von Inka Grabowsky, 15.01.2025
Mehr Heimspiel geht nicht
Einblicke ins Künstler:innenleben: Mehr als 40 Kunstschaffende aus dem Thurgau öffneten im Rahmen des Kunstprojekts «Heimspiel» ihre Ateliers. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
«Heimspiel» ist mehr als eine Reihe von Ausstellungen, die bis zum 2. März zu sehen sind. Das Projekt soll auch die Vernetzung der Kunstschaffenden und der Institutionen fördern.
Kuratoren und Kuratorinnen aus dem Kunstraum Dornbirn, dem Kunsthaus Glarus, der Kunst Halle St. Gallen, dem Kunstmuseum St. Gallen und dem Kunstmuseum Thurgau konnten aus einem Pool von 476 Einreichungen aus Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden, aus Liechtenstein, Vorarlberg, Glarus, St. Gallen und dem Thurgau auswählen. 75 künstlerische Positionen wurden berücksichtigt. Allen anderen wurde die Teilnahme am «Offenen Atelier» angeboten.
Veronika Dierauer in Kaltenbach
Zu den Glücklichen zählt Veronika Dierauer. Ihr Werk «Cover» ist in Arbon im Werk II zu sehen. «Ich habe schon an vielen Orten ausgestellt, aber noch nie in meinem Heimatkanton», sagt sie. «Im Thurgau fehlte die Plattform, seit die Werkschau eingestellt wurde.» Doch sie wolle eben nicht nur in halb Europa, sondern auch zuhause wahrgenommen werden. «Und jetzt hat es sogar in Arbon geklappt, wo ich geboren bin. Für mich ist es ein absolutes Heimspiel.»
Das Werk II bezeichnet sie als idealen Ort für ihre Installation. «Die Atmosphäre in der ehemaligen Werkhalle ist fast sakral», meint sie. Dierauer verarbeitet mit «Cover» den Unfalltod ihrer ersten Tochter von über zwanzig Jahren. Dem verhüllten Körper einer jungen Frau aus weissem Marmor stellt sie eine Jacke aus rotem Wachs gegenüber. Sie hängt an einem Kleiderständer, als sei jemand angekommen, um gleich wieder aufzubrechen. Das beständige Material Stein und das vergängliche Material Wachs stehen für die Spuren, die auch ein kurzes Leben für die Ewigkeit hinterlässt.
Findlinge aus Glasfasermatten
Im Atelier der Künstlerin in Kaltenbach-Wagenhausen kann man die Vorstufen der Arbeit sehen. «Ich hatte im Internet Leichensäcke bestellt, um ein Modell für ‹Cover› zu erstellen. Der Zoll hat sich wohl sehr gewundert. Dann habe ich eine Schaufensterpuppe arrangiert und abgeformt.» Die Negativform und das Modell aus Gips sind aufschlussreich. «Es ist schon auffallend, welche andere Ausstrahlung der Marmor hat.»
Nicht alle Arbeiten von Dierauer sind so schwer – auch im Wortsinn. In ihrem Atelier stehen auch die beleuchteten Findlinge aus Glasfasermatten, mit denen sie vor einigen Jahren auf der Giardina-Gartenausstellung in Zürich grossen Erfolg hatte. «Ich wollte damals für einmal nicht mehr mit Stein arbeiten» erzählt sie. Die künstlichen Steine hätten viele Interessenten gefunden «Sie sind zwar leichter als eine Marmorskulptur, und es geht auch schneller sie herzustellen, aber beim Formen der Glasfasermatten entstehen unangenehme Dämpfe.» Die Konzentration auf Marmor hat also auch ihre Vorteile für die Künstlerin.
Markus Reich in Romanshorn
«Für mich war schon das Schreiben des Dossiers für ‹Heimspiel› ein willkommener Zwischenhalt», sagt Markus Reich. «Ich musste mir darüber Rechenschaft ablegen, wo ich stehe. Die sprachliche Reflektion war eine gute Übung.» Beworben hat er sich mit Chirografien. Seit zwei Jahren beschäftige er sich damit, sich gegen die Flut von Bildern zu stellen, der derzeit die Menschen erreiche. Also schafft er mit Papier und Bleistift grafische Strukturen. Er schreibt einen Satz wieder und wieder, Zeile um Zeile, leicht überlappend.
Aus dem die Webarbeit beschreibenden «Durch die Kette schnellen Schiffe – dicht an dicht – schlägt das Riet bunte Fracht zu vergangener Zeit» entstehen unwillkürlich Muster. «Mir ging es um den spannenden Prozess des Schreibens, der dem des Webens so ähnelt. Und nun bin ich überrascht, wie vielen Leute das Ergebnis gefällt.» Dass es nicht ins Konzept der Ausstellungsmacher gepasst habe, sei für ihn nicht so schlimm. «Mitmachen war wichtig. Kunst ist eben vielfältig. Und über die Offenen Ateliers ist die Vielfalt auch sichtbar.»
Antje Kroll-Witzer in Tägerwilen
«Ich hatte fast vergessen, dass ich das Dossier eingereicht habe», sagt Antje Kroll-Witzer in Tägerwilen. «Insofern war die Absage nicht so schmerzhaft – auch wenn ich die Sichtbarkeit beim ‹Heimspiel› und das damit zusammenhängende Prestige gerne genossen hätte.» Ihr Atelier zu öffnen sei ihr leichtgefallen. «Ich freue mich über jeden Kontakt, gerade mit Menschen, die sich sonst nicht mit Kunst befassen.»
Oft müsse sie ihre Ideen erklären. «Es ist eben kein Einheitsbrei.» Bissige Collagen wie ihre «Analogen Drecksstücke», für den sie Staub zusammengekehrt hat, erschliessen sich nicht sofort. «Es bezieht sich auf den digitalen Dreck, den die Menschen in den Sozialen Medien abladen. Der ist genauso ekelig.»
Ihr Atelier in der Familienwohnung ist zwölf Quadratmeter klein, gleich nebenan ist ihr Arbeitsraum als Designerin, so dass Broterwerb und künstlerische Arbeit getrennt sind. Die gesamte Wohnung nutzt sie als Ausstellungsfläche, auch den Küchentisch hat sie für das «Offene Atelier» einbezogen.
«Gestern sind dort sechs Besucher ins Gespräch gekommen – ich brauchte gar nichts tun, ausser mich zu freuen, dass ich den Anlass für den Austausch geboten habe.» Zu sehen sind bei ihr kleinformatige Arbeiten – passend zum kleinen Atelier. Für «Häute» etwa hat sie Reste aus Acrylfarbe trocknen lassen und die Fetzen neu arrangiert.
Maria Xagorari in Scherzingen
«Jeder Künstler hat eine Sammlung von Absagen», lacht die Malerin Maria Xagorari. «Man muss sich in dem Beruf ein dickes Fell zulegen.» Sie freut sich nun aber, dass «Heimspiel» viel Werbung macht und dementsprechend über das «Offene Atelier» etwas Licht auf ihre Arbeit fällt. Ein besonderer Glücksfall ist für sie ihr neues, grosszügiges Atelier im Dachgeschoss der ehemaligen Weinkellerei Rutishauser in Scherzingen. «Der Raum ist zwar wirtschaftlich kaum zu beheizen, aber mir stehen 300 Quadratmeter zur Verfügung, auf denen ich meine grossformatigen Bilder zeigen kann.»
Das ist auch deshalb wichtig, weil Xagoraris Bilder im doppelten Wortsinn zusammenhängen. «Ithaka», «The Remains oft the Island» und ein noch namenloses drittes Werk etwa kann man hier gemeinsam betrachten.
Die Besuchenden des Offenen Ateliers schlagen bei Maria Xagorari zwei Fliegen mit einer Klappe. Um zu den Bildern zu gelangen, muss man durch Räume des ehemaligen Industriebetriebs, in die sonst niemand gelangt. Auch diese Neugier wird befriedigt. Mit Schaulustigen also rechnet die Künstlerin, mit Käufern nicht: «Wir führen doch keine Kunstlädeli. Stattdessen brauchen wir den Austausch.» Wenn sie höre, welche Assoziationen ihre Werke in den Betrachtenden auslösten, sei das eine wertvolle Erkenntnis.
Von Inka Grabowsky
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