von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 10.06.2024
«Ich habe meine Arbeit immer geliebt!»
Gabriele Keck war 13 Jahre lang Direktorin des Historischen Museum Thurgau. Jetzt geht sie in den Ruhestand. Ein Abschiedsgespräch über Erfolge, Enttäuschungen und Durchhaltevermögen. (Lesedauer: ca. 7 Minuten)
13 Jahre lang waren Sie Direktorin des Historischen Museums Thurgau - mit welchem Gefühl treten Sie jetzt ab?
Ich gehe mit einem guten Gefühl. Wir haben hier als Team gemeinsam viel erreicht, das Museum steht gut da und jetzt ist ein guter Zeitpunkt zu gehen.
Gar kein bisschen Wehmut zum Abschied?
Doch, natürlich. Ich bin das Museum. Ich habe hier nicht nur gearbeitet, sondern das Museum mit jeder Faser meines Körpers gelebt. Ich habe meine Arbeit immer geliebt, also klar, dass zu so einem Abschied immer auch etwas Schmerz gehört.
Gibt es etwas, das Ihnen besonders fehlen wird?
Die Menschen und meine Mailbox.
Ernsthaft, die Mailbox? Die meisten Menschen wären froh, wenn sie diesen Stressfaktor nicht mehr hätten.
Wenn du jahrelang in so einer Position warst und musstest immer entscheiden und mit dem Dienstende will plötzlich niemand mehr deine Meinung wissen, daran muss ich mich erst gewöhnen. Von einem auf den anderen Tag bist du nicht mehr interessant, hast nichts mehr zu sagen. Das ist schon eine neue Lebenserfahrung.
„Manchmal sind wir Museumsleute nicht anders als Künstler: Die haben ihren Auftritt und wollen beklatscht werden.“
Gabriele Keck, scheidende Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Wie fühlt sich das an?
Das ist ein wirklich komisches Gefühl. Du wirst dein ganzes Leben strukturiert von aussen. Du wirst geboren, kommst in den Kindergarten, deine Eltern strukturieren dein Leben. Dann kommt die Schule, du hast deinen Tagesrhythmus, deinen Plan. Auch im Studium und im Berufsleben geht es so weiter, du bist ständig durchgetaktet. Und im Ruhestand bist du plötzlich nur noch für dich selbst verantwortlich. Nicht mehr fremd bestimmt zu sein, fühlt sich einerseits gut an, macht aber auch ein bisschen haltlos. Mal sehen, wie ich mich als Workaholic da so reinfinde.
Ihr Job war für Sie immer mehr Berufung als Beruf. Wie viel Bestätigung zieht man in so einer Position aus dem Job?
Da sind wir Museumsleute nicht anders als Künstler: Die haben ihren Auftritt und wollen beklatscht werden. Das ging mir ähnlich. Das Publikum ist unser Gegenüber. Das sagt, ob etwas gut war oder nicht. Und klar, wenn die Menschen etwas gut finden, du wohlwollende Rückmeldungen bekommst auf deine Arbeit, dann ist das auch eine Befriedigung, eine Genugtuung, eine Bestätigung für deine Arbeit. Ich habe es geliebt, wenn Programme ausgebucht und Veranstaltungen erfolgreich waren, einfach ein sehr schönes Gefühl, wenn man den Nerv der Zuschauer getroffen hat.
Gabriele Keck (64) ist in der Nähe von Frankfurt am Main geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Universität Freiburg i.Ü. Kunstgeschichte, Mittelalterliche Geschichte und Historische Grundwissenschaften, war unter anderem von 1990 bis 2004 Mitarbeiterin und später Leiterin des Atelier d'archéologie médiévale in Moudon (VD) sowie von 1996 bis 2003 Mitglied der Redaktionskommission der Zeitschrift «Kunst und Architektur in der Schweiz» der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte. Seit 2000 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin Mittelalter des Historischen Museums Bern, ab 2002 Vizedirektorin. Seit 2011 war sie Direktorin des Historischen Museums Thurgau. Ihre Nachfolgerin dort ist Noemi Bearth.
2022 war das Historische Museum Thurgau von allen kantonalen Museen das am schlechtesten besuchte Museum - ärgern Sie solchen Zahlen?
Nein, weil diese Zahlen sehr wechselhaft sind. 2022 lief nicht so gut. Das hatte auch mit den Ausläufern von Corona zu tun: Wir hatten noch keine Grossveranstaltungen gewagt, der ganze Betrieb lief gegen aussen reduzierter. 2023 hatten wir demgegenüber mit fast 18’000 Besuchern einen Besucherrekord. Wir sind also auf einem guten Weg.
„Wir wollen keine Krabbelstube sein und wir sind auch kein Ort für Volksbespassung. Aber trotzdem soll Geschichte hier zeitgemäss und unterhaltsam vermittelt werden.“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Welche Rolle spielen Besucherzahlen allgemein in der Museumsarbeit?
Natürlich sind solche Zahlen wichtig, aber sie sind nicht alles. Unsere Aufgabe ist es, die Geschichte des Kantons zu vermitteln und da ist es in erster Linie wichtig, die richtigen Themen zu setzen, die das Publikum anziehen. Wir wollen keine Krabbelstube sein und wir sind auch kein Ort für Volksbespassung. Aber trotzdem soll Geschichte hier zeitgemäss und unterhaltsam vermittelt werden und die Menschen sollen unser Haus mit einem Erlebnisgefühl verlassen.
Gibt es andere Erfolgskategorien neben den Besucherzahlen?
Qualität sieht man natürlich. Ist eine Veranstaltung schnell ausgebucht? Und was geben die Besucher für ein Feedback? Was hinterlassen sie im Gästebuch? Was schreiben sie uns nach einem Besuch per Mail. Ausserdem machen wir auch regelmässig Feedback-Befragungen bei Schulklassen, den Lehrern, auch bei Privatführungen.
Sie finden Zahlen aber schon auch wichtig: Als Sie vor fast genau 13 Jahren Ihren Job hier antraten, haben Sie erstmal eine Besucherumfrage und -analyse gestartet.
Stimmt, das war eine der ersten Dinge, die ich gemacht habe. Ich kam damals aus Bern, vom zweitgrössten Museum des Landes. Dort habe ich viel über Museen gelernt. Zum Beispiel, dass wir auf dem Freizeitmarkt agieren und das Publikum unsere Kundschaft ist. Also musste ich wissen, was das Publikum im Thurgau von einem Geschichtsmuseum erwartet. Was gefällt ihm hier? Warum kommt es zu uns? Und woher? Ich hatte meine Vorstellung von dem, was ein Museum leisten könnte. Die Besucherstimmen haben mir geholfen, dieses Bild zu schärfen. Hier im Museum konnte ich mich richtiggehend austoben, es gab viel zu tun.
„Nach der Erneuerung der Schlossausstellung habe ich fünfmal gedacht: wie habe ich das nur überlebt?“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Was war die grösste Leistung der vergangenen 13 Jahre?
Schwierige Frage. Die Entwicklung des Schaudepots in St. Katharinental zählt sicher dazu, der Aufbau der gesamten Infrastruktur und die Professionalisierung des Hauses, auch die Entwicklung des Alten Zeughauses zu einem Ort für Sonderausstellungen. Aber wenn Sie mich nach der grössten Leistung fragen, dann ist es, auch aus physischer Sicht, wahrscheinlich doch die Erneuerung und Modernisierung der Schlossausstellung. Das war heftig. Danach habe ich fünfmal gedacht: wie habe ich das nur überlebt?
Was war so kompliziert daran?
So ein Schloss auszuräumen ist per se schon eine grosse Aufgabe. Wir haben keinen Lift im Haus, das heisst alles – das Holz für die Ausstellungsarchitektur, die Vitrinen – mussten von Menschen von Hand in die Ausstellungsräume getragen werden. Und der heisse Sommer 2015 war körperlich sehr belastend. Daneben mussten wir zusehen, die Finanzierung zu stemmen. Aber die eigentliche Leistung war, dieses Schloss neu einzurichten bei null Infrastruktur. Die Bedingungen für Ausstellungen sind schwierig im Schloss. Dass wir das trotzdem geschafft haben, ist einigen wenigen Menschen zu verdanken, die rund um die Uhr hart gearbeitet haben und auch wussten, wie man improvisiert.
Als wir uns das erste Mal unterhielten - es war 2017 und ich hatte gerade frisch angefangen bei thurgaukultur.ch - war die Hoffnung auf einen Erweiterungsbau gross. Jetzt steht er immer noch in den Sternen. Hat die Politik das Museum im Stich gelassen?
Ich habe in Bern gelernt: Nicht jammern, sondern mit Leistung überzeugen. Deshalb war es nie eine Strategie von mir zu sagen: „Erst wenn wir diesen Erweiterungsbau haben, starten wir richtig durch!“ In Bern war klar, dass es eine Volksabstimmung vor einer solchen Investition brauchen würde. Vor solchen Abstimmungen muss man die Herzen der Menschen erobern. Erst dann hat man sie auf seiner Seite. Wir haben also immer versucht, unseren Job bestmöglich zu machen, unabhängig davon, was die Politik entscheidet.
„Ich habe in Bern gelernt: Nicht jammern, sondern mit Leistung überzeugen.“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Trotzdem stelle ich mir dieses Hin und Her in der kantonalen Museumspolitik extrem schwierig vor, auch in der Vermittlung ans Team. Wie geht man als Museumsdirektorin mit solchen Enttäuschungen um?
Ich persönlich habe mich nie von der Politik verschaukelt oder im Stich gelassen gefühlt. Aber es ist schon richtig, da muss man schon viel Enthusiasmus mitbringen. Es ist frustrierend, wenn man viel Zeit in Standort-Evaluationen und Schreibtischarbeit investiert, die dann doch nicht fruchtet. Wir sind hier im Betrieb gewöhnt, effizient zu arbeiten und dass am Ende auch ein Ergebnis herauskommt. Politische Entscheide sind manchmal nicht so berechenbar. Aber bei uns im Team waren immer alle beseelt von ihrer Aufgabe und alle hatten Lust, einen guten Job zu machen. Und uns allen war klar, dass wir das Ziel eines Neubaus nicht schneller erreichen, wenn wir den Kopf in den Sand stecken. Wir haben es immer als unsere Aufgabe verstanden, den Thurgauerinnen und Thurgauern das bestmögliche Angebot unter den gegebenen Bedingungen zu machen. Auch da mussten wir aufgrund der Infrastruktur immer wieder Abstriche haben.
Woran denken Sie dabei?
Es betrübte mich zum Beispiel, dass wir mindestens einmal im Monat auf eine Besucheranfrage zu unserer Zugänglichkeit antworten mussten, dass wir leider keinen Lift haben und nicht barrierefrei sind. Dass wir im Jahr 2024 noch immer dieses Ausschlussverfahren haben, ist bitter.
„Es ist frustrierend, wenn man viel Zeit in Standort-Evaluationen und Schreibtischarbeit investiert, die dann doch nicht fruchtet.“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Nach den neuen Plänen der Kantonsregierung soll der neue Standort in Arbon kein reines Historisches Museum mehr sein, sondern von allen kantonalen Museen bespielt werden. Ist das jetzige Modell eines interdisziplinären Hauses richtig?
Es ist eine kluge Entscheidung, dass man alle Museen dort einbindet, weil diese verschiedene Gebiete beackern, die sich oft gut ergänzen können. Das Programm wird dadurch vielfältiger und man kann auch verschiedene Publika bedienen, denn dann ist für jede Vorliebe etwas dabei. Dazu kommt - es ist auch aus Ressourcengründen klug, mehrere Häuser einzubeziehen. Ein Museum könnte das gar nicht allein stemmen. Weder finanziell, noch personell, noch zeitlich. Dazu sind wir viel zu kleine Häuser. Solch ein Ort muss dauernd bespielt werden, sonst gerät er in Vergessenheit.
Insgesamt gibt es im Moment bei der Finanzierung der verschiedenen Museumsprojekte des Kantons viele Fragezeichen. Kaum etwas von den Plänen wird wie gedacht umgesetzt werden können.
Das ist ein hartes Los für die Museen. Ich wäre für den Moment schon glücklich, wenn die Sanierung des Schlosses in Frauenfeld wie geplant durchgeführt werden könnte. Wenn das nicht käme, das wäre schon herb. Wir sprechen so viel über Inklusion und im Historischen Museum des Kantons müssten wir dann auf weitere Jahre konstatieren - wir können gar nicht inklusiv sein, weil unser Haus nicht barrierefrei ist. Das würde mich sehr enttäuschen.
Die Sanierung und der Neubau des Historischen Museums ist seit Jahren ein grosses Thema im Kanton. Wie die Debatte darum seit 2009 verlaufen ist, bündeln wir in diesem Dossier.
Sie haben sich in Ihrer Amtszeit auch nicht gescheut, kritische Dinge öffentlich zu äussern. Wie kam das im debattenscheuen Thurgau so an?
Ich bin da natürlich über meine Grenzen gegangen, aber das haken wir besser ab. Vielleicht nur so viel: Ich hatte immer, schon als Kind, Mühe damit, wenn man mir das Gefühl gegeben hat, du hast keine Ahnung, du kannst machen, was du willst, aber wo es lang geht, bestimmst nicht du. So ähnlich habe ich mich auch manchmal gefühlt.
Gab es bei all den Enttäuschungen der vergangenen Jahre nie das Gefühl: Dann macht euer Ding doch allein!
Nein. Ich hatte schliesslich eine Verantwortung gegenüber meinem Team und meinem Job. Ich bin zwar Steinbock und gehe gerne durch Wände, aber mit Sturheit kommt man nicht weiter. Ausserdem: Ich hatte viel Gestaltungsspielraum, und es gab auch viele einzigartige Momente in den vergangenen 13 Jahren. Die haben die Enttäuschungen immer wieder ausgeglichen.
„Ich hatte immer, schon als Kind, Mühe damit, wenn man mir das Gefühl gegeben hat, du hast keine Ahnung, du kannst machen, was du willst, aber wo es lang geht, bestimmst nicht du. So ähnlich habe ich mich auch manchmal gefühlt.“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Blicken wir auf die Thurgauer Kulturlandschaft. Wie hat sie sich seit dem Amtsantritt 2011 verändert?
Einiges. Bei den lokalen Museen haben sich einige Häuser sehr gut entwickelt, wenn ich beispielsweise an das Schulmuseum in Amriswil oder das Seemuseum in Kreuzlingen denke. Ich bin auch guter Hoffnung, dass das Typorama entwicklungsfähig ist. Insgesamt ist die Kulturlandschaft vielfältiger geworden, das Angebot ist umfangreicher und attraktiver geworden. Was gleichgeblieben ist - man braucht einen langen Atem, wenn man etwas erreichen will.
Und Menschen, die vorangehen und Lust haben, etwas zu gestalten.
Ja, das ist essentiell. Es braucht Menschen, die machen wollen, die Ideen und Umsetzungsfähigkeit haben. Mit einer Buchhaltermentalität kommt man in der Kultur nicht weit. Kulturangebote finden dann statt, wenn die breite Bevölkerung frei hat. Für diese Menschen müssen wir da sein. Das ist unser Job. Man muss einfach Spass haben an seiner Arbeit und seine Arbeit lieben und dann klappt es auch.
Ist das auch ein Rat, den Sie Ihrer Nachfolgerin Noemi Bearth geben würden?
Nein, ich gebe grundsätzlich keinen Rat. Ich wollte auch keinen Rat bei meinem Start. Das konnte ich in keiner Lebensphase gebrauchen.
„Mit einer Buchhaltermentalität kommt man in der Kultur nicht weit.“
Gabriele Keck, ehemalige Direktorin des Historischen Museum Thurgau
Wie geht es für Sie jetzt weiter? Kommt nun der Ruhestand oder wartet schon eine neue Aufgabe?
Ich bin offen für alles. Aber für den Moment gilt erstmal: Ich habe diese Entscheidung hier aufzuhören nicht getroffen, um mich direkt wieder in ein neues Berufsleben zu stürzen. Ich bin selbst gespannt, was die Zeit bringen wird.
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