von Bettina Schnerr, 30.06.2020
Eine Kaiserin zum Anfassen
Kaiserin Eugénie, die letzte französische Monarchin, schenkte 1906 dem Kanton Thurgau mit ihrem umfangreichen Besitz Arenenberg ein veritables Vermögen. In der Sonderausstellung „Eine Kaiserin bringt Kohle“ lernt man Eugénie und den Weg bis zu dieser Entscheidung ein gutes Stück besser kennen.
Das Glück des Kantons beginnt mit amtlichen Floskeln: „Zu wissen sei, dass bei der Notariatskanzlei des Kreises Kreuzlingen folgender Schenkungskontrakt eingelegt wurde ...“ heisst es, bevor der Schreiber säuberlich alle acht Posten aufzählt, die zur Schenkung der französischen Kaiserin Eugénie an den kantonalen Fiskus gehören. Für eine solch generöse Tat gab es nur kein geeignetes Formular, sodass der Bürokratie Genüge getan wurde, indem sämtliches „Kaufen“ akkurat gestrichen und mit „Schenkung“ überschrieben wurde. Mit 200.000 Franken Wert bezifferte man im Vertrag alleine das Schlösschen und die Gutsgebäude. Dazu noch über 75'000 Quadratmeter Land mit Acker, Reben, Wiesen und Park.
Die aktuelle Sonderausstellung des Napoleonmuseums, die zum Ausstellungsprojekt „Thurgauer Köpfe“ gehört, zeichnet die Geschichte der Kaiserin Eugénie nach. Sie tastet sich an jenen historischen Moment heran, an dem sich die Monarchin von ihrem Besitz trennte. Der Titel „Eine Kaiserin bringt Kohle“ bezieht sich nicht nur auf die schon genannten Immobilien. Viel mehr „Kohle“ steckt im Interieur und den beweglichen Besitztümern, die Eugénie auch nach ihrem Abschied zum grössten Teil in Arenenberg liess. Zu ihrem Besitz zählten wertvolle alltägliche Gegenstände — wir sprechen hier schliesslich von einem europäischen Monarchenhaushalt, wo Sets für ein Waschtisch aus Silber bestehen konnten und Beistelltische mit filigranen Intarsien verziert waren.
Video: arttv.ch über die Ausstellung im Napoleonmuseum
Die französische Kaiserin ein „Thurgauer Kopf“?
Dazu kommen zahlreiche Kunstgegenstände aus den verschiedensten Bereichen. Die so genannten Troubadour-Stil-Gemälde von Eugénie bilden die drittgrösste Sammlung dieses Genres weltweit. Dazu Schmuck, Porzellanfiguren und -geschirr, exklusive Glaswaren, Chinoiserien oder Prunkwaffen. „Das meiste davon lagert im Depot,“ verrät Kuratorin Christina Egli. „Für die Sonderausstellung haben wir einige Stücke davon ausgewählt, um Alltagsgegenstände, aber auch Dekorationen zeigen zu können, die wir sonst nicht im Haus haben. Doch für Eugénie waren diese Gegenstände Alltag, zumal die Zimmer früher auch viel voller gestellt waren als wir das heute kennen.“
Doch wie wird aus der gebürtigen Spanierin Eugénie de Montijo ein Thurgauer Kopf? Das hängt mit Louis Napoléon Bonaparte zusammen, dem späteren Napoléon III. Dessen Mutter, Hortense de Beauharnais, kaufte das Anwesen Arenenberg 1817, nachdem die Familie bereits mehrere Jahre unter anderem in Konstanz im Exil gelebt hatte. Ab 1823 wohnten die Bonapartes dauerhaft hier. Die Verbundenheit zur Region führte dazu, dass Louis Napoléon zwischenzeitlich an der Militärakademie in Thun lernte und 1832 sogar Ehrenbürger des Kantons Thurgau mit Bürgerrecht von Salenstein wurde. Nicht zuletzt geht die Schützengesellschaft Ermatingen auf ihn zurück.
Der Arenenberg als Fixpunkt für die Bonapartes
Die politische Bühne jedoch blieb für Louis Napoléon schwierig: Nach einem Putschversuch ging er in die USA, nach einem zweiten kam er ins Gefängnis und Geldnot sowie der Druck politischer Gegner sorgte dafür, dass er Arenenberg 1843 verkaufen musste.
Doch er tat einen klugen Schachzug und behielt sich ein Rückkaufsrecht vor. Davon machte er umgehend Gebrauch, nachdem er sich 1848 zunächst als französischer Präsident etabliert und 1852 endlich erfolgreich zum Kaiser Napoléon III geputscht hatte.
Eugénie kommt im Januar 1853 ins Spiel, als sie Kaiser Napoléon heiratet. Noch ohne ihren gemeinsamen Sohn Napoléon Eugène Louis Bonaparte besuchen sie Arenenberg im Sommer 1865 zum ersten Mal gemeinsam. Und die Menschen sind ihrem früheren Spielkameraden und Nachbarn ebenso gewogen wie zuvor. Begeistert stellen sie fest, dass der Kaiser immer noch den lokalen Dialekt beherrscht. Mit seinen ehemaligen Jagdfreunden hockt er weiterhin bei Schwarzbrot und Bier und war sich nicht zu fein geworden, selbst auszuschenken.
Prägende Volksnähe
„Die Kaiserfamilie war immer sehr volksnah,“ erzählt Egli. „Der Stil von Hortense prägte Louis Napoléon und das übernahm später Eugenie. Sie verband sich hier mit den Menschen ebenso wie ihr Mann und nahm sich Zeit für Gespräche mit jedermann“. Dazu gehörte auch, dass sich die Familie um die Nöte ihrer Nachbarn kümmerte. Louis Napoléon verschenkte schon als Kind Hosen oder Schuhe an seine Gspänli, wenn die nichts hatten und die Hilfsbereitschaft hielt über die Jahre. Die umliegenden Gemeinden erhielten weiterhin Spenden und auch Einzelne hatten etwas von dem engen Kontakt der Monarchen zur Region. „Mitunter kommen heute noch Leute auf uns zu, die in ihrer Stube ein Stück aus dem Arenenberg haben,“ weiss Egli. „Die Kaiserin verschenkte manchmal Möbel, die bis heute in den Familien weitergegeben werden.“
Von einem französischen Spion, der Eugénie wegen ihrer politischen Ambitionen hinterhergeschickt wurde, ist eine detaillierte Lieferantenliste überliefert: Die Bonapartes besorgten sich praktisch alles vom Brot über den Fisch bis zur nötigen Reparatur in den umliegenden Dörfern. Dieses „buy local“, wie es neudeutsch heisst, sorgt für eine grosse Verbundenheit, erklärt Egli: „Wenn die Familie hier war, arbeiteten immer viele Leute auf dem Gut. Eugénies Vorgängerin Hortense zum Beispiel war damals die grösste Arbeitgeberin und die Leute liessen nichts auf sie kommen.“ Schon gar nicht bei einer Familie, die ihre Kinder für die damalige Zeit ungewohnt bodenständig mit den Dörflern aufwachsen liess. Das bekam dann eben Paris zu spüren und viel mehr als solche Listen kam in Paris kaum an. Die Einheimischen betrachteten die Familie als Ihresgleichen und hielten gegenüber den Fremden dicht.
Arenenberg verliert seine Bedeutung für die Monarchie
Vor allem nach dem Tod Napoléons III 1873 verbrachten Eugénie und der Prinz jeweils monatelang ihre Sommer am Bodensee. Doch der ideelle Wert von Arenenberg änderte sich mit dem Tod des kaiserlichen Prinzen 1879 in Südafrika. Eugénie war noch mehrfach auf Arenenberg, doch der Platz hatte für sie an Nutzen verloren. „Hortense hatte hier ihren Sohn zum Kaiser erzogen und Eugenie folgte ihrem Beispiel,“ erklärt die Napoléon-Expertin Egli. „Er logierte in den Räumen des Vaters, um gewissermassen dessen Geist für seine Aufgabe zu spüren.“ Doch als ihr Sohn starb, war Eugenies Aufgabe als Mentorin des künftigen Regenten erloschen und der „Geist“ der Thurgauer Räumlichkeiten nutzlos.
„Theoretisch hätte ein Verwandter, Prinz Victor, das Erbe antreten können, doch Eugénie ahnte, dass er den Arenenberg verkaufen würde,“ berichtet Christina Egli über das Schicksal der Anlage. Sie weiss aus Unterlagen, dass Victor mit einer Immobilienmaklerin auf Arenenberg angerückt war. Da war Eugénie der Arenenberg als Erinnerungsstätte schon lieber, zumal Napoleon III einige Räume im Schlösschen ohnehin schon seit 1855 als Museum geöffnet hatte. „Da war der Gedanke, die Anlage zu übergeben, gar nicht weit weg,“ sagt Egli. Bis heute führt der Kanton auf dem Gelände das Museum, eine landwirtschaftliche Schule, wie mit Eugénie vereinbart, und auch die jährlichen kirchlichen Messen, die Eugénie zum Gedenken eingefordert hat, gibt es noch.
Sonderausstellung mit kleinen Extras
„Bei den Recherchen für die Ausstellung habe ich eine ganz neue Eugénie kennengelernt,“ findet Christina Egli. „Viele Fotos zeigen eine unternehmungslustige Frau mit viel Humor.“ Besonders beeindruckt hat sie ein Tondokument des französischen Schriftstellers und Malers Jean Cocteau, das in der Sonderausstellung eingespielt wird. Es lässt erahnen, wie viel Energie diese Frau bis ins hohe Alter behalten hat.
Während die Sonderausstellung in den Räumen der Dependance stattfindet, zeigt das Schlösschen zwei zusätzliche Besonderheiten in seiner Dauerausstellung. Das eine ist ein Prunkkleid, das eine Kostümbildnerin nach originalen Vorlagen angefertigt hat: Kleider in diesem Stil trug die Kaiserin gerne. Soeben fertig wurden auch die Privaträume der Kaiserin, in denen man rund eineinhalb Jahre mit der Restaurierung der Tapete beschäftigt war. Wer sich fragt, warum die Ausstellung optisch „zwischen Rosen gebettet“ wird, findet in der Schlafzimmertapete die Antwort.
Die Ausstellung
Die Ausstellung „Eine Kaiserin bringt Kohle“ ist bis zum 18. Oktober geöffnet. Sie gehört zum gemeinsamen Ausstellungsprojekt „Thurgauer Köpfe“, an dem sich neben dem Napoleonmuseum das Naturmuseum, das Museum für Archäologie und das Historische Museum in Frauenfeld sowie das Kunstmuseum Thurgau und das Ittinger Museum in der Kartause Ittingen beteiligen.
Die Öffnungszeiten im Napoleonmuseum: April bis September: Täglich, 10 bis 17 Uhr; Oktober bis März: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Montag Ruhetag // Geschlossen: 23. Dezember 2020 bis 7. Februar 2021
Die sechs kantonalen Museen befassen sich auf unterschiedliche Art und Weise mit Thurgauer Themen, sodass beim Projekt übergreifend und fern der gängigen Stereotypen neue Thurgauer Perspektiven sichtbar werden. Das Ausstellungsprojekt als Ganzes wird zu einem lebendigen Kaleidoskop von Eindrücken, Meinungen und Erfahrungen.
Weitere Beiträge von Bettina Schnerr
- Dreckiges Erbe (20.02.2023)
- Wie hart trifft die Energiekrise die Kulturbranche? (28.11.2022)
- Plötzlich Hauptfigur (14.11.2022)
- Hinter den Kulissen von Licht- und Farbenzauber (09.09.2022)
- Jägerin des verborgenen Schatzes (04.07.2022)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Wissen
Kommt vor in diesen Interessen
- arttv.ch
- Vorschau
- Geschichte
Dazugehörende Veranstaltungen
Ähnliche Beiträge
Erfmotingas
1300 Jahre Ermatingen. Das Buch zum Jubiläum ist mehr als eine blosse Chronik, es ist eine eigene Liebeserklärung an die Geschichte eines Ortes. mehr
Wissen macht glücklich
«Wie wir arbeiten» (2): Kaum jemand schreibt schon so lange für uns wie Inka Grabowsky. Für sie ist das Gefühl, wenn der Groschen fällt, unbezahlbar. mehr
Schauplätze des Zweiten Weltkriegs im Thurgau
Die Frauenfelder Sonderausstellung «Fliegeralarm – Konfliktarchäologie im Thurgau» begibt sich auf Spurensuche. mehr