von Barbara Camenzind, 13.03.2023
Kulturverein, günstig abzugeben
Die Gesellschaft für Literatur, Musik und Kunst (GLM) Romanshorn, steht vor grossen Veränderungen. Prägende Köpfe wollen spätestens 2025 aufhören. Wie es weitergeht, ist offen. (Lesedauer: ca.3 Minuten)
Vielleicht werden sie zum hundertjährigen Jubiläum der Gesellschaft für Literatur, Musik und Kunst (GLM) 2025 einfach noch einen roten Ballon aufsteigen lassen. Der aufsteigt und davonfliegt, als letztes Zeichen. Paul Müllers Worte sind nicht fatalistisch auszulegen.
Was die GLM erlebt, erleben derzeit viele Vereine. Zwar gelten Vereine nach wie vor als die probate Struktur, organisatorisch, wie auch finanziell einen fruchtbaren Boden für Kulturschaffen zu generieren, doch finden sich immer weniger Leute dafür, die sich in solchen Strukturen engagieren wollen. Das bestätigt auch Christian Brühwiler. Die beiden alten Freunde wollen jedoch nicht die Asche betrauern.
Erstens brennt bei klangreich die musikalische Flamme noch sehr hell. Obwohl die Bereiche Literatur und Kunst eher brach liegen, sind Klangreich und die GLM in Romanshorn traditionell gut vernetzt und aktiv. Auch wirtschaftlich stehe die GLM noch gut da, erklärt Paul Müller. Trotzdem suchen sie jetzt neue Köpfe, die die GLM in die Zukunft führen sollen.
Offen für Neues, Konzept muss überzeugen
Wer weitermachen möchte, kann ein bestelltes Feld zu weiterer Blüte bringen. Und die beiden Männer sind sich einig: Es muss nicht ganz gleich so weitergehen wie bisher, die Statuten bieten Spielraum. Die GLM ist offen für Neues, die Kandidat*innen und ihr Konzept müssen die Generalversammlung überzeugen.
Musiker Brühwiler, der dieses zauberhafte Biotop für unschubladisierbare Musik in der Alten Kirche Romanshorn pflegt, hinterlässt grosse Fussstapfen. Und: Die kleine mittelalterliche Kirche ist Mitakteurin und hat in der Auswahl der Nachfolge wie auch ein Stimmrecht.
Sonderrolle in der Bodenseeregion
Diese differenzierte Wahrnehmung der Ausgangslage zeigt, dass klangreich-Pionier Brühwiler und sein Übergangsbegleiter Müller die GLM nicht einfach als Jekami-Projekt vergeben wollen. Vereine, in denen sich Künstler*innen hauptsächlich selber bewirtschaften, oder die einladen, von denen sie selber eingeladen worden sind, sehen sie kritisch.
Romanshorn, die Schweiz mit ihrem Miliz-System Verein, nimmt für sie in der Bodenseeregion eine Sonderrolle ein. Das erleben die beiden jeweils, wenn sie im Rahmen der Planung des Bodenseefestivals mit Kulturveranstaltern vom deutschen Ufern zusammentreffen, die von den Kommunen angestellt sind.
Vier mögliche Übergangsszenarien
Präsident Paul Müller hat für die Zukunft der GLM Szenarien formuliert. Eines setzt auf Kontinuität, in der klangreich als regionale Veranstaltungsreihe erhalten bliebe. Inhaltlich und organisatorisch würde sich wenig verändern. Zweitens, die Zäsur: Nach dem 100 Jahre Jubiläum stellt der Vorstand seine Tätigkeit ein.
Drittens, die Orientierung an Bedürfnissen mittels Umfrage, Gesprächen mit der Stadt, daraus resultierend eine Neuausrichtung in Bezug auf Räume und Veranstaltungsart (Festivals) neben anderen Veranstaltern. Viertens könnte die GLM aber auch zum regionalen Netzwerkplayer werden. Paul Müller stellt ein Bedürfnis nach stärkerer Zusammenarbeit fest.
Mehr Kooperationen als ein Ziel
Viele Veranstalter haben sich stark profiliert, das sei eine Chance, gleichzeitig sehe er das Nebeneinander auch als ein Handicap. Klangreich böte so Kooperationen mit anderen Kulturveranstaltern in der Ostschweiz an. Was bedeuten würde, dass auch bei den Kantonen, den Stiftungen ein Paradigmenwechsel stattfinden müsste, wie beispielsweise einem Kooperationstopf, aus dem solche Projekte gefördert würden.
Bei der nächsten Generalversammlung der GLM, die im Oktober/November 2023 stattfindet, wird der Weg in die Zukunft aufgegleist. Das Ziel: Nach dem Jubiläum 2025 wird die GLM spätestens an eine Nachfolge übergeben, oder die Vereinstätigkeit wird eingestellt.
Aufhören: ja. Aufgeben: nein
Fazit: Die GLM kann sich glücklich schätzen, dass dieser Transformationsprozess so achtsam und realistisch begleitet wird. Kulturschaffen, vor allem regionales Kulturschaffen lebt von den Menschen, die Projekte beleben. klangreich lebt durch die Person Christian Brühwiler, der einerseits als Musiker und als Veranstalter über ein hervorragendes Netzwerk in einem Feld der Musik verfügt, das sowohl Klassik- und Jazzfans sowie Liebhaber der experimentellen und alternativen Volksmusik anspricht. Selbst der grosse Michel Godard wird sich in dieser Saison in der Alten Kirche die Ehre geben. Darum ist es als Nachfolgende(r) gar nicht möglich, alles ganz gleich zu machen.
Es liegt im Wesen der Institutionen, sich entwickeln zu müssen, wenn es weiter gehen soll. Ob mit einer Nachfolge in der GLM als Konzertveranstalter der Name klangreich bleibt, ist offen.
Vielleicht kommt ja jemand, der die Konzerte in der Alten Kirche neu denkt, der die Möglichkeiten der Gesellschaft für Literatur, Kunst und Musik etwas anders vernetzt. Vielleicht wird sich auch formal etwas ändern, mit einem jungen Kollektiv, was ein dynamischerer Einsatz von Handelnden mit sich bringen würde, als eine Vereinsstruktur. Auf jeden Fall ist so ein „Wie weiter“ der GLM eine Traumausgangslage für Kulturschaffende, etwas zu bewegen. Hoffentlich wird die Chance genutzt.
Wer übernehmen möchte, kann sich hier melden
Interessierte Kulturschaffende, Künstlerkollektive, Musiker*innen können sich mittels Kontaktformular bei der GLM melden. Anmeldefrist gibt es keine, die eingereichten Konzepte müssen die Generalversammlung im Oktober/November 2023 überzeugen.
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