von Inka Grabowsky, 15.07.2020
Die Weichen sind gestellt
Das Locorama Romanshorn hat turbulente Zeiten hinter sich. Jetzt soll wieder Ruhe einkehren. Nach einem neuen Präsidenten wird allerdings noch gesucht.
„Die Aufbauarbeit ist geschafft“, sagt Markus Bösch vom Vorstand des Vereins „Locorama Romanshorn“. Den Verein hatte die Stiftung Locorama als Dachorganisation vor sechs Jahren gegründet. Der Verein betreibt die Erlebniswelt, in der Besucher sehen können, wie vor hundert Jahren der Eisenbahnverkehr in Romanshorn organisiert war. Er wird dafür von der Stiftung mit 7000 Franken jährlich alimentiert.
Stiftungsratspräsident David H. Bon erklärt: „Wenn besondere Investitionen anstehen, wie jetzt zum Beispiel die Anschaffung von Audioguides oder von Signalen, übernimmt die Stiftung die Kosten, wenn der Verein einen entsprechenden Antrag stellt. Inzwischen sind wir gesund genug, um die Erlebniswelt ausbauen zu können.“ Die Stiftung hat seit ihrer Gründung 2005 ein eigenes erklärtes Ziel: die Remise als funktionsfähigen Lokschuppen zu erhalten. Das erwies sich in der Vergangenheit als ehrgeizig genug.
David H. Bon erinnert sich: „Als ich vor neun Jahren einstieg, war die finanzielle Situation schwierig. Es kamen harten Zeiten, in denen wir restrukturieren und sanieren mussten. Mit Dutzenden von Helfern hatten wir es nach vier Jahren geschafft. Jetzt sind das Haus und der Haushalt gesund.“ Markus Bösch stimmt zu: „Es war ein Riesenlupf. Etwas müde waren wir schon, aber alle sind noch an Bord, um die Idee weiter zu tragen.“
Bilderstrecke: Einblicke ins Locorama
Drei Stakeholder, drei manchmal verschiedene Interessen
Neben der Stiftung und dem Verein gibt es im Locorama noch eine weitere Partei: Besitzer von Lokomotiven haben Stellplätze in der Remise gemietet. Einige wollen ihre Fahrzeuge den ganzen Winter über längerfristig unterstellen, andere brauchen nur im Sommer auf einer grösseren Tour einen Platz für eine Nacht, an dem sie Wasser tanken können. Diese Dienstleistung ist sehr begehrt. Die SBB hat ihre eigenen Remisen weitgehend umgewidmet oder abgebrochen. Für den Verein und die Besucher seiner Erlebniswelt bieten die Mieter eine zusätzliche Attraktion.
David H. Bon sagt: „Das ist hier nicht wie im Verkehrshaus. Hier lebt es wirklich. Allerdings heisst es auch, dass man nicht immer alle Loks und Wagen sehen kann, weil sie eben unterwegs sind.“ Was man in der Erlebniswelt aber normalerweise immer machen kann, ist im Original-Stellwerk Hebel zu ziehen, die an der früheren Romanshorner Signalbrücke tatsächlich etwas bewirken – ein Faszinosum für alle Eisenbahnfans. Bon ist selbst begeistert: „An der Stellwerk-Simulation Gurtnellen sieht man eigentlich physisch in Stahl wie ein Computer funktioniert.“
„Wir brauchen jemanden, der unsere Leistungen auch der breiten Öffentlichkeit verkaufen kann.“
David H. Bon, Stiftungsratspräsident, zur Suche nach einem neuen Vereinspräsidenten (Bild: Inka Grabowsky)
Es ist nicht immer leicht, einen Ausgleich zwischen den drei mitunter divergierenden Interessen am Locorama zu finden. Im März 2018 war Adolf Müller, der bisherige Präsident des Vereins, altershalber nicht mehr zur Wiederwahl angetreten. „Er hat eine grossartige Arbeit geleistet und viel Ruhe in die Organisation gebracht“, lobt David H. Bon. Der Präsident bildet nicht nur eine Schnittstelle zwischen Verein und Stiftung, er muss auch zwischen den Mietern und der Erlebniswelt vermitteln und dabei die Finanzen im Blick haben. „Für die Nachfolge haben wir unsere Fühler ausgestreckt“, so der Stiftungsratspräsident.
„Gemeinsam suchen Stiftungsrat und Vereinsvorstand jemanden mit Führungserfahrung und einem Gefühl nicht nur für die Bahn, sondern vor allem für die Freiwilligen. Dazu gehört neben fachlichen Kenntnissen auch die Fähigkeit, das Locorama populärer zu machen. Wir brauchen jemanden, der unsere Leistungen auch der breiten Öffentlichkeit verkaufen kann. Das ist wichtiger als technisches Know-How.“
„Den jungen Besuchern erklären wir, wie das Leben vor der Digitalisierung aussah, und die Älteren erinnern wir an das, was sie selbst erlebt haben.“
Gallus Hengartner, Vizepräsident Verein Locorama Romanshorn
Eilig haben es Stiftung und Verein dabei nicht. Der restliche Vorstand mit dem neuen Vizepräsidenten Gallus Hengartner ist auf einer virtuellen Generalversammlung gewählt. „Es funktioniert im Vorstand auch so“, sagt Markus Bösch. „Wir haben eine Pendenzenliste und klären, wer was macht. Aber es fehlt eine Integrationsfigur. Da sind wir stärker gefordert. Wenn wir einen Präsidenten oder eine Präsidentin hätten, würde es uns entlasten.“
Der neue Vizepräsident ist jedenfalls froh an Bord zu sein: „Ich habe bei der Bahn geschafft“, sagt Gallus Hengartner. „Und nun macht es mir Freude, den Menschen zu zeigen, wie man früher gearbeitet hat und wie sich Reisen angefühlt hat. Deshalb habe ich mich für das Amt zur Verfügung gestellt.“ Das Locorama biete viele Möglichkeiten, sich einzubringen, und es sei ideal, wenn man hinter die Kulissen der Bahn schauen wolle. „Den jungen Besuchern erklären wir, wie das Leben vor der Digitalisierung aussah, und die Älteren erinnern wir an das, was sie selbst erlebt haben.“
Audio-Reportage aus dem Locorama (Regional-Journal Ostschweiz)
Generationsproblem: Viele Aktivmitglieder sind im Pensionsalter
Gegen Entlastung hätten auch die Aktiven des Vereins nichts einzuwenden. 46 Männer – viele altgedient und im Pensionsalter - engagieren sich derzeit ehrenamtlich, zehn von ihnen sind nach Angaben des Vereins mehr oder weniger ständig aktiv. „Einige neue Aktivmitglieder wären schön“, wünscht sich Markus Bösch. David H. Bon erklärt: „Von Unkrautjäter bis zum Schienenverleger: Jede Arbeit ist uns wertvoll. Unser Depotchef und Werkstattleiter Gallus Hengartner braucht Hilfe beim Gartenbahnbetrieb oder beim Unterhalt der Anlage. Wir finden für jeden Freiwilligen eine sinnvolle Aufgabe.“
Mehr Passivmitglieder kann der Verein natürlich auch immer brauchen. Im Augenblick gibt es 18 davon, die mit ihrem Jahresbeitrag von 50 Franken bei der Finanzierung der Alltagsarbeit helfen. „In Zukunft können wir in die Breite gehen und Idealisten ansprechen, die die Idee unterstützen wollen, ohne sich selbst die Finger schmutzig zu machen“, so Bösch.
Immerhin: Die Zahlen stimmen
Die Erlebniswelt im Locorama ist nach wie vor beliebt bei Besuchern. Zu den sonntäglichen Öffnungszeiten kamen im vergangenen Jahr 2852 Menschen, rund 260 mehr als noch 2018. Über Führungen ausserhalb der Öffnungszeiten - bei Geburtstagen, Schulbesuchen, Firmenempfängen, Hochzeiten oder Ferienpassaktionen - gab es noch einmal 4536 Besucher. Durch die Events zwischen Mai und Oktober erwirtschaftete das Locorama bisher sogar ein kleines Plus von einigen tausend Franken.
Öffnungszeiten & besondere Anlässe
Das Locorama ist an Sonntagen bis und mit 25. Oktober 2020 von 10 - 17 Uhr geöffnet. Coronabedingt können einzelne Bereiche ganz oder für die Desinfektion kurzzeitig geschlossen sein. Am Sonntag, 2. August, gibt es Pendelfahrten mit dem Rangiertraktor Tem I «Goofy». «Goofy», das Rangierfahrzeug mit der Thurgauer Stube, dem nostalgischen 3.Kl-Wagen verkehrt vom Bahnhof Romanshorn ins Locorama und zurück:
Locorama ab 10:23 Uhr, stündlich bis 16:23
Bahnhof Romanshorn ab 10:33 Uhr, stündlich bis 16:33
Mitfahrt gratis, Eintritte für Locorama werden im Wagen verkauft.
Einen grossen Eisenbahn-Artikel-Verkauf gibt es am Sonntag, 9. August, 10 bis 17 Uhr. Im Angebot: Messing-Schilder, Karton-Billette (Edmonson), Lampen, Bücher, Video, Münzen, und vieles mehr.
.
Von Inka Grabowsky
Weitere Beiträge von Inka Grabowsky
- Silvester-Kult im Theaterhaus Thurgau (23.12.2024)
- Heimspiel für 75 Kunstschaffende (09.12.2024)
- Eine neue Welt tut sich auf (04.12.2024)
- Gruselige Geschäfte (20.11.2024)
- Die Musikerklärer (19.11.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Wissen
Kommt vor in diesen Interessen
- Bericht
- Geschichte
- Technik
- Industrie
- Bodensee
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Erfmotingas
1300 Jahre Ermatingen. Das Buch zum Jubiläum ist mehr als eine blosse Chronik, es ist eine eigene Liebeserklärung an die Geschichte eines Ortes. mehr
Wissen macht glücklich
«Wie wir arbeiten» (2): Kaum jemand schreibt schon so lange für uns wie Inka Grabowsky. Für sie ist das Gefühl, wenn der Groschen fällt, unbezahlbar. mehr
Schauplätze des Zweiten Weltkriegs im Thurgau
Die Frauenfelder Sonderausstellung «Fliegeralarm – Konfliktarchäologie im Thurgau» begibt sich auf Spurensuche. mehr