von Barbara Camenzind, 05.07.2021
Gemässigte Moderne

Der Thurgauer Komponist Fréderic Bolli stellt beim Konstanzer Musikfestival sein neues Werk „Sinfonia nabollitana“ vor. Worum es dabei geht, hat er im Interview verraten. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Frédéric Bolli, wie geht es Ihnen nach dieser pandemischen Zwangspause?
Ich bin in der glücklichen Lage, nicht mehr abhängig zu sein. Pensioniert vom Schuldienst kann ich mich aufs Komponieren konzentrieren. Es konnten halt letztes Jahr einige Konzerte, wie auch das Musikfestival nicht stattfinden. Komponist ist der beste Job für die Quarantäne, daher war das für mich nicht so einschränkend, zumal ich eher ein Einzelgänger bin. Schlimm war die Zeit aber für die KünstlerInnen, die von Konzerten leben. Darum freue ich mich sehr auf die kommende Woche und die hochkarätigen MusikerInnen, die in Konstanz spielen werden.
Ein paar Worte zum kommenden Programm?
Wie gesagt, Peter Vogel ist der Initiator des Festivals. Seit 2019 bin ich mit im Team. Ich freue mich, dass wir dieses Jahr wieder eine feine Auswahl an Kammermusik, Jazz und Orchesterkonzerten anbieten können. Ganz sicher werde ich mir alle Konzerte anhören und freue mich auf Peter Vogels Uraufführung „Concerto in Jazz“ am Samstag mit der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Ich liebe Kammermusik. Dafür konnten wir für Beethovens „Geistertrio“ und Mendelssohns Klaviertrio op. 2 Ulf Schneider (Violine) Leonid Gorokhov (Cello) und Roland Krüger (Klavier) gewinnen. Auch das Karol Szimanowski Quartett konnten wir wieder gewinnen mit einem Programm mit Dvorák und Schumann. Aber es sind alle Konzerte hörenswert.
Was zeichnet das Musikfestival Konstanz aus, im Vergleich zu anderen Veranstaltern in der Bodenseeregion?
Wir sind sicher einmalig mit unserem Angebot. Klassik, Crossover und Jazz bietet meines Wissens niemand in der Region in einem Festival an. Die Bregenzer Festspiele legen den Fokus auf das Musiktheater, Schloss Salem bietet einzelne Konzerte rund ums Jahr an. Dazu kommt der besondere, schöne Ort. Der mittelalterliche Festsaal im Steigenberger Inselhotel verfügt über eine wunderbare Akustik. Klar, Bruckner kann man da drin nicht spielen. (lacht) Aber für unser Programm ist er ideal. Spannend wird sicher auch das Jazzkonzert am letzten Abend im Inselgarten. Da hoffen wir natürlich sehr auf gutes Wetter. Wir hoffen sehr, dass wir mit der Durchführung unseres Musikfestivals von der Stadt Konstanz noch etwas mehr wahrgenommen werden.
«Wer meine Stücke hört, spürt vielleicht Strukturen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie bei Strawinski, Hindemith.»
Frédéric Bolli, Komponist
Am Mittwoch 14. Juli wird Ihr Stück „Sinfonia nabollitana“ vom Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim uraufgeführt. Wie beschreiben Sie Ihre Musik?
Gerade vor ein paar Tagen habe ich gesagt, dass es schwierig sei, meine Musik zu beschreiben. Gemässigt modern, vielleicht? Wer meine Stücke hört, spürt vielleicht Strukturen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie bei Strawinski, Hindemith. Aber ich kopiere sie nicht, es ist Musik von heute. Die Sinfonia nabollitana ist eine Spielform mit meinem Namen und der neapolitanischen Besetzung des 18. Jahrhunderts. (Anm. siehe Kasten).
Im Programm des Musikfestivals wird so genannt klassische Musik mit Neutönendem angeboten. Ist der Fokus auf Zeitgenössische Musik immer noch ein heikles Terrain für Konzertveranstalter?
…ja. Und nein. Ich denke, mit der Mischung von vertrauten Klangformen und Neuem holt man das Publikum am besten ab. Beginnend mit den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es eine Zeit, in der man sehr strikte weg von tonalen Formen komponierte. Irgendwie hat man da vergessen, die HörerInnen abzuholen. Seit der Öffnung in den Osten hat sich die tonale Musik mit Arvo Pärt - und in Richtung Westen mit der Minimal Music aus Amerika wieder etwas Platz zurückerobert. Heute ist man zum Glück viel pluralistischer unterwegs in diesem Gebiet.
«Musik ist ein Spiel, man würfelt durcheinander, schüttelt die Töne wie in einem Kaleidoskop und freut sich an den Farben.»
Frédéric Bolli, Komponist
Ihre Kompositionen wirken spielerisch, allein schon durch das Wortspiel. Wie wichtig ist Ihnen das Spiel im Musikspiel?
Ich suche das nicht mit Absicht, es passiert. Die Werke der Groupe des Six sind für mich eine Inspiration. Musik ist ein Spiel, man würfelt durcheinander, schüttelt die Töne wie in einem Kaleidoskop und freut sich an den Farben. Die Kombinatorik ist wichtig, wie in der Mathematik. So hat sich die Musik ja auch von der Einstimmigkeit in die Mehrstimmigkeit verwandelt. Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, sagte Schiller.
Wie läuft der Vorverkauf für das Musikfestival Konstanz?
Wir staunen, wie viel schon gebucht worden ist. Das erste Konzert am Samstag ist so gut wie verkauft. Wir spielen ja alle Konzerte zwei Mal hintereinander, damit wir die Abstandsregeln im Publikum einhalten können. Es lohnt sich also, bald zu reservieren.
Termine: Alle Konzerte des Konstanzer Musikfestivals gibt es im Überblick hier.
Der Komponist über sein Werk
Neben vielen Komponisten aller Epochen, die mich faszinieren, beschäftige ich mich immer wieder auch mit der Klassik im engeren Sinn. Gerne höre ich – wer nicht? – Mozart, Haydn, die Bach-Söhne. Da gibt es lebenslänglich Neues zu entdecken!
In der Frühzeit der Klassik gibt es viele Orchesterwerke, die mit zwei Oboen, zwei Hörnern und Streichern auskommen. Solche Orchester waren in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Neapel ein Standard.
Frühe Mozart-Sinfonien verwenden auch diese „neapolitanische“ Besetzung. Irgenwann beschloss ich, meine erste Sinfonie zu schreiben und mich dabei an diese Besetzung zu halten. Als der erste Satz fertig war, fiel mir dafür der Name „Sinfonia nabollitana“ ein.
Ursprünglich schwebte mir ein viersätziges Werk vor. Das „Menuett“ ist nun aber als „valse“ in den 2. Satz integriert, der dadurch doppelt so lang ist wie die Ecksätze. Die Gesamtanlage der Sinfonia ist dadurch sehr symmetrisch geworden:
schnell langsam schnell
(lento - valse - lento - valse - lento)
5’30’’ 11’ 5’30’’
Frédéric Bolli, im Juni 2021

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