von Claudia Koch, 23.06.2020
Von Strippenziehern und Geheimniskrämern
Tot oder lebendig – was im Alten Zeughaus des Historischen Museums Frauenfeld wie ein Steckbrief tönt, spiegelt die Vielfalt der dagewesenen wie auch aktuellen Thurgauer Köpfe wider. Mit einem Videobeitrag von arttv.ch
Der erste Kopf, der einem begegnet, ist der eigene. Möchte man nämlich herausfinden, ob man das Zeug zu einem Thurgauer Kopf hat, lässt man sich erst einmal fotografieren. Porträts von Thurgauer Köpfen in verschiedensten Variationen sind das Thema am Anfang des Rundgangs. Doch Stopp, nicht zu voreilig! Zuerst gilt es, mit einem Badge an einem Panel Fragen zu beantworten, will man am Schluss selber in den erlauchten Kreis gehören.
Unter dem kaiserlich strengen Blick von Napoleon III., dessen lebensgrosses Bild als Leihgabe aus dem Napoleonmuseum im Arenenberg auf die gemeinsame Sonderausstellung der sechs kantonalen Museen aufmerksam macht, beantwortet man am Check-in Fragen zur Herkunft und Alter. Danach begibt man sich in den Reigen bekannter Thurgauer Personen, in Öl auf Leinwand festgehalten, darunter nur einige wenige Frauen.
«Hätten wir nur bekannte Thurgauer Grössen genommen, wären die Frauen zu kurz gekommen. Wir wollten dies nicht ausblenden und haben uns deshalb um eine gerechte Geschichtsschreibung bemüht», sagt Museumsdirektorin Gabriele Keck.
Video: arttv.ch über die Ausstellung
Lob und Tadel für Umsetzung
Von den Porträtgemälden führt der Rundgang zu Daguerreotypien und Fotografien ab Mitte des 19. Jahrhunderts, weiter zu modernen Köpfen, interpretiert à la Andy Warhol. Ein Fernseher zeigt den berühmtesten Thurgauer Kopf: Das Eselmädchen Caroline, zusammen mit Kliby.
Dazwischen wieder Panels mit Fragen oder Aussagen wie: «Ich wäre gerne berühmt.» Die Antworten variieren von ja, eher ja, eher nein zu nein. Die Software für die Panels wie auch für die Touchscreens hat Lukas Zeller aus Zürich programmiert; die visuelle Umsetzung stammt vom Zürcher Grafiker Armin Frischknecht. Er habe im November mit dem Programmieren begonnen, sagt Zeller, der sich zufälligerweise gleichzeitig die Sonderausstellung anschaut. Begleiterin Marielou Hürlimann, Kunst- und Kulturvermittlerin im Kulturzeughaus Rapperswil, verspricht, kritisch hinzuschauen. Ein erstes Lob spricht sie bereits aus: «Die Panels mit den Fragen sind verständlich und leicht umzusetzen.»
Zeller ist von der Farbgebung der Wände, ein edles Lila, sehr angetan. Einzig die dünne Schrift auf den eher kleinen Objekttexten ist mit diesem farblichen Hintergrund schlecht lesbar und die Informationen zu lang, wie auch Gabriele Keck zugibt. Sie findet zwar die Idee toll, dass die Objekttexte wie Post-it Zettel daherkommen. Trotzdem stellt sie fest: «Gerade in diesen Zeiten, wo der Abstand ein Muss ist, sind die Objekttexte zu unleserlich geworden.»
Machtmenschen und Geheimniskrämer
Nach einer Wand kleiner Bildschirme mit Youtube-Filmen mit Thurgauer Flair, folgt ein dunkel gehaltener Raum, der ein wichtiges Merkmal eines Thurgauer Kopfes festhält: Macht. Ein offensichtlicher Nicht-Thurgauer Kopf, Niccolò Machiavelli, der Ende des 15. Jahrhunderts den Begriff Macht-Mensch definierte, gibt sich ein Stelldichein mit lokalen wie auch internationalen Machtmenschen. Hier kann mit dem Badge festgestellt werden, wie viel Machiavelli in einem selber steckt.
Danach folgen einflussreiche Thurgauer Familien wie Häberlin, Gonzenbach, Bachmann und Kappeler, begleitet von einem Objekt, das die Macht und den Einfluss der jeweiligen Familie symbolisiert. Das Motto dieses Raumes lautet sinnigerweise Strippenzieher, wechselt dann in den Raum der Seilschaften, zu denen Vereine wie etwa die Studentenverbindungen zählen.
Ein sehenswertes Objekt ist ein Zipfelbund der Concordia-Verbindung. Anschliessend geht es um Geheimniskrämerei und um die daraus entstehenden Skandale. Nicht nur Menschen, auch Tiere wie der Biber, eine Anlehnung an das Naturmuseum, kann als Geheimniskrämer angeschaut werden.
Reiseblogger und Normstäbe
Influencer, wie sie heute auf Social Media bekannt sind, gab es bereits im 19. Jahrhundert. «Elias Haffter reiste als junger Arzt nach Asien oder Lappland und berichtete sozusagen als Reiseblogger in der Thurgauer Zeitung darüber», sagt Aline von Raszewski, die die Ausstellung als Projektassistentin begleitet hat. Im nächsten Raum taucht ein unrühmlicher Kopf der Thurgauer Geschichte auf: Psychiater Roland Kuhn. Dazu eine Zwangsjacke und ein Elektroschockgerät aus Münsterlingen, die aus Abnormalität eine Normalität erzwingen sollten.
Norm zeigt sich jedoch auch in einem Damenkorsett oder in Normstäben. Mit dem Thurgauer Lied im Ohr steht man vor dem letzten, alles entscheidendem Check-out Panel: Ist man am Ende des Rundgangs, für den man ausreichend Zeit mitnehmen sollte für die Vielfalt der Thurgauer Köpfe, ebenfalls ein wahrer Thurgauer Kopf? Für die Autorin des Berichtes gibt es noch Potential nach oben. Vielleicht hilft ja das zur Verfügung gestellte Selfie etwas nach.
Da das Begleitprogramm wegen Corona ausfällt, werden an den ersten drei Sonntagen jeden Monats ausgewählte Wissenshäppchen in kleinen Gruppen zwischen 14 und 16 Uhr angeboten. Der Eintritt ist frei, Öffnungszeiten: Di – So, 13 bis 17 Uhr. Weitere Informationen unter www.museen.tg.ch und www.historisches-museum.tg.ch
Die «Thurgauer Köpfe»
Die Ausstellung „Thurgauer Köpfe – Tot oder lebendig“ läuft noch bis 18. Oktober 2020 im Alten Zeughaus in Frauenfeld. Eintritt frei.
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 13 bis 17 Uhr.
Aufgrund der Corona-Abstandsregeln sind Wartezeiten möglich. Mehr: https://historisches-museum.tg.ch/ausstellungen-/sonderausstellung-thurgauer-koepfe-tot-oder-lebendig.html/10472
Mehr zum Gesamtprojekt «Thurgauer Köpfe» gibt es hier. Die weiteren Ausstellungen in den anderen kantonalen Museen werden wir sukzessive besprechen. Bereits erschienen ist die Besprechung der Ausstellungen im Naturmuseum und Museum für Archäologie: https://www.thurgaukultur.ch/magazin/geschichten-zur-geschichte-4503
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