von Inka Grabowsky, 16.06.2020
Geschichten zur Geschichte
Von Gräbern, Gründern und Tierköpfen: Das zeigt die kantonale Ausstellungsreihe „Thurgauer Köpfe“ im Naturmuseum und Museum für Archäologie.
„Karl Keller-Tarnuzzer war in vielen Bereichen ein Pionier für die Archäologie des Kantons Thurgau und der ganzen Schweiz, weshalb ihm hier die Ehre des ‚Thurgauer Kopfes‘ zuteil wird.“ So begründen die Ausstellungsmacher ihre Themenwahl. Der erste Kantonsarchäologe, der zwischen 1928 und ‘63 fünf wichtige Ausgrabungen geleitet hat, ist Autor der „Urgeschichte des Thurgaus“. Das Buch galt fast hundert Jahre als Standardwerk.
Doch eigentlich ist dieser Thurgauer Kopf ein Pfälzer. Er wurde 1891 in Landau geboren. KKT (das Kürzel gab sich der vielseitige Mann für seine zahlreichen Artikel) sah sich allerdings auch selbst als Thurgauer. Das beweist ein Eintrag aus dem Grabungstagebuch vom 3. Mai 1928: „Am Montag konnte ich die Aufsicht nicht führen, da ich, der Rücksichtslosigkeit, Borniertheit und kultureller Idiotie unserer thurg. Behörden entsprechend als Hilfsdienstpflichtiger für die Pferdeschatzung einberufen wurde.“
Video: Arttv.ch über die Ausstellung im Museum für Archäologie
Vielseitiger Philanthrop
Keller-Tarnuzzer war Versicherungsvertreter, Schulinspektor, Archäologe, Romanautor und offenkundig ein anständiger Mensch. 1945 beschreibt er die Arbeit der internierten polnischen Soldaten, die bei den Ausgrabungen in Pfyn geholfen haben, so wertschätzend, dass ihm ein polnischer General explizit dafür dankt. Der Brief ist ebenso zu bewundern wie ein Exemplar des Jugendbuchs „Die Inselleute vom Bodensee“, das KKT 1935 veröffentlichte.
Als begeisterter Vermittler nutzt er darin Erkenntnisse, die er bei Ausgrabungen auf der Insel Wert zum Leben der Pfahlbauer gewonnen hat. Wenngleich er die Frühgeschichte des Kantons minutiös aufgearbeitet hat, ist über seine eigene Biographie nicht sehr viel bekannt. Das Museum für Archäologie stellt die Ausstellung deshalb unter den fragenden Titel „Archäologe ohne Vergangenheit?“. Von Karl Keller-Tarnuzzer sind Interviews erhalten.
Ehre den Gründern
Die Erinnerung an Karl Keller-Tarnuzzer teilt sich den Sonderausstellungssaal oben im Museumsgebäude mit der Schau „Thurgauer Köpfe - einzigartig vielfältig“ des Naturmuseums. Ein zentrales Ausstellungsstück vereint Archäologen und Naturkundler: der Schädel eines Menschen aus dem siebten Jahrhundert. Er war bei einer Notgrabung in Steckborn gefunden worden, die Keller-Tarnuzzer veranlasst hatte. Versehentlich war er ins Inventar des Naturmuseums gelangt, was erst durch die Ausstellung bemerkt wurde. Nun kann zukünftig wieder mit dem Rest des Skeletts im Depot der Archäologen vereint werden.
Video: arttv.ch über die Ausstellung im Naturmuseum
Auch das Naturmuseum weist auf jene Thurgauer hin, die in früheren Zeiten das Haus geprägt haben. Olga Mötteli etwa, die 1936 als Autodidaktin als erste Frau in der Schweiz zur Leiterin eines Naturmuseums berufen wurde, obwohl sie – eben weil weiblich – keinerlei akademische Bildung hatte. Sie war Nachfolgerin von Heinrich Wegelin, der 1897 Konservator der naturwissenschaftlichen Sammlungen wurde und 1924 die Gründung des Thurgauischen Museums mitverantwortete. „Was er in den vierzig Jahren seiner Tätigkeit aufgebaut hat, wirkt bis heute nach“, sagt der amtierende Direktor Hannes Geisser.
Der Begriff „Kopf“ in vielen Zusammenhängen
Das Naturmuseum hat aus seiner reichen Sammlung 49 Objekte ausgesucht, die alle etwas mit „Kopf“ zu tun haben. Es gibt Portraits, Trophäen, Schädel und manchmal einfach nur einen passenden Namen. Beliebig ist die Auswahl nicht. Sie hilft darüber nachzudenken, was der Begriff eigentlich bedeutet.
Die Exponate sind entweder für das Naturmuseum Thurgau geschaffen worden (Kopf-Modelle für frühere Ausstellungen), oder im Thurgau oder von einem Thurgauer gefunden worden. Einen eher spielerischen Zugang bietet die Wand mit dem Kehlkopf, dem Bohrkopf oder dem Kopfgemüse.
Den seltsamsten Kopf bietet wohl der Zitzenzahnelefant: In einer Plastikwanne liegt Geröll. Es sind die versteinerten Überreste eines frühen Rüsseltiers, die Heinrich Wegelin 1899 fand. Allerdings zerfiel der Schädel beim Herausarbeiten aus einem Sandsteinblock. Eine spezielle Pointe in der „Thurgauer Köpfe“-Ausstellung ist das einzige kopflose Schaustück: das Fell eines Waschbären, der 2007 bei Roggwil unter die Eisenbahn geriet. Sein Kopf wurde nie gefunden, doch reichte der Körper, um den ersten Nachweis für die Existenz von freilebenden Waschbären im Kanton zu erbringen.
Anekdoten machen Informationen lebendig
Wer sich nur kurz durch die Ausstellung treiben lässt, verpasst etwas. Jedes der Exponate erzählt eine Geschichte, die man wahlweise in Begleitheft lesen oder an 13 Hörstationen auf seinem Smartphone respektive dem geborgten Audioguide hören kann. Ein QR Code und das hauseigene freie W-lan machen es möglich.
Hannes Geisser und seine Stellvertreterin Barbara Richner schildern ihre Sicht der Dinge. Während also der Biologe beim Totenkopfschwärmer auf die Lebensweise des bei uns recht seltenen Nachtfalters eingeht, erzählt die Kulturwissenschaftlerin, dass es Emanuel von Bodman war, der den Schmetterling im September 1904 in Kreuzlingen gefangen hat. Beim Rauchblättrigem Schwefelkopf weist der Biologe auf die Ähnlichkeit des Speisepilzes zum gefährlichen Gifthäubling hin. Die Kulturwissenschaftlerin erzählt, wie der Museumsdirektor August Schläfli Ende der sechziger Jahre an diesem Pilz die neue Methode der Gefriertrocknung ausprobierte. Der selbstgebaute Apparat auf Basis eines Staubsaugers befindet sich noch im Magazin des Museums. Etwa eine Stunde bestes Infotainment ist so garantiert.
Die «Thurgauer Köpfe»
Die Doppelausstellung „Thurgauer Köpfe – Einzigartig vielfältig“ und „Thurgauer Köpfe – Archäologe ohne Vergangenheit?“ läuft noch bis 18. Oktober 2020. Eintritt frei.
Dienstag bis Freitag 14–17 Uhr
Samstag und Sonntag 13–17 Uhr
Aufgrund der Corona-Abstandsregeln sind Wartezeiten möglich.
Museum für Archäologie, www.archaeologie.tg.ch , Naturmuseum Thurgau www.https://naturmuseum.tg.ch/
Mehr zum Gesamtprojekt «Thurgauer Köpfe» gibt es hier. Die weiteren Ausstellungen in den anderen kantonalen Museen werden wir sukzessive besprechen.
Von Inka Grabowsky
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