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von Bettina Schnerr, 14.01.2022

Leselandschaften

Leselandschaften
Die in Arbon lebende Autorin Ruth Erat. | © zVg

Mit „Texten & semantischen Typografien“ wartet eine Neuerscheinung aus dem Caracol Verlag auf: Ein Gemeinschaftsprojekt von Ruth und Pablo Erat, das in einem gestalterischen Dialog entstanden ist. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)

Es gibt eine Sparte im Thurgauer Caracol Verlag, die nennt sich WortART, gedacht für Bücher mit einer künstlerisch individuellen Gestaltung. Wo würde das Eratsche Gemeinschaftsprojekt „Einmal schwamm eine Wildsau im See“ besser hinpassen? Wo, wenn nicht hier? Das Buch, im instagrammable Quadratformat, enthält zahlreiche Texte von Ruth Erat, Texte zwischen Kurzgeschichte, Momentaufnahme und Lyrik.

Einzelne Elemente davon, Sätze, Wörter und Fragmente, bilden die Grundlage für die illlustrative Gestaltung des Buchs mit farbigen Typografien. Gestaltet hat sie Pablo Erat, der im Frühsommer 2021 verstorbenene Arboner Buchdrucker und Gestalter. Dabei muss ein interessanter künstlerischer Dialog im kunstschaffenden Eratschen Haushalt bestanden haben, wenn Pablo Erat scheinbar willkürlich Worte aus den Texten von Ruth Erat wählt und sie farblich wie grafisch umsetzt.

Rechts die Geschichte der titelgebenden Wildsau von Ruth Erat, links die grafische Interpretation der Wildsauenjagd auf dem See, wo es irgendwann nur noch im Kreis herum ging. Nicht alle Typos konnte Pablo Erat selbst fertig stellen. Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Lukas Erat die Gestaltung. Bilder: Ruth Erat/Bettina Schnerr

Schreibend unterwegs

Wie der Musiker und Autor Andrin Uetz einmal feststellte, stammt die Inspiration von Ruth Erat als Künstlerin und Schriftstellerin von ihrer Umgebung: „Ihre Welt beschränkt sich nicht auf Bibliotheken und die Schreibstube, vielmehr scheint sie sich den Stoff für ihr Werk auf Reisen und bei Wanderschaften anzueignen.“ Im Buch der schwimmenden Wildsau spiegelt sich das wieder. Die Texte sind sortiert nach Schauplätzen hier am See, im Gebirge und am Meer. Spürbar geprägt von Landschaften und Erlebnissen, die sich über die Jahre eingebrannt haben.

Thematisch trennen sich damit auch die Texte ein wenig. Es gibt einen Bereich des Alltags, einen des Reisens und einen der Sehnsucht. Ideen, die sich dann aber auf verschiedenste Art niederschlagen. Müsste ich die Texte mit Bildern vergleichen, fiele mir Salvador Dalí ein oder René Magritte. Bilder, die manchmal auf Anhieb klar scheinen und deren Klarheit sich mit dem zweiten Blick auflöst.

Andere Texte wirken wie Polaroids mit Momentaufnahmen, die Leser:innen vielleicht an an etwas erinnern, vielleicht auch nicht. Je nachdem, welche ähnlichen Erfahrungen sie mit der Polaroid-Besitzerin teilen.

So soff die Titanic ab: Was bei Ruth Erat durch den Gesamttext als merkwürdiges Ritual erklärt wird, gerät in der Typografie von Pablo Erat zu einem irritierenden Detail. Bild: Caracol Verlag

 

Von Träumen und Erstaunlichem

Ruth Erat deckt historische Momente ab, wenn sie Frauen quer durch die Berge auf Arbeitssuche schickt, ebenso wie Skurriles, wenn Skandinavierinnen nach Weihnachten ihre Tannenbäume kurzerhand aus den schweizerischen Fenstern werfen (keine Sorge, att kasta ut julgranen ist eine reine Redewendung, zur „Tradition“ wurde es 1996 nur von einer originellen Werbeagentur erklärt).

Auch Politisches findet sich. Auf einem Kreuzlinger Balkon unterhalten sich die Leute über den Grenzzaun und das Schicksal des Hitler-Attentäters Georg Elser, der unweit dieses Balkons auf seiner Flucht gefasst wurde. „Der bekannteste Zaun, sagt Elfried, wird durch Kunstwerke ersetzt. Es soll nett aussehen.“

Auf dem Balkon weiss noch niemand von einem Denkmal; erst später gibt es eine Elser-Sondermarke und einen Preis für Zivilvourage. Wie wohl Ruth Erat eine Forsetzung schreiben würde, wüsste sie, dass Grenze und Kunstgrenze, das Elser-Denkmal von 2009, ebenso wie zahlreiche Stolpersteine auf Konstanzer Seite, Teil des Handyspiels Pokémon Go sind, das seine Nutzer mit den Mitteln der Popkultur regelmässig an die Geschichte erinnert?

Der Blick von Elfrieds Balkon: Bambus und Gräser wachsen dank Pablo Erat mitten im Buch aus der Seite. Bild: Bettina Schnerr

 

Das Buch und die Vernissage

Das Buch: Pablo Erat, Ruth Erat: Einmal schwamm eine Wildsau im See. Texte & semantische Typografien. Gestaltung Pablo und Lukas Erat; 152 Seiten. Erschienen im  Dezember 2021 Reihe: Caracol WortArt, Band 2 ISBN: 978-3-907296-12-7
Preis: 34 Franken. Bestellbar direkt über den Verlag.

Buchvernissage St. Gallen: Donnerstag, 20. Januar 2022, 19 Uhr, Kirchhoferhaus, St. Gallen, www.wyborada.ch

Anmeldung: literaturhaus@wyborada.ch

 

Weitere Buchpräsentationen:

März 2022: Arbon art of optic;

Mai 2022: Rheineck, EstEstEst;

 

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