von Bettina Schnerr, 09.09.2022
Hinter den Kulissen von Licht- und Farbenzauber
Einblick in die Denkmalpflege: Ein Sammelband über Glasmalerei im Thurgau verrät mehr über Werke, Kunstschaffende und Entstehungsprozesse und öffnet gar Türen, die sonst verschlossen bleiben. (Lesedauer: ca. 5 Min.)
An Glasmalerein kommt man in diesem Jahr schwerlich vorbei und das ist eigentlich auch mal gut so. Zwar sind sehr viele Glasmalereien öffentlich zugänglich, aber im Gegensatz zu Gemälden oder Skulpturen nimmt man sich in der Regel eher selten Zeit, sie mit mehr Musse zu betrachten und als eigene Kunstform wahrzunehmen. Im diesjährigen Band 23 der Reihe „Denkmalpflege im Thurgau“ dreht sich nun ebenfalls (fast) alles um die fragilen Kunstwerke unter dem Titel „Licht- und Farbenzauber“. Der Band ergänzt im internationalen Jahr des Glases zugleich das Buch und die Forschungsarbeit des Vitrocentre Romont.
Der Beitragsband ist dreiteilig gestaltet. Glasmalereien, die zwischen Hochgotik und Jugendstil entstanden sind, bilden den Schwerpunkt des ersten Teils. Dieser beleuchtet in Teilen sowohl historische Überblicke, als auch vor allem spezifische Aspekte und Personen. Der zweite Teil geht geradewegs in die Moderne und stellt elf Schweizer Kunstschaffende und deren Glasmalereien mit Thurgau-Bezug aus dem 20. Jahrhundert vor. Der dritte Teil fasst – ohne Themenschwerpunkt – den denkmalpflegerischen Alltag der vergangenen Monate zusammen und berichtet unter anderem über Restaurierungen.
Hinter der Schutzverglasung
Über ein besonderes Schmuckstück im Kanton erzählt Sophie Wolf, die am Vitrocentre Romont forscht: Das Chorfenster von St. Laurentius in Frauenfeld-Oberkirch. Es stammt aus der Zeit um bzw. kurz nach 1320 und gehört zu den bedeutendsten mittelalterlichen Glasmalereien des Landes. Während die umfassende Dokumentation des Fensters seit diesem Jahr öffentlich ist, entstanden viele der detaillierten Analysen des Fensters bereits vor zehn Jahren. Wolf stellt das Vorgehen und die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme in ihrem Beitrag genauer vor.
Für 700 Jahre alte Fenster keine Selbstverständlichkeit: In den Bildzonen ist der Anteil an originaler Verglasung und Verbleiung aussergewöhnlich hoch.
Ein weiterer Augenmerk gilt den verwendeten Farben. Vor zehn Jahren stellten die Experten unter anderem fest, dass es kein „Silbergelb“ in den Scheiben gibt. Diese transparente Farbe wurde in der Region erst im späteren 14. Jahrhundert benutzt. Das heisst also nicht nur, dass die Datierung der Frauenfelder Fenster stimmig ist. Das heisst auch, dass in späteren Jahrhunderten nicht mit anderen Techniken nachgebessert wurde oder etwas erneuert werden musste – jedenfalls nicht in Gelb.
Ein Glücksfall für die Denkmalpflege
Warum sich das Fenster so ausgezeichnet erhalten hat, hängt mit baulichen Veränderungen in der Kirche zusammen, die über Archivrecherchen rekonstruiert wurden. Vermutlich verschwand das Fenster irgendwann hinter einem barocken Hochaltar und wurde im 17. Jahrhundert zudem von aussen zugemauert. Diese Entscheidung – warum auch immer sie getroffen wurde – half, das gotische Schmuckstück über die Jahrhunderte zu retten.
Erst 200 Jahre später wurde die Mauer abgebrochen und das Fenster restauriert. Inzwischen existieren auch eine äusere Schutzverglasung sowie ein Schutzgitter, die das Fenster vor Witterungseinflüssen und mechanischen Schäden schützt. Sophie Wolf geht davon aus, dass das Kunstwerk bei regelmässiger Überwachung und angemessener Restaurierung noch über Jahrhunderte erhalten werden kann.
Hinter den Schlossmauern
Der Name Emil Otto Tafel heute ist nicht eben geläufig, war aber in der Region im späten 19. Jahrhundert sicher besser bekannt: Der Stuttgarter Architekt (1838-1914) setzte hier in zwei Bauten die grosse Orientbegeisterung der damaligen Zeit um. Nachdem er 1887/1888 den Maurischen Saal für das Hotel Halm in Konstanz realisiert hatte, erhielt er den Auftrag, einen solchen Saal auch für den neu errichteten Ostturm des Schloss Castell in Tägerwilen zu entwerfen.
Während der Konstanzer Raum seine Inspiration vom Maurischen Saal des Zürcher Hotel National (heute Schweizerhof) erhielt, schwebte dem Tägerwiler Auftraggeber Adrian August Gonzalvo Maximilian von Scherer etwas anderes vor: Eine möglichst präzise Wiedergabe der Architektur von al-Andalus, jenem Teil der Iberischen Halbinsel, der bis ins 15. Jahrhundert muslimisch beherrscht war. Wie Francine Giese und Sarah Keller vom Vitrocentre Romont in ihrem Beitrag feststellen, lassen sich die historischen Vorbilder sehr gut identifizieren: die Sala des las Dos Hermanas der Alhambra von Granada und die Vormihrabkuppel der Moschee von Cordoba.
Recherchereise mit dem Auftraggeber
Von Scherer kannt die Gebäude zwar bereits von einer Spanienreise, trat mit seinem Architekten aber eine gemeinsame Recherchereise an. Sie wurde massgebend für die schliesslich realisierte Ausgestaltung der Räume. Zur Reisezeit gab es in den originalen Vorbildern allerdings keine farbigen Verglasungen. Diese hatten wohl exisitert, wie Ausgrabungen zeigen, waren im 19. Jahrhundert aber nicht mehr zu sehen.
Tafel und von Scherer entschieden sich für die Tägerwiler Arbeit für Glasmalereien europäischer Tradition. Hier spielte das damalige Revival dieser Technik eine grosse Rolle. Ausgeführt hat die Fenster der Glasmaler Adolf Kreuzer. Entwürfe mit geometrischem Dekor von ihm haben sich in der Zentralbibliothek Solothurn erhalten.
In diesem Stil umgesetzt wurde schliesslich aber nur eines der Fenster. Für alle anderen forderte der Auftraggeber ein florales Design an, das der Mosaikverkleidung der Cordobeser Moschee entnommen wurde. Dafür gab es in Europa detaillierte Vorlagen durch Bildtafeln und Illustrationen, an denen sich Kreutzer für seine Fenster orientieren konnte.
Für Kreuzer blieben die maurischen Fenster eine Ausnahme im Portfolio. Zwar gibt es weitere Entwürfe, die aber nicht zugeordnet werden können. Der Zürcher Handwerker arbeitete vorrangig zum Beispiel mit Erkerfenstern, Wappenscheiben oder Kirchenfenstern. Im Thurgu bekannt, wenn auch nicht immer erhalten, sind Glasmalereien in Diessenhofen und Weinfelden.
Hinter Ateliertüren
Wie Glasmalwerkstätten über die Jahrhunderte hinweg gearbeitet haben, ist durch verschiedene, erhaltene Unterlagen dokumentiert. Wenngleich auch gilt, dass je älter, desto weniger Material sich erhalten hat. Insofern bietet der Ateliernachlass von Heinrich Stäuble (1926 – 2016), der unter dem Künstlernamen „Stäubli“ gearbeitet hat, einen sehr umfassenden Einblick in die Karriere eines Glaskünstlers und sein Schaffen. Die Kunsthistorikerin Laura Hindelang, die in Bern am Institut für Kunstgeschichte forscht, arbeitet diesen Nachlass auf. Mit über 40 Arbeiten spielte Stäubli eine wichtige Rolle in der zeitgenössischen Kunstlandschaft und ist mit einigen Werken auch im Thurgau vertreten.
Die Glasmalerei an sich ist schon vielseitig, da sie bildende Kunst und anspruchsvolles Handwerk verbindet und vielseitig war auch das Schaffen von Stäubli. Zu seinem Repertoire gehörten Wappenscheiben für Vereine, Privatpersonen oder Gemeinden ebenso wie Aufträge im Bereich Architektur. Dazu gehörten sowohl Kirchenfenster als auch öffentliche Bauten, wie das Sekundarschulhaus Schönau in St. Gallen. Anhand der Werke von Stäubli, der bis 1995 in der Glaskunst aktiv blieb, lassen sich auch einige Veränderungen in der zugehörigen Technik dokumentieren.
Glasfassung in Beton
Ein gutes Beispiel dafür bietet der erste Architekturauftrag aus dem Thurgau, den der Künstler für sich entscheiden konnte. Die erst 1961/1962 entstandene katholische Kirche St. Jakobus in Steckborn erhielt von Stäubli einen Kreuzweg mit sieben Stationen, der in die umlaufenden Fensterbänder aus Glasbausteinen integriert wurde.
Wie Hindelang feststellt, spiele hier die farbliche Komposition eine grosse Rolle: Während sich die Jesusgestalt in weiss und rot wiederholt, sind die umgebenden Formen in Blau- und Grüntönen gestaltet. Auffallend ist die sogenannte Betonverglasung, die in den 1930er Jahren aus Frankreich in die Schweiz kam und ihre Hochzeit zwischen den 1960er und 1980er Jahren erlebte. Im Vergleich zu frühreren Bleifassungen mit uniformen Breiten kann Beton in unterschiedlichen Formen gegossen werden und die Fugen selbst werden zum gestalterischen Element. Für diese Technik erstellte Stäubli gar eine Art erläuterte Fotoreportage, die im Atelier als „Lehrbuch“ diente.
Auch beim Glas entschied sich der Künstler für eine Besonderheit: Das so genannte Dallglas wird in Formrahmen handgegossen. Über dessen Grundplatte lässt sich die Oberflächenstruktur von glatt über wellig bis sehr rau variieren. Zusätzlich kann die Oberfäche Unregelmässigkeiten wie Blasen oder Schlieren aufweisen, was dem späteren Motiv Lebendigkeit verleiht. Bei der Steckborner Bildergruppe sind beide Effekte, Betonverglasung und Dallglas, harmonisch miteinander kombiniert.
Hinter den Dokumenten
Ein letzter und kurzer Blick gehört dem dritten Teil des Sammelbands. Die Dokumentation der abgeschlossenen Restaurierungen zeigt auf eine Arbeit, die Jahr für Jahr viel Abwechslung mit sich bringt. Neben der Restaurierung von Burgen, wie Griesenberg oder Hagenwil, kümmert sich die Denkmalpflege auch um Bauten, die weniger offensichtlich erhaltenswert sind. Dazu gehört die „Späämüli“ in Egnach. Der Holzbau aus dem 18. Jahrhundert ist einer der letzten, die noch an die rege Mühltätigkeit entlang des Hegibachs erinnern. Heute wird der Bau privat genutzt. Auch andere Bauten fallen im Vorbeigehen wenig auf, werden aber angemessen instand gehalten. Beim Romanshorner Schulhaus Spitz aus dem Jahr 1908 ist es gelungen, den alten Bau mit diversen Anpassungen in moderne Schulräume überführen zu können. Auch eine Kreuzlinger Fabrikantenvilla von 1915 wurde restautiert, die des Schuherstellers Louis Raichle.
Licht- und Farbenzauber
Amt für Denkmalpflege des Kantons Thurgau (Hrsg.): Licht- und Farbenzauber
ISBN 978-3-7965-4580-1
Schwabe Verlag, Basel
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