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von Bettina Schnerr, 30.06.2022

Mehr als Schulgeschichte(n)

Mehr als Schulgeschichte(n)
Unter Federführung von Bioterra betreut eine Amriswiler Familie den Nutzgarten der Schule. Sie kümmern sich um Obst- und Gemüsesorten, wie es die Lehrpersonen während ihrer Zeit im Schulhaus zur Selbstversorgung getan haben. | © Bild: Schulmuseum

Das Schulmuseum Amriswil gestaltet seinen Aussenraum unter dem Motto „Biodiversität macht Schule“. Damit schafft das Museum nicht nur neue Angebote, sondern eröffnet sich auch neuen Zielgruppen. Im Jubiläumsjahr punktet die Amriswiler Initiative damit gleich unter mehreren Aspekten. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)

Das Schulmuseum Amriswil feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen und mit dem Umbau des Gartens hätte vermutlich kaum ein anderes Projekt so gut als Höhepunkt dazu gepasst. „Mit dem Konzept verknüpfen wir mehrere Aspekte, die für das Haus und seine Geschichte von Bedeutung sind,“ erzählt Dominik Joos, Stiftungsrat beim Schulmuseum.

Als der Bund wegen der Corona-Pandemie Gelder für Transformationsprojekte freigab, um kulturelle Angebote zu unterstützen, schneiderte der Stiftungsrat im letztjährigen Sommer dem Schulmuseum ein massgeschneidertes Konzept. Mit im Boot waren schnell Björn Rutishauser von der gleichnamigen Amriswiler Gartenbaufirma und Jardin Suisse Thurgau.

Das Ziel der vom Bund unterstützten Transformationen konnten Weiterentwicklung und Überarbeitung des Konzepts sein, das Erschliessen neuer Zielgruppen oder die pandemietaugliche Erweiterung des Angebots.

Noch steckt das Museum mitten in den Arbeiten und erst im Juli wird alles abgeschlossen sein. Doch rund um das Gebäude lassen sich die Ideen schon gut erkennen und vor allem Eines wird deutlich: Das Schulmuseum hat es geschafft, jede dieser Perspektiven aufzugreifen.

 

Bald wird es um ihn herum biodivers und bunt blühen: Dominik Joos, Stiftungsrat des Schulmuseums in Amriswil, setzte mit Sponsoren und Partnern erfolgreich das Transformationsprojekt „Biodiversität macht Schule“ um und kann es im Jubiläumsjahr des Schulmuseums eröffnen. Bild: Bettina Schnerr

Geschichte des Hauses lebendig werden lassen

Joos griff mit den Kolleginnen und Kollegen die Geschichte des Hauses auf, das aus der Gründungszeit der Schulhäuser in der Schweiz stammt. Es entstand in der so genannten Pisé-Bauweise, als günstiger und robuster Lehmbau. „Der Vorteil dieser Methode ist, dass das Material regional gut verfügbar ist und bei der Arbeit praktisch jeder anpacken konnte,“ weiss Joos.

Der Lehm wurde dazu in einer direkt auf das Mauerwerk gesetzten Verschalung gestampft und getrocknet, bevor mit dem nächsten Abschnitt gearbeitet werden konnte. Das ging zügig voran und finanziell waren solche Bauten für die kleinen Gemeinden gut zu stemmen. Obendrein „atmen“ die Mauern und können Feuchtigkeit gut speichern und wieder abgeben – ein Merkmal, von dem zum Beispiel die Textilverarbeitung in der Region profitierte.

Praktische Erfahrung im Lehmbau sammeln

Mit einem Teil des Transformationskonzepts knüpft das Schulmuseum daran an. „Als Gestaltungselement und Anschauungsobjekt gehören eine Lehmmauer und eine Sitzmauer in den Garten,“ sagt der Stiftungsrat. „Sie dienen gleichzeitig einem unserer Projektpartner, dem Branchenverband Jardin Suisse Thurgau, als Ausbildungsprojekt und Seminarort für die Lernenden.“ Sie bereiten sich so auf ihre praktische Lehrabschlussprüfung vor. Bereits von ihnen erstellt wurde eine Sitzmauer aus Sandstein aus einem Steinbruch in Staad bei Rorschach.

Damit ist das Thema Lehmbau aber noch nicht abgeschlossen. Ein Sitzplatz im Garten dient künftig als Freiluftklassenzimmer, in dem unter anderem die Pisé-Bauweise in Workshops an Lernende und Schulklassen vermittelt wird.

Auch für Seminare und Firmenanlässe, die im Schulmuseum stattfinden, können sie gebucht werden, erläutert Joos: „Damit schaffen wir ein ganz neues Angebot für das Schulmuseum und können künftig auch die Aussenräume nutzen. Das Schulmuseum wird zu einem Ort der Weiterbildung.“ Eine Zusammenarbeit schaffen die Amriswiler hier zudem mit dem Ziegeleimuseum in Cham.

 

Inzwischen blüht und grünt der Nutzgarten und vermittelt einen Eindruck davon, wie ein Garten zur Selbstversorgung ausgesehen haben könnte. Das Lineal im Vordergrund -eines der Erkennungszeichen des Schulmuseums- verrät den früheren Zweck des Gebäudes. Bild: Bettina Schnerr

Neues Leben für den Schulgarten

Der zweite Projektpartner bei der Umgestaltung ist Bioterra und zusammen mit dieser Organisation gleist das Schulmuseum die Themen Biodiversität und Nachhaltigkeit auf. Bereits in voller Pracht blüht und gedeiht der Nutzgarten gleich neben dem Eingang. Ursprünglich lebten Lehrerinnen und Lehrer in den Schulhäusern und die Gärten dienten der Selbstversorgung. Diese Erinnerung hält jener Gartenteil lebendig.

Gleichzeitig schaffen die Amriswiler hier künftig Angebote für Schulklassen, Familien oder Gruppen. „Themen, die wieder aktuell werden, sind im Garten greifbar und sichtbar,“ betont Dominik Joos. „Regionalität, saisonale Gemüsesorten, Ernährung oder Foodwaste.“ In Schuss hält den Garten das Jahr über eine Familie, die sich freiwillig gemeldet hat. Die geleiteten Angebote gehören zum Angebot „Gartenkind“ von Bioterra.

Hinzu kommt eine kleine Ruderalfläche auf der anderen Hausseite. Den Grossteil der Gartenfläche macht ein spezieller Blumenrasen aus. Die Beratung bei der Pflanzenauswahl ergänzte ein Insektenkenner.

Der Rasen erfordert bewusst wenig Unterhalt, um für zahlreiche Lebewesen ganzjährig ausreichend Lebensraum zu geben. Das Gesamtbudget von 90'000 Franken konnte vollständig über den Kanton und Sponsoren finanziert werden.

 

Ruderalflächen wie diese waren einst typische Lebensräume im Siedlungsraum. Sie sind klassische Pionierlebensräume mit grosser Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. Bild: Schulmuseum

Fortsetzung einer Tradition

Dominik Joos ist mehr als zufrieden, erhält das Projekt das Schulhaus doch als einen lebendigen Ort des Wissens und der Wissensvermittlung und baut die Idee sogar darüber hinaus aus.

„Es muss nicht immer nur Schulgeschichte sein,“ findet er und erinnert daran, dass sein „Überschreiten von Kulturgrenzen“ nicht wirklich ein Überschreiten sei: „Ein Schulmuseum kann Teil von vielen Aspekten sein. Ist es eine Schulangelegenheit, ein kultureller Faktor oder ein Element aus Bildung und Erziehung?“ Das Transformationsprojekt zeigt, dass es fliessend Teil von allem sein kann.

Die „hands-on“-Mentalität, die das Schulmuseum bereits pflegt, spricht jedenfalls für das Konzept. Hier werden Schulfächer erlebbar gemacht, die jahrelang nicht mehr gepflegt wurden, aber stets regen Zulauf hatten. Inzwischen sind vergessene Handarbeiten wie Makramee oder Batik sogar wieder in.

In Amriswil setzt man auf mehr als die klassische Schulgeschichte und greift neue Interessen und aktuelle Themen auf. „Gerade zu diesem Haus und seiner Geschichte passt das doch sehr gut,“ sagt Dominik Joos. „Wir bemühen uns, in den Kursen auch Lehrpläne zu berücksichtigen.“ Das Museum sei ein ausserschulischer Lernort geworden. Wobei „ausserschulisch“, strenggenommen, ja gar nicht stimmt.

 

Vorbereitung auf die Abschlussprüfung: Lernende erstellen eine Mauer aus Sandstein, der, wie das gesamte Schulhaus, regional beschafft wurde. Bild: Schulmuseum

 

Aktuelle Ausstellung & Jubiläumsfeier

Die aktuelle „Pop-up“-Ausstellung: „Aus dem Boden gestampft“ zeigt unter anderem wichtige Etappen des Projekts Schulmuseum und eine Pisé-Baustelle, wie sie vor 175 Jahren etwa ausgesehen hat (noch bis Mitte Dezember 2022)

 

Samstag, 3. September 2022, ab 15 Uhr

Einweihung des neuen Erlebnisraumes für Biodiversität zusammen mit dem Festakt zum 20-jährigen Bestehen des Schulmuseums.

Das Schulhaus – einige Meilensteine

1833    Einführung der allgemeinen Schulpflicht im Kanton Thurgau

1845    Baubeginn des Schulhauses in Mühlebach, heute Amriswil

1846    Beginn des Schulbetriebs im Schulhaus Mühlebach

1899    Die erste Wasserleitung wird im Schulhaus verlegt.

1910    Das Schulhaus wird elektrifiziert

1917    Erstmal unterrichtet eine Frau in Mühlebach.

1936    Letzte grosse Renovation: Hausfassade, Fenster und Läden

1988    Die letzte Lehrperson zieht nach 66 Jahren in der Lehrerwohnung aus.

1989    Letzter Schultag im Schulhaus Mühlebach

1999    Der bewilligte Abbruch des Schulhauses wird verhindert.

Gründung der Stiftung „Schulmuseum Mühlebach“

2002    Eröffnung des Schulmuseums

 

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