von Barbara Camenzind, 10.06.2023
Ideen fischen in Fischingen
Entwicklung als Chance: Mit der Abstimmung am 18. Juni über das 127 Millionen-Paket aus dem Verkauf der Anteile der Thurgauer Kantonalbank käme auch das Kloster Fischingen mit 20 Millionen zum Zug. (Lesezeit: ca. 4 Minuten)
Die Natur ist die Tätschmeisterin im Tannzapfenland. Das Klostergebäude mit der prachtvollen barocken Kirche wirkt kleiner, als es wirklich ist. Dabei erinnert die Anlage in seinem Aufbau ein wenig an den St. Galler Klosterbezirk en miniature. Mit einigen Baustellen. Abt Degen ging 1750 um 1770 das Geld aus, den Westflügel auch noch umzubauen. 1848 wurde das Kloster aufgelöst, das Gebäude erlebte eine wechselvolle Zeit mit Privateigentümern, Fabrikanten, in der Bibliothek wurde ein Maschinensaal eingerichtet, es war Kinderheim mit einer nicht ganz einfachen Geschichte.
1977 kehrten die Benediktiner zurück. Bis heute ist Fischingen das einzige aktive Kloster im Thurgau. Mit der Förderschule, der eingemieteten, bestens bekannten Brauerei „Pilgrim“, eigener Schreinerei und der Hotellerie, die bis jetzt vor allem für Seminare und Hochzeiten, vermehrt aber auch für Individualgäste, genutzt wird, sowie einem Kulturangebot, das auf die Gegebenheiten in der zauberhaften Rokoko-Bibliothek und der Kirche abgestimmt ist. So arbeitet der Betrieb mit 120 Angestellten. Beziehungsweise versucht er, zu überleben, wie Geschäftsführer Walter Hugentobler es beschreibt.
Die gute Seele von Fischingen
Seit 140 Jahren agiert der Verein Kloster Fischingen VKF vor Ort als Arbeitgeber. Da sei sie stolz darauf, ergänzt Cornelia Scheiwiller, die für Marketing und Kultur in Fischingen zuständig ist. Der Blick in die Unterlagen zeigt: Der VKF ist viel mehr, als nur ein einfacher Trägerverein. Ideenentwickler, Troubleshooter und vielleicht auch sowas wie die gute Seele in den alten Mauern. Fischingen stand, beziehungsweise steht vor ähnlichen Herausforderungen, wie etliche Bildungshäuser im kirchlichen Kontext.
Im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit, Sanierungsbedürftigkeit und inhaltlicher Ausrichtung musste sich beispielsweise die Zürcher Paulus-Akademie von ihrem ursprünglichen Standort trennen. Die Propstei St. Gerold im grossen Walsertal hat einen etwa 10-jährigen Umstrukturierungsprozess hinter sich, um zukunftsfähig zu bleiben. Fischingen und St. Gerold verbinden zwei Gemeinsamkeiten: Sie liegen ziemlich abgelegen und beide setzen auf die benediktinische Gastfreundschaft.
Räumlichkeiten, denen man nicht alles antun kann
Hugentobler beschreibt es gnadenlos ehrlich: Ein Baudenkmal ist wunderschön, lässt sich aber schwer gewinnbringend betreiben. „Man kann den Räumlichkeiten nicht alles antun“, sagt er. Aber sinnvoller nutzen, das sehr wohl, mit entsprechenden Mitteln. Im kommenden Winter wird die bestehende Hotellerie erweitert und angepasst. Die Mittel dafür kommen aus dem Vermögen des VKF, Stiftungen und Investitionskrediten. Die TKB-Gelder dürfen nicht für den laufenden Betrieb verwendet werden. Das Konzept für den Einsatz der 20 Millionen Franken aus den TKB-Partizipationsscheinen sieht drei Grundpfeiler vor:
1. Die Restaurierung des Westflügels, des ältesten erhaltenen Bauteils des Klosters.
Damit einhergehend eine (neue) Nutzung der im Moment zum Teil brachliegenden Räume. Angedacht sind verschiedene Möglichkeiten: Präsentation sakraler Kunst aus dem Kanton Thurgau, Kunsthandwerkateliers, Wohnungen für Ferien im Baudenkmal, Integration in den touristischen Leuchtturm mit dem übergeordneten Thema „Natur“.
2. Neupositionierung und touristischer Leuchtturm:
Fischingen soll überregional bekannter werden. Das Ökonomiegebäude samt Aussenhof und Umgebung soll neu belebt, sowie der Garten, die Brauerei und die Gastronomie aufgewertet werden.
3. Aufbau einer Fundraising-Organisation für das Kloster Fischingen mit entsprechenden strukturellen und organisatorischen Anpassungen beim Verein.
Evolution und Organisation
Betrachtet man die Institution durch die Brille des anthroposophischen Unternehmensforschers Friedrich Glasl, so befindet sich Fischingen in seiner Evolution in der Differenzierungsphase. Übersicht, Transparenz wird geschaffen, Bereiche entflochten, abgegrenzt, oder neu eingebunden.
Die Herausforderung in dieser Phase heisst Kommunikation nach innen, denn Veränderungen in Arbeitsbereichen sind eine Herausforderung für die Mitarbeitenden. Vor allem, wenn noch nicht ganz klar ist, wie die neu dazu zugewinnenden Gefässe funktionieren werden.
Die Bedürfnisse der Benediktiner nach Ruhe und Kontemplation erzeuge in der jetzigen Situation manchmal Reibungsflächen mit dem laufenden Betrieb
Walter Hugentobler
Beim Gang durch den Westflügel wurde schnell klar: Es ist „sünd und schad”, solch wunderbare historische Bausubstanz (wo haben wir noch Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert im Kanton?) praktisch ungenutzt – oder zu extensiv genutzt bestehen zu lassen. Der Bau verströmt selbst in seiner Baufälligkeit grossen Charme, in seiner herben Kühle erinnert er ein bisschen an die Klosteranlage Mariaberg in Rorschach.
Auch Walter Hugentobler ist anzumerken, wie sehr ihm dieser Teil des Klosters am Herzen liegt. Ungenutzte Bausubstanz nützt niemanden, weder dem Kanton noch der Denkmalpflege, die als Mit-, selten auch als Gegenspielerin, in den Veränderungsprozessen agiert.
Die Benediktinergemeinschaft wird sich im Südwesten der Klosteranlage konzentrieren. Im ersten Moment wirkt das Vorhaben, den Wohnraum der Benediktiner zu entflechten und zu verkleinern etwas irritierend. Ist die Anwesenheit der Mönche nicht mehr wichtig?
Walter Hugentobler verneint vehement und erklärt es so: Die Bedürfnisse der Benediktiner nach Ruhe und Kontemplation erzeuge in der jetzigen Situation manchmal Reibungsflächen mit dem laufenden Betrieb. Mit der neuen Wohnsituation kann ihrem Alltag besser entsprochen werden. Oder um es mit Glasl zu formulieren: Entflechtung schafft neue Synergien. So könnte auch das monastische Erbe heilsam eingebunden werden.
Phänomena im Tannzapfenland
Grundpfeiler zwei entpuppt sich als grosser Innovationsteich mit vielen Ideenfischen. Für die touristische Weiterentwicklung arbeitet der VK mit einer renommierten und erfahrenen Agentur zusammen. Ein geschichtsträchtiger Ort kann spannende Geschichten erzählen – ob das jetzt eine Schatzsuche nach dem Ringlein der heiligen Ida ist, Ateliers für Handwerkskunst und eine sinnvoll inszenierte Natur im Klostergarten.
Hugentobler könnte sich auch vorstellen, die Ideen von Hugo Kükelhaus mit seinem Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne in Fischingen zu installieren. Als Art Phänomena der Natur im Tannzapfenland. Eine Idee, die gerade in pädagogischen Kreisen sicher sehr gut ankommen wird, gilt Kükelhaus doch als Pionier in der Wahrnehmungsförderung.
Erfahrungsangebote, statt reine Erlebnisangebote – das könnte ein Alleinstellungsmerkmal für das touristische Konzept in Fischingen sein. Der VKF steht dazu, dass sie trotz intensiver Diskurse noch kein fertig geschnürtes Paket haben in diesem Bereich. Das Konzept soll achtsam im Spannungsfeld zwischen spirituellem Ort und Tourismus angesiedelt werden und die TKB-Gelder für eine sinnvolle Entwicklung genutzt werden. Die Ergebnissoffenheit ist keine Katze im Sack, sondern soll einen nachhaltigen Entwicklungsprozess bis 2028 gewährleisten.
Neuorientierung für kirchliches Unternehmen
Drittens, das Fundraising: Jeder, der in einer Organisation tätig ist, die mit einer strategischen und operativen Ebene arbeitet und deren Finanzierung über verschiedene Kanäle läuft, weiss, wie arbeitsaufwendig Fundraising ist, wenn es professionell durchgeführt werden soll. Es ist nur mehr vernünftig und gewinnbringend, dass in Fischingen Ressourcen dafür geschaffen werden sollen. Unternehmen mit kirchlichem Background mussten und müssen sich hier neu orientieren.
Die Weiterentwicklung des Klosters Fischingen ist ein spannendes Projekt, das Arbeitsplätze in der Region erhalten und generieren wird. Einfach wird es nicht, aber mit Walter Hugentobler ist ein Mann am Ruder, der die Stürme nicht scheut und der für die Sache brennt. Wenn es ihm und seinen Mitagierenden gelingt, aus dem grossen Ideenpool zur touristischen Weiterentwicklung die stimmigen herauszufischen, dann könnte das Kloster Fischingen vom Denkmal im Wald zum touristischen Leuchtturm im Hinterthurgau werden.
Weitere Beiträge von Barbara Camenzind
- Schläft ein Lied in allen Dingen (13.11.2024)
- Mit leisem Stift und wachen Sinnen (04.11.2024)
- Was Musik kann (14.10.2024)
- Grosser Jazz in kleiner Kirche (01.10.2024)
- Heiliges Theater! (09.09.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kulturpolitik
Kommt vor in diesen Interessen
- Denkmalpflege
- Kulturvermittlung
- Geschichte
- Bildung
- Religion
- Spiritualität
Ist Teil dieser Dossiers
Ähnliche Beiträge
Wie die Kultur auf den Stundenplan kam
Das Ostschweizer Kulturvermittlungsportal kklick.ch feiert zehnten Geburtstag. Anstoss für das Projekt gab der Thurgauer Galerist Adrian Bleisch. Richi Küttel erzählt vom Gestern und Heute. mehr
Was hält uns zusammen?
Die dritte Thurgauer Kulturkonferenz begibt sich auf die Suche nach Zukunftsmodellen für unser Zusammenleben. Die grosse Frage dabei: Welche Rolle kann Kultur in Gemeinschaften spielen? mehr
«Falsch gespart»: Kritik am Sanierungs-Stopp
Pro Infirmis kritisiert den Entscheid des Regierungsrats, das Schloss Frauenfeld vorerst nicht barrierefrei zu machen. Damit würden Menschen mit Behinderung vom Historischen Museum ausgeschlossen. mehr