von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 14.04.2021
Die Rückkehr der Dandys
Mit „Europa: Neue Leichtigkeit“ war Andrin Uetz kurz vor Popstar. Dann löste sich die Band auf. Mit zwei neuen Projekten und dem Debütalbum seiner neuen Band Subito Zeitlos, meldet er sich jetzt zurück. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Es gibt nicht viele Ostschweizer Bands, die eine so kosmopolitische Dandyhaftigkeit und fast schon provozierend bohemienhafte Lässigkeit ausstrahlen, das man sie sich problemlos auf allen Bühnen dieser Welt vorstellen könnte.
Europa: Neue Leichtigkeit war so eine Band. „Fäkalschlager“ nannte die Berner Zeitung ihre Musik, die Tageswoche schrieb, sie seien eine „grossartig irritierende Kitschband, die Omas und Studentinnen gleichermassen verzaubert“. Und diese Spannbreite traf es ziemlich gut.
Von Gig zu Gig, von Festival zu Festival schien der Hype um die Musiker Samuel Weniger, Ruedi Tobler, Jonas Bischof und Andrin Uetz grösser zu werden. Mit ihrer Mischung aus bisweilen tabulosen Texten, schlagerhaften Melodien und politischem Anspruch waren sie in den Jahren ab 2010 so etwas wie die Band der Stunde. Frühe Vorläufer von späteren Austropop-Grössen wie Voodoo Jürgens oder Der Nino aus Wien.
Video: So klang die Neue Leichtigkeit
„Wir kamen an einen Punkt, an dem ich nicht mehr das machen konnte, was ich eigentlich wollte.“
Andrin Uetz, über das Ende der Band Europa: Neue Leichtigkeit
Kurz vor Popstar ging ihnen aber die Luft aus. „Für mich war das irgendwann stilistisch ausgeschöpft“, sagt Andrin Uetz, damals Gitarrist der Band. Es habe sich angefühlt wie eine Sackgasse: „Wir kamen an einen Punkt, an dem ich nicht mehr das machen konnte, was ich eigentlich wollte“, so Uetz heute. Das Ende wurde 2017 angemessen ambitioniert gefeiert - mit einem dreiteiligen Best-of-Konzeptalbum, das sich auch ein bisschen lustig machte über die grundsätzliche Idee eines Konzeptalbums.
Die neue Leichtigkeit ging, die Musik blieb. Ebenso die Anzüge und diese gewisse Dandyhaftigkeit. Richtig weg war Andrin Uetz nie, aber erst jetzt geraten seine neuen Projekte wieder etwas stärker in einen öffentlichen Fokus.
Drei neue Alben sind im vergangenen Jahr entstanden
Im ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr hat er gemeinsam mit dem Musiker Carlo Rainolter das Duo Karl Kave & Durian gegründet: „Das ist aus einem Spass heraus entstanden: Carlo hat die Instrumentals gemacht, ich habe dann die Texte dazu geschrieben. Ziemlich schnell hatten wir drei Tracks und so wuchs das Projekt immer weiter“, beschreibt Uetz.
So sehr, dass im Sommer nun bereits das zweite Album des Projektes bei dem Berliner Label Detriti Records erscheint. Der Titel: „Untergang und Finsternis“. Im Februar spielte das Duo einen Digital-Gig bei dem Zürcher Radiosender GDS.FM. Spuren der Neuen Leichtigkeit waren dort eindeutig erkennbar: Die Coolness, das bisschen Dada, die Spielfreude. Aber es gibt auch Unterschiede: Heute ist da mehr Neue Deutsche Welle als Schlager. Mit so schönen Textzeilen wie: «Aus dem Patriarchat mach Gurkensalat.» Man könnte auch sagen: Das ist jetzt mehr Grauzone als Beatrice Egli.
Video: Karl Kave & Durian bei GDS.FM
Bei Uetz’ zweiten Projekt verhält es sich ein bisschen anders. An Subito Zeitlos arbeitet er schon länger mit seinen Bandkollegen Carlo Rainolter (Synthesizer), Sandro Heule (Bass) und Samuel Weniger (Schlagzeug). „Für mich ist das die Antwort auf die Sackgasse der Neuen Leichtigkeit. Bei Subito Zeitlos kann ich wieder machen, was ich musikalisch machen will“, sagt Uetz.
Während es bei Karl Kave & Durian stark um den Text gehe, sei bei Subito Zeitlos der Bandsound entscheidend: „Stilistisch arbeiten wir mit Jazz- und Krautrock-Elementen, sind experimentell, probieren aus“, sagt der Gitarrist und Sänger. Das erste Album mit dem Titel „Attachment“ erscheint am 19. April.
Eine Liebeserklärung an die Hongkonger Demokratiebewegung: Subito Zeitlos «m i a»
Das, was man daraus jetzt schon hören kann, klingt verheissungsvoll. Hymnisches, Tiefgründiges und ziemlich klug arrangierte Sound-Frickeleien, die einem so schnell nicht aus dem Kopf gehen. Jazz, Pop, Indie - Subito Zeitlos mischen lustvoll alle Genres und lassen sich nirgendwo richtig einordnen. Und sind bei aller Detailverliebtheit erstaunlich eingängig. Die kunstvollen und hintergründigen Videos dazu sind eigentlich fast eigene Erzählungen. Beides zusammen lässt ein Gesamtkunstwerk erahnen.
Fragt man Andrin Uetz danach, warum er eigentlich Musik macht, dann hat er eine sehr einfache Antwort parat: „Weil es mir sehr grossen Spass macht!“ Dieser Spass liege vor allem in der Zusammenarbeit mit anderen MusikerInnen.
Das sei fast etwas Magisches, findet Uetz: „Es entsteht zwischen den MusikerInnen eine unglaubliche Intensität, wie ein Gespräch, nur viel verdichteter. Jeder bringt etwas ein, alleine könnte man das nie schaffen. Das macht es so unerschöpflich spannend.“ Auch wenn die Zusammenarbeit in Zeiten der Pandemie schwieriger war, sie konnte zumindest digital stattfinden. Für Uetz ein wichtiger Punkt, um in der vom Virus aufgezwungenen Vereinzelung nicht verloren zu gehen.
Das gemeinsame Musizieren als Anker in der Pandemie
Ganz mit der Musik aufzuhören kam schon deshalb nicht in Frage. Es hätte auch allem widersprochen, was Uetz, der übrigens auch Autor bei thurgaukultur.ch ist, wichtig ist: „Ich habe mein Leben lang schon gerne Musik gehört, später dann auch selbst Musik gemacht. Das war immer wichtig für mich und wird es auch immer bleiben“, sagt der Gitarrist. Seine erste musikalische Erinnerung? „Ein Jazzbassist, der mit der Ferse den Takt klopfte, das hat mich fasziniert, das wollte ich auch mal so machen“, so Uetz.
Also begann er in Strassenbands zu spielen, widmete sich in der Sekundarschule erst dem Rap, später dem Jazz, danach sei alles offen geworden. Musik, die Wirkung von Sounds, die Entdeckung neuer Klangwelten - all das hat ihn immer interessiert.
Die logische Konsequenz daraus war ein Studium der Musikwissenschaft. Zunächst in Basel, aktuell schreibt er an der Universität Bern seiner Promotion über den Klang von Städten und welchen Einfluss die architektonische oder geographische Umgebung auf unsere Wahrnehmung hat.
Die grosse Frage: Was ist eigentlich gute Musik?
Aber zum Schluss noch einmal zurück zur Musik. Und der ultimativen Frage: Was macht eigentlich gute Musik aus? „Puh“, sagt Andrin Uetz, „das kann ja eigentlich jeder nur für sich beantworten. Für mich muss es adäquat sein für das, was es sein will. Ich mag manchmal auch ganz billige Produktionen, es muss insgesamt stimmig sein“, sagt der Musiker. Das habe auch viel mit Timing zu tun: „Im richtigen Moment muss etwas kommen mit der exakt richtigen Intensität, dann packt es mich.“
Wäre es nicht ein bisschen zu kitschig, könnte man daraus fast schon wieder einen Schlagertext machen: Alles hat seine Zeit, warte nicht, sei bereit. Andererseits: Vielleicht ist das gar nicht kitschig, sondern genau der richtige Schlusssatz über einen Musiker wie Andrin Uetz.
Das Album „Attachment“ von Subtito Zeitlos erscheint am Montag, 19. April. Die ersten beiden Songs kann man bereits hier hören. Das zweite Album von Karl Kave & Durian heisst „Untergang und Finsternis“ und erscheint im Sommer bei dem Berliner Label Detriti Records. Das erste Album des Duos gibt es hier.
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