – bessern - thurgaukultur.ch vom 16.11.2014
Die Alternative zur Alternative endete ebenfalls am Wochenende:
Urbn? Aight! - Social Media-Schau zum Open Air Frauenfeld - thurgaukultur.ch vom 09.07.2015
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