von Brigitte Elsner-Heller, 13.07.2018
Ein regelrechtes Gewissen
Mit „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch illustriert das See-Burgtheater Kreuzlingen, wie bequem es ist, nichts sehen und hören zu müssen. Eine brandgefährliche Angelegenheit. Bei der Aufführung lohnt jedoch das Hinsehen – um nachzudenken und einfach auch aus Spass an der Freud.
Das Wetter zeigt sich so, wie man es bei einer Open-Air-Premiere gerne hätte; der See präsentiert sich von seiner besten Seite. Eine Idylle. Was sich auf der Seebühne im Seeburgpark Kreuzlingen gleich abspielen wird, räumt bei aller unterhaltenden Spielfreude aber schnell auf mit der Idylle, oder, um es genauer zu sagen: zeigt deren andere Seite.
In Max Frischs Stück „Biedermann und die Brandstifter“ wird verhandelt, wieviel Blindheit Menschen sich selbst verordnen, um bloss nicht aus dem geordneten Gebäude ihrer Vorstellungen und Illusionen vertrieben zu werden. Auf der Seebühne, die das See-Burgtheater nun bis 9. August – keinesfalls bieder – bespielt, ist dieses Gebäude als Wohnstatt der Unternehmerfamilie Biedermann dann auch konsequent in Rosa getaucht. Dass sich der zwischen Himmel- und Wasserblau angesiedelte Blauton von Biedermanns Anzug sowie das gelbe Kostüm Babettes davon schrill abheben, ist den beiden Ausstattern zu verdanken (Bühne: Peter Affentranger; Kostüm: Joachim Steiner).
Nicht auf Aktualität abgehoben
Leopold Huber, als Regisseur immer für Spektakel zu haben, wenn es denn den Rahmen des Stückes nicht sprengt, startet damit, ein wunderschönes altes Feuerwehrauto (das wohl nicht sehr viel jünger sein dürfte als das Stück von Max Frisch) auffahren zu lassen, das die Feuerwehr Amriswil offenbar hütet. Feuerwehrleute übernehmen kurzfristig das Spielfeld, bauen sich mit Feuerlöschern vor der Publikumstribüne auf, um sich ähnlich dem Chor der Antike unmittelbar an die Zuschauer zu wenden: „Viel kann vermeiden Vernunft“, ist also zu vernehmen – und es wird an dieser Stelle schon klar, dass der Chor recht idealistisch aufgestellt ist. Die zahlreichen Gegenbeispiele sind in der augenblicklichen Nachrichtenlage doch zu offenkundig. Wobei die Regie allerdings bewusst vermeidet, Aktuelles konkret einfliessen zu lassen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich einfach zu viele Bezüge herstellen lassen.
Bilderstrecke: Ein paar Einblicke ins Stück (Fotos: Mario Gaccioli)
Dass die Wache der Feuerwehrleute begonnen hat, kann jedenfalls nicht verhindern, dass sich der Ringer Schmitz (Hans-Caspar Gattiker) als erster von drei Brandstiftern im Garten von Biedermanns Traumschloss in Rosa einstellt. Mit einer Rhetorik, die sehr gerissen auf Manipulation ausgerichtet ist, lässt er schnell vergessen, dass das Anwesen eben noch von einem Rasenmäher-Roboter gepflegt und vom Dienstmädchen Anna (Maria Lisa Huber) sonst in Ordnung gehalten wurde. Wo gerade Gottlieb Biedermann (Adrian Furrer) noch gesessen und sich über die Zeitungsberichte über Brandstiftungen echauffiert hat, hat sich nun Schmitz niedergelassen. Schmeicheln, auf Mitleid setzen, an die Redlichkeit appelieren, bringt Schmitz seinem Ziel schnell nahe: „Sie haben doch ein Gewissen … Ein regelrechtes Gewissen“.
Die Regie bleibt nahe am Text und verschafft ihm so die Geltung, die ihm zukommt. Vor allem im ersten Teil ist es Schmitz, der nicht nur rhetorisch die Szene beherrscht. Und nachdem er schon den braven – oder sich „brav“ fühlenden – Unternehmer um den Finger gewickelt hat, schafft er es auch, die liebe Gattin (Astrid Keller als Babette Biedermann) wenigstens mundtot zu machen. Während ihr Mann jederzeit bereit ist, sein Fähnchen in den Wind zu hängen, um seinem Ego keine weiteren Konflikte zumuten zu müssen, bleibt sie länger verhalten in ihren Reaktionen – wobei eine gewisse Anziehung durch den Brandstifter nicht zu verleugnen ist (ihr Auftreten im Negligé spricht Bände).
Lust oder Überzeugung?
Es wird quasi runtergezählt: Eine Nacht vergeht, eine zweite, dann eine dritte, letzte. In dieser Zeit hat sich zu Schmitz noch der Kellner und Brandstifter Eisenring gesellt (Andrej Reimann), und dann gibt sich ein „Dr. phil.“ noch die Ehre (Bastian Stoltzenburg). Er zündelt nicht aus „purer Lust“, wie er es am Ende den beiden Kollegen vorwirft, sondern aus ideologischer Überzeugung.
Max Frisch hat sein Stück zunächst als „Fingerübung“ betrachtet, natürlich ist es weitaus mehr. So erheiternd Leopold Huber sein Ballett aus Chor und Feuerwehrauto anlegt und im Kleinen immer auch seinen Schabernack treibt (Biedermann joggt etwa morgens und wird mit Deo vom Dienstmädchen wieder aufgefrischt), in der grossen Linie bleibt er über lange Strecken vergleichsweise ernsthaft – was nahelegt, dass ihm das Thema auch Sorge bereitet.
Natürlich fliegt alles in die Luft
Was soll man auch davon halten, dass Biedermann die Benzinfässer auf seinem Dachboden nicht als solche erkennen will? Dass er nicht glauben will, dass die beiden, die er in sein Haus aufgenommen hat, tatsächlich Brandstifter sind? Dass er zusieht, wie die Lunte gelegt wird und am Ende sogar die Streichhölzer zum Unternehmen beisteuert? Fast könnte man darüber vergessen, dass er auch gut damit leben konnte, dass sich der Angestellte, den er entlassen hat, umgebracht hat.
Viele der Sätze, die auf der Bühne im Seeburgpark fallen, möchte man sich sogleich merken. Zum Beispiel: „Ich habe das Recht, überhaupt nichts zu denken.“ Oder eine andere Perspektive: „Der die Verwandlungen scheut mehr als das Unheil, was kann er tun gegen das Unheil?“ Auf der Bühne zieht das Tempo an, Dialoge und Handlung werden wahnwitziger, die Schauspielerinnen und Schauspieler sind längst warmgelaufen. Daneben ist der Tag verdämmert und gibt eine noch viel grössere Bühne frei für den finalen Show-Down: Rechtzeitig hat das Dienstmädchen noch die Reste des letzten, völlig durchgeknallten Gastmahls abgeräumt, um der rosa Fassade Raum zum Einsturz zu bieten. Pyrotechnik setzt den Schlusspunkt.
Weitere Aufführungen bis 9. August 2018, jeweils 20.30 Uhr. Kartenreservation per Mail unter info@see-burgtheater.ch oder telefonisch unter +41 71 640 14 00 (Mo-Fr 10-15 Uhr, Sa 10-14 Uhr). Im Internet: www.see-burgtheater.ch
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