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09.07.2020

Jenseits aller Klischees

Jenseits aller Klischees
Eugénie de Montijo – Kaiserin der Franzosen, 1856 | © Von Gustave Le Gray - [1], Gemeinfrei

Vor 100 Jahren, am 11. Juli 1920, starb die letzte französische Kaiserin. Eugénie de Montijo lebte auf dem Arenenberg, war Modeikone und politische Hardlinerin gleichermassen. Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseum Thurgau, erinnert an eine aussergewöhnliche Frau.

Man kann es eigentlich nur als Wink des Schicksals bezeichnen, dass im Sommer dieses Jahres auf Schloss Arenenberg von ARTE / 3Sat / France 2 und ZDF die grosse Spielfilmdokumentation über die Gründung des Deutschen Reiches (18. Januar 1871) gedreht wird. Eugénie, die letzte französische Kaiserin (* 5. Mai 1826 in Granada; † 11. Juli 1920 in Madrid) spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Am 11. Juli 1920, also vor 100 Jahren, starb sie in ihrem Heimatland Spanien. Eugénie de Montijo, eigentlich María Eugenia Ignacia Agustina de Palafox Portocarrero de Guzmán y Kirkpatrick. Bis heute gilt sie als eine der am wenigsten fassbaren Frauen der Weltgeschichte. Jean Cocteau, der exzentrische französische Universalkünstler und unvergessene maître de plaisir von Paris, traf die im Exil lebende Monarchin vor ihrem Tod in Südfrankreich und erinnerte sich während eines Interviews an eine mehr als ungewöhnliche Frau:

Energische Ausstrahlung und viel auf den Beinen: Kaiserin Eugénie war bis ins hohe Alter unternehmungslustig und reise auf ihrer Yacht unter anderem bis Sri Lanka Bild: Bettina Schnerr; aus der Videopräsentation der Sonderausstellung.

Erinnerungen von Jean Cocteau

«Ich hatte sie am Cap Martin kennen gelernt, sie hatte eine Villa am Cap Martin. Sie sah aus wie ein alter spanischer Priester, ihre Augen waren noch stark geschminkt, wie die von Frauen bei Stierkämpfen. Sie lachte sogar wie die Frauen bei den Stierkämpfen, laut und heiser. Sie hasste Blumen. In ihrem Garten gab es nur Kakteen und Felsen. Sie hatte einen Stock, auf dem sie sich stütze, und mit diesem Stock köpfte sie die Blumen, wenn sie eine sah. Ich war sehr, sehr jung, ein junger Dichter. Und die Kaiserin hat eine Blume gepflügt. Ich dachte, sie würde sie niedertrampeln. Es war die Blüte eines Seidelbastes. Sie steckte sie an meinem Revers und sagte: «Ich besitze nicht mehr die Macht, irgendjemanden zu dekorieren, aber ich verleihe Ihnen diese Blume». Danach dachte ich, ich könnte mich zurückziehen, aber keineswegs, sie war stärker als wir alle. Sie hat mich mit ihrem Gefolge bis zu meinem Hotel begleitet. Anschliessend habe ich sie bis zur Villa Cyrnos zurückbegleitet. Dann wollte sie mich nochmals bis zum Hotel begleiten. Sie war unermüdlich, sie war sehr, sehr alt, aber sehr leichtfüssig. In ihrem Garten, der steil am Meer war, wirkte sie wie eine Ziege, eine Bergziege.»

Stellt man sich so eine Kaiserin vor? Wo bleibt das von uns verinnerlichte und durch Romy Schneider ("Sissi") geprägte Bild einer jugendlich-heiteren Kaiserin? Es trifft auf Eugénie wohl nicht zu!

Obwohl sie aus dem spanischen Hochadel stammte, genoss Eugénie de Montijo keine standesgemässe Erziehung. Ihre Bildung wurde allerdings stark durch die beiden mit ihrer Mutter befreundeten französischen Schriftsteller Prosper Merimée (1803-1870) und Stendhal (1783-1842) beeinflusst. Verglichen mit ihrer älteren Schwester (Paca, Herzogin von Alba 1825-1860) soll Eugénie ein vorlautes, wenig reflektiertes, dafür aber selbstbewusstes Wesen besessen haben.

Links: Kaiserin Eugénie Ausschnitt aus dem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, das Eugénie als Kaiserin im Krönungsornat zeigt. Rechts: Eugénie als junge Frau Franz Xaver Winterhalter aus Menzenschwand im Schwarzwald stieg zu einem der gefragtesten Porträtmaler Frankreichs auf. Wer auf sich hielt, beauftragte ihn mit einem Porträt, so auch die junge Kaiserin Eugénie. Das Bild entstand um 1855. Bilder: Napoleonmuseum Thurgau

Innen- und aussenpolitische Hardlinerin

Für damalige Verhältnisse relativ spät, heiratete Eugénie 1853 den 18 Jahre älteren französischen Kaiser Napoleon III. Während Napoleon die Ehe als Liebesheirat bezeichnete (einem Vertrauten gegenüber äusserste er, "je suis pris" – "ich bin von Kopf bis Fuss verliebt"), scheint es von ihrer Seite eher eine Vernunftsehe gewesen zu sein, die von Teilen des napoleonischen Hofes abgelehnt wurde.

Als Kaiserin repräsentierte sie Frankreich bis in den Preussisch- (oder Deutsch-) französischen Krieg von 1870. Während der Regierungszeit ihres Mannes fungierte sie mehrfach als Regentin. Im Gegensatz zu Napoleon III. favorisierte sie eine absolutistische Staatsform und zählte innen- wie aussenpolitisch zur Fraktion der Hardliner. Ihr erklärtes Vorbild war und blieb die während der französischen Revolution hingerichtete Königin Marie-Antoinette. Auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Louis-Napoléon (Loulou 1855-1879) änderte nichts an ihrer Einstellung.

Eugénie als Modeikone

Die als hübscheste Frau ihrer Zeit geltende Kaiserin beeinflusste anfänglich stark das Modeempfinden und den Geschmack Europas. Bewusst liess sie sich als das Gesicht des Zweiten Kaiserreiches inszenieren. So trug sie zur positiven und friedlichen Ausstrahlung des wiedererstarkten napoleonischen Frankreichs bei. Später löste allerdings die neun Jahre jüngere Kaiserin Elisabeth von Österreich (Sisi 1837-1898) Eugénie in der Funktion einer frühen Modeikone ab. Das Verhältnis der beiden Monarchinnen war deshalb zumindest anfänglich auch von einer gewissen Rivalität geprägt. Ein Gegensatz, der im Alter aber keine Rolle mehr spielte.

Auf Anraten der englischen Königin Victoria (1819-1901) begann sich Eugénie zusehends mit politischen Fragen zu beschäftigen. Der Kaiser vertraute zunächst ihren Entscheidungen zumal er krankheits- und kriegsbedingt die Regierungsgeschäfte immer wieder nicht wahrnehmen konnte. Eugénies politisches Handeln lässt sich nur schwer einordnen. So lehnte sie zu Beginn ihrer Ehe Kriege ab und nannte jeden Gefallenen einen Sohn von ihr. Später forcierte sie aber das militärische Engagement Frankreichs in Mexiko und nicht zuletzt den Waffengang gegen Preussen 1870. Für sie die Hoffnung, ein absolutistisches Frankreich als Weltmacht zu etablieren und so alle innenpolitischen Gegner zum Schweigen zu bringen.

Kaiserin Eugénie um 1880. Bild: Von W. & D. Downey - Old photo, Gemeinfrei

Warum sie den Ausbruch des Ersten Weltkriegs begrüsste

Nach der überraschenden Niederlage von 1870/71 pflegte die mittlerweile gestürzte Kaiserin ohne Skrupel einen freundschaftlichen, ja teilweise sogar vertrauten Umgang mit den Vertretern der deutschen Monarchien. Gleichzeitig begrüsste sie den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und zögerte nicht, den Friedensvertrag von Versailles (1919) massiv zu Ungunsten der Verlierer zu beeinflussen. Wie bekannt, schuf sie damit eine der Grundlagen für die weitere politische Entwicklung in Europa bis hin zum Zweiten Weltkrieg.

Schloss Arenenberg und den Bodensee lernte Eugénie erstmals beim gemeinsamen Besuch des kaiserlichen Paares im Jahr 1865 kennen. Wie es scheint, wusste sie allerdings schon früher von der Bedeutung der Liegenschaft für Napoleon III. Die immer wieder geäusserte Vermutung, die Kaiserin habe das Schloss selbst zurückgekauft und ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt, klingt zwar romantisch, lässt sich aber leider nicht belegen.

Im Krönungsornat majestätisch auf dem Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, im Thurgau „bii de Lüt“: Eugénie war für die Menschen der Region eine Kaiserin zum Anfassen. Bild: Bettina Schnerr

Der Arenenberg? Interessiert sie erst nach dem Tod ihres Mannes

Von Interesse scheint das Thurgauer Gut für die mittlerweile im englischen Exil lebende Kaiserin-Witwe erst nach dem Tod ihres Mannes (9. Januar 1873) geworden zu sein. Er hatte sie zur Alleinerbin bestimmt. Schon im gleichen Jahr reiste sie mit dem gemeinsamen Sohn dorthin und etablierte Arenenberg als Sommerresidenz ihres bis heute unterschätzten Hofes. Eugénie orientierte sich nun am Vorbild ihrer Schwiegermutter Hortense und bereitete ihren Sohn auf sein künftiges Leben als Monarch vor.

Als eine Art Elternhaus bildete das Schlossgut in den folgenden fünf Jahren die Kulisse für napoleonische Bemühungen, Frankreich erneut in ein Kaiserreich zu verwandeln. Ob der Kaiserliche Prinz den Vorstellungen seiner Mutter wohl gefolgt wäre? Welche Regierungsform hätte er gewählt? Den von seiner Mutter präferierten Absolutismus oder eher die von seinem Vater im Alter bevorzugte konstitutionelle Monarchie? Wir wissen nur, dass Vater und Sohn sich emotional näherstanden, als Mutter und Sohn. Der überraschende Tod des Kaiserlichen Prinzen in den Reihen britischer Kolonialtruppen (Südafrika/Zululand, 1. Juni 1879) beendete diese Ambitionen.

«Sie war eine extrem pflichtbewusste und dynastisch denkende Frau, die aber mit ihrer Aufgabe als Kaiserin wahrscheinlich überfordert war.»

Christina Egli, wissenschaftliche Leiterin des Napoleonmuseums (Bild: Bettina Schnerr)

Arenenberg, das Elternhaus ihres Mannes, spielte nach dem Tod des Sohnes nur noch eine untergeordnete Rolle für Eugénie. Sie einigte sich mit dem republikanischen Frankreich und erhielt ihr Vermögen und ihre Liegenschaften zurück. Im Gegenzug unterstützte sie die häufig gebrauchte Behauptung (heute würde man das Fake News nennen) der Dritten Republik, ihr Mann habe den Krieg gegen Preussen/das Deutsche Reich verloren. Ihr traumhafter Reichtum erlaubten es ihr, sich in England beziehungsweise Südfrankreich eigene schlossartige Landsitze zu errichten. Wenn sie sich dort nicht aufhielt, reiste sie bis zu ihrem beständig umher.

Wer war nun diese Frau? Christina Egli, wissenschaftliche Leiterin des Napoleonmuseums und intime Kennerin der Kaiserin meint: «Sie war eine extrem pflichtbewusste und dynastisch denkende Frau, die aber mit ihrer Aufgabe als Kaiserin wahrscheinlich überfordert war. Dazu kamen die beständigen persönlichen Kränkungen durch die Familie Bonaparte und nicht zuletzt durch die notorische Untreue ihres Mannes. Nachdem das alles vorüber war, konnte sie ihre Persönlichkeit frei entfalten und zu dem werden, was sie eigentlich war. Eine humorvolle Frau, die auch über sich selber lachen konnte.»

 

Der Autor und die Ausstellung

Der Autor: Dominik Gügel (*1962) geboren und aufgewachsen in Konstanz. Nach dem Abitur Offiziersausbildung bei der Bundeswehr. Anschliessend Studium der Geschichte und Politischen Wissenschaften an der Universität Konstanz. Daneben Ausbildung und praktische Arbeit im Bereich Denkmalpflege / Restaurierung. Nach dem Studium Selbständigkeit im Bereich Kultur und Tourismus. Parallel Aufbaustudium der Kunstgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Zürich. Seit 1998 am Napoleonmuseum Arenenberg, seit 2000 dessen Direktor. Leitender Militärhistoriker (d. Res.) und Dozent an der Offizierschule des Heeres in Dresden. Publikationen zu den Themenbereichen: Regionalia, Napoleonica, Militärgeschichte, Kultur-Tourismus. Mitarbeit in entsprechenden Fachgremien.  

 

Die Ausstellung: Das Napoelonmuseum Thurgau widmet Kaiserin Eugénie derzeit eine Ausstellung. Unter dem Titel „Eine Kaiserin bringt Kohle“ kann man die Regentin besser kennenlernen. Unsere Besprechung der Schau gibt es hier. Die Ausstellung ist noch bis zum 18. Oktober geöffnet. Die Öffnungszeiten im Napoleonmuseum: April bis September: Täglich, 10 bis 17 Uhr; Oktober bis März: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Montag Ruhetag // Geschlossen: 23. Dezember 2020 bis 7. Februar 2021.

Video aus der Ausstellung von arttv.ch

 

 

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