von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 01.06.2021
Heisser Sommer
In vier Monaten stimmen die KreuzlingerInnen über die Zukunft ihres Kulturzentrums Kult-X ab. Während die Betreiber mit Inhalten punkten wollen, beginnt der öffentliche Streit über das Projekt. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)
Wer in diesen Tagen das Kreuzlinger Kulturzentrum Kult X besucht, der kann dort viel Gewusel erleben: In einem Raum bereiten sich MusikerInnen um den Jazzpianisten Claude Diallo auf ihr Konzert samt Livestream vor, in einem anderen, eine Etage darüber, bietet die Tänzerin und Tanzpädagogin Claudia Heinle Kurse an und noch einen Raum weiter kann man auf junge BreakdancerInnen treffen, die hier ihren Einstiegskurs bei der Musikschule Kreuzlingen absolvieren.
Wenn man so will, dann wird ein Teil der Vision (siehe Infokasten am Ende des Textes) dieses jahrelang geplanten Kulturzentrums nun allmählich Realität: Es entsteht ein Ort, der Heimat ist für sehr verschiedene Kulturinitiativen. Ein Ort, in dem das Kreuzlinger Kulturleben auf ganz neue Weise gebündelt wird.
Dass das Projekt nach all den mühsamen Planungsjahren nun tatsächlich Fahrt aufnimmt, liegt massgeblich an zwei Personen: Christine Forster und Stephan Militz. Die Betriebsleiterin des Kult X und ihr Partner treiben das Projekt - unterstützt von zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen - mit immer neuen Ideen und grossem Einsatz voran.
„Es ist schön zu sehen, wie die theoretische Vision inzwischen zur gelebten Praxis hier wird.“
Christine Forster, Betriebsleiterin (Bild: Michael Lünstroth)
Trifft man die beiden nun auf den Fluren des Kulturzentrums, dann stehen einem zwei zufrieden aussehende Menschen gegenüber: „Es ist schön zu sehen, wie die theoretische Vision inzwischen zur gelebten Praxis hier wird“, sagt die Musikpädagogin Christine Forster.
Dabei hätte sie durchaus Grund zu hadern. Stadt und Kommunalpolitik haben es den beiden in den vergangenen zwei Jahren nicht gerade leicht gemacht, ein Kulturzentrum aufzubauen. Obwohl sie doch genau dafür den Auftrag von der Stadt erhalten hatten.
Mal wurden Bauanträge zu spät eingereicht, mal wurden Zusagen nicht eingehalten oder Verantwortlichkeiten hin und her geschoben. Im Frühjahr dann der vorläufige Gipfel: Stadt- und Gemeinderat beschliessen, vor allem auf Drängen der bürgerlichen Parteien, das Projekt viel früher als geplant dem Volk zur Abstimmung vorzulegen - am 26. September 2021 (wie es dazu kam, steht hier).
„Was wir eigentlich im Laufe von 18 Monaten aufbauen wollten, muss nun in vier Monaten geschehen.“
Stephan Militz, Verein Kultur worx
„Für uns bedeutet das vor allem: Was wir eigentlich im Laufe von 18 Monaten aufbauen wollten, muss nun in vier Monaten geschehen“, beschreibt Stephan Militz die konkreten Konsequenzen dieses politischen Beschlusses für das Kult X. Denn, so die Überzeugung hier, nur ein funktionierendes und viel bespieltes Kulturzentrum wird eine Chance an der Wahlurne haben. Und so haben Militz und Forster in den vergangenen Wochen das Tempo nochmals angezogen.
Fast täglich gibt es inzwischen Programm im Kult X, beinahe wöchentlich entstehen neue Veranstaltungsideen, das spürbare Pulsieren des Ortes kann man nun auch regelmässig schwarz auf weiss im Programm des Kulturzentrums nachlesen. „Wir haben uns diese Abstimmung zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewünscht, aber wir nehmen das natürlich an und stellen uns der Situation. Im Wahlkampf wollen wir vor allem mit unseren Inhalten überzeugen“, sagt Kult-X-Chefin Christine Forster.
Das Kulturzentrum will mit Inhalten für sich werben
Wie sie sich das vorstellen kann, lässt sich unter anderem dem Programm für den Sonntag, 6. Juni, ablesen: Unter dem Motto „Kult-X i(s)st Vielfalt“ gibt es den ganzen Tag Veranstaltungen - in Kooperation mit lokalen Gastronomen: Erst ein veganer Brunch, dann liest die Autorin Martina Clavadetscher, dazu kommen Film und Theateraufführungen bei denen der amerikanische Dramatiker Neil LaBute im Mittelpunkt steht - fast wirkt es so als wollte das Kult X an einem Tag zeigen, was es alles für die Stadt sein könnte: Begegnungsort, Kulturort, Unterhaltungsort.
Ganz ohne politische Überzeugungsarbeit wird es im Abstimmungskampf aber trotzdem nicht gehen, schliesslich erreicht man nicht alle über die Inhalte. Diese politische Arbeit soll vor allem das Pro-Komitee leisten. Das konstituiert sich gerade. „Wir konnten schon mehr als 60 Personen dafür gewinnen“, schreibt Erika Linder aus dem Vorbereitungsteam «Pro-Komitee Kult-X Kreuzlinger Kulturzentrum» auf Nachfrage. Bis Mitte Juni will das Komitee sein Argumentarium ausformuliert haben. Auch der Trägerverein des Kult X will sich entsprechend positionieren.
Bislang ist noch kein Contra-Komitee bekannt
Von einem Contra-Komitee ist derzeit noch nichts bekannt. Selbst bei der SVP, die die jetzige Volksabstimmung als erste Fraktion gefordert hatte, weiss man über ein solches Komitee nichts: „Mir ist diesbezüglich im Moment nichts bekannt“, schreibt Judith Ricklin, SVP-Gemeinderätin, auf Nachfrage von thurgaukultur.ch.
Was nicht bedeutet, dass es nicht auch Menschen in Kreuzlingen gäbe, die dem Kulturzentrum wenig bis gar nichts abgewinnen können. So hatte der FDP-Stadtrat Marc Portmann in einem Leserbrief an die Thurgauer Zeitung im Mai geschrieben, das Kult X tauge nichts.
Der Streit findet derzeit noch in den Leserbriefspalten statt
Seine Argumentation damals: Weil ein Antrag der Stadt Kreuzlingen für das Kult X bei der Vergabe der TKB-Millionen nicht berücksichtigt wurde, könne das ganze Vorhaben wohl nicht überzeugen. Zwischen Weinfelden (laut Portmann das künftige Kultur-Mekka des Kantons) und Konstanz könne ein Kreuzlinger Kulturzentrum nur scheitern, folgerte der FDP-Mann und Detailhändler. Man solle daraus die Konsequenzen ziehen und „das aussichtslose Projekt“ nicht weiter unterstützen.
Diese, nun ja, eher dünne Begründung wurde wenige Tage später von weiteren Leserbrief-Schreibern zerpflückt. Die gemeinsame Linie dahinter: Marc Portmann hätte sich vor seiner öffentlichen Äusserung besser informieren sollen: „Kompetenz zur Differenzierung erwarte ich von einem Gemeinderat. Und dazu gerne noch etwas Unterstützung für lokale Institutionen“, beantwortete etwa Jürg Brühlmann die Pauschalkritik des FDP-Mannes Portmann. Das kleine Scharmützel deutet an, wie der Wahlkampf in den nächsten Wochen aussehen könnte.
Das Ziel: Mit Vielfalt überzeugen
Christine Forster und Stephan Militz wollen sich davon nicht nervös machen lassen. Sie setzen auf die inhaltliche Stärke des Projektes. „Je mehr hier im Kult X geboten wird, je vielfältiger unser Programm ist, umso eher können wir eine Mehrheit der Stimmbürger von unserem Konzept überzeugen“, sagt Christine Forster. Am 26. September 2021 wird sich zeigen, ob diese Rechnung aufgeht.
Worum es bei der Abstimmung geht
Zwei Dinge stehen zur Abstimmung:
Erstens: Die Überführung des 2008 für 1,7 Millionen Franken von der Stadt gekauften Areals (heutiger Wert: 4,87 Millionen Franken) auf dem das Kult X angesiedelt ist, vom Landkreditkonto in das Verwaltungsvermögen der Stadt. Wichtig hierbei: Die in der Botschaft stehende Summe von 4,87 Millionen ist kein Geld, das fliessen wird, es geht lediglich um eine verwaltungsinterne Umbuchung. Die genannten 4,87 Millionen Franken sind eine Einschätzung des heutigen Wertes des Areals von Experten.
Zweitens: Die Erhöhung des Zuschusses an das Kulturzentrum für die nächsten drei Jahre auf jeweils 250’000 Franken. Insgesamt sollen also bis 2024 750’000 Franken in Entwicklung und Betrieb des Kulturzentrums investiert werden. Mehr als die Hälfte davon (130’000 Franken pro Jahr) geht für die Miete drauf.
Warum kommt das Ganze erst jetzt? Den formalen Akt der Verschiebung vom Landkreditkonto in das Verwaltungsvermögen hätte man schon vor Jahren abschliessen können. Das wurde aber von der Politik versäumt.
Wozu brauchen Städte überhaupt ein Landkreditkonto? Viele Städte und Gemeinden verfügen über ein Landkreditkonto. Es ermöglicht ihnen schneller am Grundstücksmarkt zu agieren und mit privaten Landkäufern mitzuhalten - ohne langwierige Abstimmungsprozesse. „Mit diesem Kredit erwirbt, tauscht und veräussert die Gemeinde zur Förderung einer planmässigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung bebaute und unbebaute Grundstücke innerhalb des Gemeindegebietes, soweit dies im öffentlichen Interesse liegt“, heisst es in dem Reglement über den Landkredit der Stadt Kreuzlingen.
Darin steht auch, dass Grundstücke, „die gänzlich oder teilweise für Zwecke der Stadt verwendet werden (…) sind (…) in das Verwaltungsvermögen der Gemeinde zu überführen.“ Da die Stadt Kreuzlingen an dem Projekt Kult X seit Jahren beteiligt ist, wird diese verwaltungsinterne Umbuchung nun auch beim Schiesser-Areal fällig.
Das Kult X: Vorgeschichte und Vision des Projektes
Die Finanzierung: Die Stadt Kreuzlingen zahlte laut städtischem Budget 2020 104’000 Franken pro Jahr für den Betrieb des Kulturzentrums Kult-X. Mehr als die Hälfte davon (64’000 Franken) ging allerdings für die Miete des Gebäudes drauf. Künftig will die Stadt das Kult-X stärker unterstützen: Der Zuschuss an das Kulturzentrum soll (bei einem Ja im Volksentscheid) für die nächsten drei Jahre (bis 2024) auf jeweils 250’000 Franken im Jahr steigen, insgesamt sollen also bis 2024 750’000 Franken investiert werden. Mehr als die Hälfte davon (130’000 Franken pro Jahr) geht für die Miete drauf. Über diese Summe kann das Volk am 26. September entscheiden.
Auch der Kanton Thurgau unterstützt das Projekt: Insgesamt 170’000 Franken fliessen aus Frauenfeld nach Kreuzlingen. Der Beitrag wurde für die Programme 2021 und 2022 gleichzeitig gesprochen, um während der Coronapandemie die finanzielle Planbarkeit zu erhöhen. Auch in früheren Jahren hat der Kanton das Kult X bereits unterstützt.
Die Vision: Bildende Kunst, Kino, Theater und Musik sollen eine neue zentrale Heimat in dem Kulturzentrum auf dem ehemaligen Schiesser-Areal bekommen. Es soll Platz für Ateliers, Künstlerwohnungen, Proberäume, einen Konzertraum und einen multifunktionalen Theater- und Kinosaal geschaffen werden. Mit eigener Kulturbeiz und dem Ziel, dass alle beteiligten Projektpartner nicht nur ihr Programm abspulen, sondern gemeinsam auch Neues schaffen: neue Veranstaltungsformate erdenken, Grenzen sprengen und die kulturelle Kraft der Stadt zum Leuchten bringen.
Die Vorgeschichte: 2008 hat die Stadt das ehemalige Schiesser-Areal 2008 für 1,7 Millionen Franken gekauft. Nach dem Kauf des Areals 2008 ist erstmal lange nichts passiert. Im Frühjahr 2012 gab es dann Zwischennutzungsversuche mit dem Kultur-im-Shop-Konzept. Initiiert damals schon von der heutigen Projektchefin Christine Forster. Das kam gut an. Mehr als 1000 Unterschriften wurden gesammelt für die Schaffung eines Kulturzentrums. Und dann passierte erstmal wieder: nichts. Ein Jahr später wurde eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, um ein Nutzungskonzept für das Areal zu erstellen. Im selben Jahr liess die Stadt eine Machbarkeitsstudie über das Gesamtareal erstellen. Und dann passiert erstmal wieder: nichts. Ja, sagt Dorena Raggenbass, zuständige Stadträtin für Kulturfragen in Kreuzlingen, es habe immer wieder bedauerliche Denkpausen bei dem Projekt gegeben. Woran das lag? „In der Politik gibt es eben auch zwei Lager zu dem Thema: Die einen, die das Kulturzentrum wollen und die anderen, die nur die Kosten sehen“, räumt Raggenbass ein.
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