von Inka Grabowsky, 17.05.2021
Die Wir-AG
Gemeinsam leben, gemeinsam arbeiten: Wie klug ist es mit dem Menschen zu arbeiten, den man liebt? Vier Thurgauer Künstlerpaare plaudern aus dem Nähkästchen. (Lesedauer: ca. 8 Minuten)
Was wären wir nur ohne unsere Klischees? Künstler beispielsweise sollten demnach Egomanen sein, die nur ihrem Werk verpflichtet sind. Sie wären Stars, die keine Sonne neben sich leuchten lassen.
Wenn das stimmte, dann hätten Künstlerpaare einen schweren Stand, denn sie würden sich ja ständig streiten, wer denn nun die grössere und wichtigere Arbeit leistet. Und wer deshalb für das Kochen und den Abwasch prädestiniert sei. Wir haben bei einigen Thurgauer Kulturschaffenden nachgefragt, wie sich sich gegenseitig beeinflussen, unterstützen oder kritisieren.
Typ 1: Wie passen Kunst, Liebe und Familie zusammen? Rahel Wohlgensinger und Simon Engeli
Die Puppenspielerin Rahel Wohlgensinger und der Schauspieler Simon Engeli haben sich als junge Studenten an der Dimitri Schule kennengelernt. Unabhängig voneinander gingen beide nach Berlin, er für Weiterbildung in Sprechtheater, sie für ihr vierjähriges Puppenspiel-Studium. „Unsere Beziehung hatte Bestand, auch als er in die Schweiz zurückkehrte und ich noch blieb“, berichtet Rahel in ihrem Garten in Kreuzlingen.
„Ich war gerade fertig mit der Ausbildung und wollte meinen Weg als Künstlerin suchen und finden, als ich schwanger wurde. Wir hatten uns ja durchaus Kinder gewünscht, aber ich hatte schon Angst, dass ich aussen vor sein würde, dass sich tatsächlich mein Leben völlig ändern würde, wie mir das jeder prophezeite.“
„Wir hatten uns ja durchaus Kinder gewünscht, aber ich hatte schon Angst, dass ich aussen vor sein würde, dass sich tatsächlich mein Leben völlig ändern würde.“
Rahel Wohlgensinger, Puppenspielerin
Als Paar hätten sie beschlossen, ihre Pläne soweit wie möglich beizubehalten. Die Tochter war als dreimonatiges Baby bei einer Premiere im Tragetuch dabei. „Ich merkte dann aber doch, dass mich die Doppelbelastung müde machte. Ich bin aus einer Produktion in Berlin ausgestiegen. Wer müde ist, kann schwerlich auch noch kreativ sein. Meine Karriere ist durch unsere mittlerweile drei Kinder also von einigen Stopps unterbrochen.“
Junge Familien haben es nie ganz leicht. Wenn beide Eltern jedoch zusätzlich in einem künstlerischen Beruf arbeiten – mit unregelmässigen Arbeitszeiten und schwankendem Einkommen – gilt es einige Kompromisse zu machen. „Wir haben immer möglichst billig gewohnt“, erzählt Rahel Wohlgensinger. Und als ich am Stadttheater Konstanz war, gab es sogar eine Kita, und ich konnte in die bezahlte Elternzeit gehen.“
Mit Hilfe eines Netzwerkes aus Profis, Freunden und Familie hätten beide aber immer arbeiten können. „Auch wenn wir beide Künstler sind, können wir uns mal eine No-Budget-Produktion leisten“, so Simon. „Mal arbeiten wir für eine gute Gage, mal für ein gute Idee oder gute Leute. Für unsere eigenen Projekte haben wir fast immer finanzielle Unterstützung gefunden.“
„Wir organisieren uns ganz gut, wenngleich ich nicht immer zufrieden damit bin, wie ich ins traditionelle Rollenmodell hineinrutsche - auch wenn Simon sich durchaus um die Kinder kümmert.“
Rahel Wohlgensinger, PuppenspielerinWenn die Arbeitszeiten der Eltern sich nur kurz überschneiden, können sie sich bei der Kinderbetreuung abwechseln. Arbeiten sie zusammen in einem Projekt, sind sie zu Proben und Aufführungen gleichzeitig weg.
„Wir organisieren uns ganz gut“, meint Wohlgensinger, „wenngleich ich nicht immer zufrieden damit bin, wie ich ins traditionelle Rollenmodell hineinrutsche - auch wenn Simon sich durchaus um die Kinder kümmert. Ich kann hier zuhause nicht kreativ arbeiten, da kommt immer etwas dazwischen.“ So ist die Puppenspielerin froh, dass ihr derzeit als Zwischennutzerin ein Raum im Kult-X zur Verfügung steht.
„Mal arbeiten wir für eine gute Gage, mal für ein gute Idee oder gute Leute.“
Simon Engeli, Schauspieler
„Wir sind ja nicht nur beide Kulturschaffende, sondern auch noch oft - zu 70 Prozent - im gleichen Projekt“, so Simon Engeli. „Wir arbeiten auf ein gemeinsames künstlerisches Endprodukt hin. 2004 haben wir das erste Stück zusammen gemacht, deshalb sind wir inzwischen recht routiniert. Wir können uns gut Kontra geben. Es ist zwingend, dass wir uns austauschen.“
Bei Rahels Einzel-Projekten (wie Klank) habe er die Entstehung nicht im Detail verfolgt, war aber beim ersten Durchlauf dabei und gab Rückmeldungen. „Man hat bei einem neuen Stück im Gefühl, wann man ein Wagnis eingeht“, erklärt Rahel. „Dann hole ich mir Feedback.“ Ein privater Streit sei aus beruflichen Auseinandersetzungen noch nie entstanden: „Es gibt nur Diskussionen“, sagt Engeli, „es wird nie persönlich, sondern geht ums beste Ergebnis.“
„Die Dynamik der Arbeit mit ihr macht Spass. Meine Idee und ihre Umsetzung führen zu einem dritten Ort, an den wir beide vorher nicht gedacht hatten.“
Simon Engeli, Schauspieler
Er habe im Laufe der Zeit gelernt, auf Rahels Urteilsvermögen zu vertrauen. „Die Dynamik der Arbeit mit ihr macht Spass. Meine Idee und ihre Umsetzung führen zu einem dritten Ort, an den wir beide vorher nicht gedacht hatten.“ Rahel stimmt zu: „Mit anderen Leuten zu arbeiten wäre organisatorisch wegen der Kinder mitunter einfacher, aber es braucht auch Energie, Menschen zu finden, mit denen man so gut harmoniert.“
Typ 2: Symbiotisch bei Alex Meszmer und Reto Müller
„Wir haben uns bei einer Monet-Ausstellung in Zürich kennengelernt – sehr passend für einen Künstler und einen Gärtner“, erzählt Alex Meszmer. „Es war schnell klar, dass wir zukünftig nicht nur zusammen leben, sondern auch zusammen arbeiten wollten.“ Seit 2005 also gibt es das Künstler-Duo Meszmer-Müller, das gemeinschaftlich von Pfyn aus Anregungen zum Nachdenken gibt.
Privat- und Arbeitsleben fliessen bei Alex Meszmer und Reto Müller ineinander. „Wir stehen dauernd in einem Dialog, über Kunst, den Alltag, unsere Beziehung, und wir wundern uns über Leute, die nicht so viel miteinander reden. Durch das Werk, das dabei entsteht, erweitern wir dann den Dialog auf das Publikum.“
„Wir stehen dauernd in einem Dialog, über Kunst, den Alltag, unsere Beziehung, und wir wundern uns über Leute, die nicht so viel miteinander reden.“
Alex Meszmer, Künstler
Reto Müller übernimmt bei Ausstellungen, Performances oder Installationen den bildnerischen Teil, Alex Mezsmer ist spezialisiert auf Texte. „Das bedeutet gleichzeitig, dass Reto meine Texte Korrektur liest und ich seine Bilder kritisch betrachte.“
Exemplarisch wird das Vorgehen an Collagen, die die beiden Männer am gleichen Tisch gestalten. „Sie müssen ohnehin aus jeder Perspektive funktionieren, das kontrollieren wir gegenseitig.“ Schon an der Kunstakademie habe er sich intensiv mit dem Prinzip der Kollaboration auseinandergesetzt. „Es ist für mich die natürliche Arbeitshaltung.“
Warum Streit auch manchmal fruchtbar sein kann
Meszmer und Müller können nach eigener Aussage auf ein ähnliches Raumgefühl zurückgreifen, so dass sie meist einig seien, wie eine Ausstellung oder Installation funktionieren soll. Selbstverständlich gäbe es aber Auseinandersetzungen über das gemeinsame Werk.
„Beim Streiten erfährt man viel voneinander“, sagt Meszmer frei nach Woody Allen. Den anderen zu verstehen sei der Kern der dialogischen Konzeptkunst. „Wir weiten dieses Konzept aus. Es gibt nicht viele Künstler, die bereit sind, so zu arbeiten. Aber alleine kreativ zu sein macht einfach keinen Spass.“
Typ 3: Vereinte Individualisten – Christoph Rütimann & Zsuzsanna Gahse
Während Alex Meszmer und Reto Müller also sehr eng zusammenarbeiten, leben Zsuzsanna Gahse und Christoph Rütimann in Müllheim gewissermassen das Gegenmodell. Er ist bildender Künstler, sie Schriftstellerin. „Wir machen je unsere eigene Arbeit“, sagt Christoph Rütimann. Zsuzsanna Gahse bestätigt: „Mitunter gehen uns aus dem Weg. Aber wenn ich etwas fertig habe, zeige ich es ihm. Er ist mein erster Leser.“
Rütimann macht es ähnlich: „Es gibt immer wieder Gründe, ihr Arbeiten im Atelier zu zeigen.“ Sein Arbeitsraum ist in einem Nebengebäude des grossen alten Hauses, das die beiden seit 21 Jahren teilen. Ihr Arbeitszimmer befindet sich im ersten Stock.
„Es gibt bei uns eine gegenseitige Grundaffinität für die Kunst des jeweils anderen: Ich interessiere mich für bildende Kunst und er sich für Sprache.“
Zsuzsanna Gahse, Schriftstellerin
„Wir haben uns vor 30 Jahren in Karlsruhe kennengelernt“, erzählt Gahse. „Er hatte eine Gruppenausstellung, und seine Arbeit gefiel mir am besten. Ich sah eine Nähe zu meinem Schreiben.“ Als nächstes bat er sie um einen Text zu seiner Einzelausstellung im Kunstmuseum Luzern, so vertiefte sich der Kontakt.
„Es gibt bei uns eine gegenseitige Grundaffinität für die Kunst des jeweils anderen: Ich interessiere mich für bildende Kunst und er sich für Sprache. Ich mag es, wenn er mir sagt, was ihm nicht gefällt. Und die Kritik kann auch schon mal laut sein.“ Rütimann meint: „Es gibt Künstlerpaare, die zusammenarbeiten oder wie wir in verschiedenen Sparten tätig sind, mit einer Schnittmenge an Interessen. Immer wieder gibt es auch gemeinsame Auftritte oder Texte für Kataloge.“
Zusammen haben die beiden zum Beispiel das Kunstbuch „Kaktus haben“ geschaffen. Und bei Gahses Stück „Lever“ hat Rütimann für die Aufführungen in Zug und Zürich das Bühnenbild gestaltet.
Was auch passiert: Das man sich gegenseitig inspiriert und beeinflusst
Es kann auch vorkommen, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. „Christoph filmte einmal einen Brand in Wigoltingen, bei dem sich die Veränderungen der Rottöne zeigten. Das habe ich in meinem Müllheim-Buch ‚durch und durch‘ aufgenommen.“ Rütimann schmunzelt: „Meine Recherche war ihre Inspiration.“ Am komplexesten verzahnt sei die Zusammenarbeit für das szenische Stück „A.V.D.H. - Ansicht Vorsicht Durchsicht Halt“ 1997 gewesen.
Sie seien beide schon eine Weile beruflich erfolgreich gewesen, als sie sich kennenlernten, erklärt Rütimann. Dementsprechend sei es leichter gefallen, die Ideen des jeweils anderen zu verstehen: „Wir haben uns über die Arbeit kennengelernt. Als gegenseitige Fans würden wir uns nicht bezeichnen.“ „... aber die Chemie stimmt“, fällt ihm Zsuzsanna ins Wort. „Den Nobelpreis in Chemie haben wir quasi verdient.“
Typ 4: Den Lektor immer zur Hand: Michèle Minelli & Peter Höner
Michèle Minelli war 20, als sie den Schriftsteller und Schauspieler Peter Höner kennenlernte. Er erzählt: „Ich sass in einer Jury, die ihr den ersten Preis für eine Kurzgeschichte zuerkannte. Und im Jahr darauf begegneten wir uns dort erneut. Sie gewann wieder den ersten Preis. Ich habe damals die Laudatio gehalten. Von da an haben wir und gelegentlich getroffen. Vor acht Jahren sind wir dann zusammengekommen.“
Minelli zog zu Höner in sein Haus in Iselisberg oberhalb von Uesslingen. Es ist gross genug für zwei Autoren. „Aber wir mussten schon zunächst unsere Eigenheiten klären“, so Minelli. „Ich schreibe beispielsweise mit offener Tür und höre dabei Musik. Peters Tür ist geschlossen. Er mag es leise. Also mussten wir austesten, wie laut meine Musik sein darf. Anfangs war das schon eine kindische Situation. Peter wartet im Türrahmen, bis die Künstlerin aufsieht und ‚ja bitte‘ sagt. Umgekehrt warte ich genauso vor seiner verschlossenen Tür. Man will den anderen auf keinen Fall in einem Gedanken stören.“
„Wir mussten unsere Eigenheiten klären: Ich schreibe beispielsweise mit offener Tür und höre dabei Musik. Peters Tür ist geschlossen. Er mag es leise. Also mussten wir austesten, wie laut meine Musik sein darf.“
Michèle Minelli, Autorin
Ist die Schreibphase vorbei, kommt die Überarbeitungsphase. „Da ist Reinplatzen jederzeit möglich“, so Minelli. „Wir tauschen uns gezielt aus. Mal lese ich ihm meine Texte vor, mal liest er sie mir vor. Das ist besonders hilfreich, weil ich an seiner Betonung merkte, ob ich es richtig formuliert habe.“
Während Minelli von sich sagt, sie fordere Kritik gezielt ein, bezeichnet Höner sich als empfindlich. Er warte mit dem Vorlesen, bis er sich seiner Sache wirklich sicher sei. „Anders ist es, wenn ich in einem Text nicht weiterkomme. Dann erzähle ich davon vielleicht bei einem Spaziergang, oder wir diskutieren über das Thema beim Nachtessen. Das ist meist sehr wertstiftend. Ich habe dann jemanden, der meine Geschichte zum ersten Mal hört.“
„Wenn ich in einem Text nicht weiterkomme, dann erzähle ich davon bei einem Spaziergang.“
Peter Höner, Autor
Das würde mit Kollegen genauso funktionieren wie mit der Ehefrau, räumt Peter Höner ein. Michèle Minelli platzt heraus: „Aber die wären wahrscheinlich diplomatisch. Das kann ich nicht. Und Peter kennt mich so gut, dass er jedes Zögern und Zaudern bemerken würde. Einmal ist das tatsächlich passiert. Er las vor, und ich sagte spontan: Da schlaf ich ein! Das war schon sehr direkt.“
Rollenklischees erfüllen die beiden Künstler nicht. Minelli putzt die Fenster und macht die Wäsche. Höner übernimmt Garten und Küche. In Stresszeiten bleibe die Wäsche eben liegen und der Garten unbearbeitet. Pünktliche Mahlzeiten würden ohnehin überbewertet. Beide sind in zweiter Ehe verheiratet.
Frühere Partner waren keine KünstlerInnen – das hatte auch Vorteile
Die früheren Partner waren keine Kulturschaffenden. Das habe auch Vorteile, gibt Minelli zu. „Es kann angenehm sein, nicht über die Arbeit sprechen zu müssen.“ Unverzichtbar ist für sie, dass beide Partner eigene Projekte verfolgen. „Ich kann einfach keinen Smalltalk“, sagt sie. „Jeder Mensch sollte ein Ziel haben, über das er sprechen kann.“ Höner stimmt zu: „In einer Partnerschaft braucht es zwei Menschen, die auch allein einen Antrieb hätten.“
Und nun? Eines haben jedenfalls alle gemeinsam
So unterschiedlich die Lebens- und Arbeitsstile der befragten Künstlerpaare sind, in einem Punkt sind sie sich einig: Die Balance zwischen Kulturschaffen und Privatem ist schwer auszutarieren. „Kunst und Feierabend schliessen sich aus“, formuliert Alex Meszmer.
Peter Höner meint: „Schriftsteller sind ständig beschäftigt. Sie recherchieren, schreiben, korrigieren oder konferieren mit Verlegern. Bei uns kommen die gemeinsamen Schreibkurse im Schreibwerk Ost noch dazu. Wir müssen also unsere Freizeit organisieren.“ „Wir tragen tatsächlich in die Agenda ein, wenn wir etwas unternehmen wollen“, so Michèle Minelli.
„Kunst und Feierabend schliessen sich aus.“
Alex Meszmer, Künstler (Bild: Sascha Erni)
Rahel Wohlgensinger empfiehlt gezielte Pausen in der künstlerischen Auseinandersetzung: „Gefahr für einen Ehekrach besteht dann, wenn man nicht aufhören kann. Als Künstler in einer Beziehung muss man wissen, wann man sich einen Freiraum gönnt.“
Zsuszanna Gahse sagt: „Wir machen nie Ferien, aber das stört uns nicht. Christoph Rütimann ergänzt: „Das Wichtigste ist die Arbeit, alles andere ist Beilage.“ Und hier blitzt es dann doch auf, das Klischee vom Künstler, der sein Werk über alles andere stellt.
Von Inka Grabowsky
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