von Inka Grabowsky, 05.04.2018
Neues Leben im altem Turm
Seit fast zwanzig Jahren stellt die Windler-Stiftung in Stein am Rhein jeweils für drei Monate eine Wohnung im Chretzeturm einem Künstler zur Verfügung. Gerade ist Conny Zenk eingezogen.
Von Inka Grabowsky
„Auf Dauer wäre es mir zu abgeschieden.“ Die Wienerin Conny Zenk braucht eigentlich mehr Anregungen für ihre Arbeit. Aber gelegentlich sucht auch sie die Ruhe, um ihre Ideen zu realisieren, ohne sich vom Alltag ablenken zu lassen. Konkret heisst das in Augenblick: Die Medienkünstlerin arbeitet im beschaulichen Stein am Rhein an ihrem Projekt „SelfieDREAMER“ . Sie hat einen Jonglierstab dabei, den sie gemeinsam mit dem Industrial Designer Emanuel Gollob und dem Performer Markus Liszt zu einer Art Kamera-Arm oder Selfie-Apparatur umgebaut hat. „Wir reflektieren auf poetische Weise den digitalen Narziss, der sich und die Welt über den digitalen Rückspiegel betrachtet. Das ist natürlich ein ironischer Verweis, aber auch eine Auseinandersetzung mit der Bildproduktion im Zeitalter digitaler Medien." Die Smartphones nehmen während der Jonglage Videos auf, die Conny Zenk zusammenschneidet und digital bearbeitet. Die Klang-Künstlerin Veronika Mayer komponiert den Soundtrack dazu. „Im Rahmen der Performance, die in Stein am Rhein uraufgeführt wird, sollen Visuelles und Auditives eine gemeinsame Sprache finden“, so Zenk. „Ausserdem wird eine Textfraktur zu hören sein, die von der Philosophin Ramona Cidej aus dem Buch ‚Vom Schlaf’ von Jean-Luc Nancy entwickelt wurde.“
Wie wir uns selbst jonglieren: Bild zur Kunstaktion "selfieDREAMER" von Conny Zenk. Die Wiener Künstlerin hat den Jonglierstab gemeinsam mit dem Industrial Designer Emanuel Gollob und dem Performer Markus Liszt zu einer Art Kamera-Arm oder Selfie-Apparatur umgebaut. Bild: Windler-Stiftung
Auswahl der Kuratorin
Conny Zenk ist eine der wenigen Chretzeturm-Bewohnerinnen, die aufgrund einer persönlichen Empfehlung in den Blickpunkt der Kuratorin Elisabeth Schraut rückte. Sie wählt die Stipendiaten aus. „Stein am Rhein hat einen grossen historischen Reichtum“, sagt sie. „Deshalb suche ich gezielt zeitgenössische Künstler zur Ergänzung. Gleichzeitig sollte das Werk beim Publikum gut ankommen, denn unsere Stiftung will nicht nur Künstler fördern, sondern auch das Kulturangebot der Stadt bereichern.“ Gattungsbeschränkungen gibt es nicht. Vor Conny Zenk war der deutsche Bildhauer Andreas Rohrbach zu Gast, davor die syrische Autorin Rosa Yassin Hassan, die Klangkünstlerin Christina Kubisch oder die Comic-Zeichnerin Barbara Yelin. Wer eingeladen wird, bekommt ein Rund-um-sorglos-Paket: 1500 Franken pro Monat, um die Lebenshaltungskosten zu decken, Tickets für die An- und Abreise und – falls nötig - sogar eine Krankenversicherung. Im Gegenzug verpflichten sich die Künstler, sich den Bewohnern der Stadt bei einem Apéro vorzustellen und am Ende ihrer Auszeit zu präsentieren, was sie geschaffen haben. „Mitunter entsteht Kunst mit Bezug zur Stadt“, so die Leiterin der Kultureinrichtungen der Stiftung. „Bedingung ist es aber nicht.“ Gescheitert sei während des Aufenthalts noch niemand. „Es kam immer etwas Interessantes dabei heraus.“
Der renovierte Chretzeturm bietet Wohn- und Arbeitsraum auf vier Etagen. Bild: Inka Grabowsky
Reiche Ernte
Einiges hatte nachhaltige Wirkung. Derzeit beispielsweise kann man im historischen Museum Lindwurm, dem ehemaligen Wohnhaus der Stiftungsgründer, Fotos von Parastou Forouhar sehen. Die politisch verfolgte Iranerin war im Frühjahr 2017 hier und hat sich selbst als Fremdkörper im schweizerischen Idyll inszeniert. Sie stellte sich im schwarzen Tschador in das Kloster St. Georgen, in den Bodensee, in die Natur und schuf so faszinierende Gegenbilder zur Wirklichkeit. „Gleich nach dem Ende ihrer Zeit im Chretzeturm hatte sie hier ihre Kontaktabzüge gezeigt, aber das war mir zu wenig“, erklärt Elisabeth Schraut. „Ich habe sie um eine künstlerische Intervention für das historische Museum gebeten, und nun ist die Wirkung so gut, dass ich die Bilder die ganze Saison hängen lasse.“
Video zum Projekt selfieDREAMER von Conny Zenk
self[ie]DREAMER - preview from connyzenk on Vimeo.
Zum Abschluss ihres dreimonatigen Aufenthalts präsentiert die österreichische Medienkünstlerin und Chretzeturm-Stipendiatin Conny Zenk die Installation und Performance «selfieDREAMER» im Museum Kloster Sankt Georgen, Stein am Rhein. «selfieDREAMER» wird am Samstag, 14. April 2018, 15-19 Uhr uraufgeführt. Um 17 Uhr findet eine Einführung statt.
Die künstlerische Intervention von Parastou Forouhar im Museum Lindwurm mit dem Titel "Das Gras ist grün, der Himmel ist blau, und sie ist schwarz ..." ist noch bis 31. Oktober 2018 zu sehen. Video zu der Arbeit von Parastou Forouhar: http://www.treibsand.ch/
Die Stiftung
Die Jacob und Emma Windler-Stiftung existiert seit 1989. Sie speist sich aus Dividenden von Aktien, die Robert Gnehm (1852 bis 1926) als Gründer von Sandoz erworben hatte. Nach seinem Tod ging ein Teil des Vermögens an seinen Neffen und seine Nichte Jakob und Emma Windler. Als diese ihrerseits kinderlos verstarben, wurde die Stiftung gegründet, die vor allem auf sozialem, teilweise aber auch auf kulturellem Gebiet tätig ist.
Das Studio von Conny Zenk im Chretzerturm. Bild: Inka Grabowsky
Moderne Kunst von Parastou Forouhar im historischen Museum. Bild: Inka Grabowsky
Von Inka Grabowsky
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