von Judith Schuck, 30.04.2022
Die Flüchtigkeit des Ruhms
Nur wenige Künstler:innen können das Andenken an ihr Werk über ihren Tod hinaus bewahren. Dass es sich aber auch lohnen kann, den Mantel des Vergessens zu lüften, zeigt jetzt das Kunstmuseum Thurgau. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Helene Dahm oder Adolf Dietrich dürfte im Thurgau jeder:m ein Begriff sein. Wer aber war Theo Glinz, wer Jenny Hippenmeyer? «Gelobt, gepriesen und vergessen – Von der Vergänglichkeit des Ruhms» heisst eine neue Ausstellung im Kunstmuseum Thurgau, die vom 1. Mai bis zum 18. September zu sehen sein wird. Sie soll aufzeigen, dass es immer Künstler gibt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einmal berühmt waren und nach ihrem Tod wieder in Vergessenheit geraten.
Porträts, Skulpturen, Grafiken, Stadt- und Landschaftsbilder sowie Werke, die das Gegenständliche immer mehr verlassen, von Anfang bis etwa Mitte 20. Jahrhunderts – in vier Räumen werden uns vergessene Künstler:innen mit Bezug zum Thurgau wieder ins Bewusstsein gerufen.
Erinnerung an vergessene Künstler:innen
Sich mit dem eigenen Werk ein Denkmal zu setzen, gelingt nur den wenigsten Kunst- und Kulturschaffenden. Die Frage danach, welche Faktoren den ewigen Ruhm begünstigen können, wird aufgeworfen.
Henri König, beispielsweise, 1896 in Romanshorn geboren und in Kreuzlingen aufgewachsen, galt ab den 1930ern als der berühmteste Bildhauer im Thurgau, mit Lehraufträgen in Genf.
Im Kreuzlinger Seeburgpark und Dreispitzpark zeugen heute noch Bronzen von seinem Schaffen. In Genf steht ein grosses Ferdinand Hodler Denkmal von König, «aber heute kennt ihn niemand mehr», sagt Markus Landert, Direktor des Kunstmuseums Thurgau.
Wer kennt den Urheber?
Das Vergessen versinnbildlicht in der Ausstellung die Marmorskulptur eines Jünglings. Urheber unbekannt, Thurgauer Provenienz, ein Geschenk ans Museum. «Es war sicher kein billiges Stück, allein der Marmor hat damals viel Geld gekostet», bemerkt Landert.
Er datiert die Entstehung auf die Zeit nach dem ersten Weltkrieg, «vorher gibt es eigentlich keine Skulpturen im öffentlichen Raum.» Vielleicht hat ja jemand von den Besucher:innen eine Idee, von wem sie stammen könnte?
Eine weitere Frage, die der Kurator stellen möchte, lautet: «Was bedeutet eine akademische Ausbildung?» Die ausgestellten Künstler:innen haben im Grunde alle eine solide Ausbildung genossen. «Theo Glinz durchlief eine typische Künstlerkarriere», so Landert.
«Das Thema sollte eine überzeitliche Gültigkeit haben.»
Markus Landert, über ein wichtiges Kriterium für Ruhm und Erfolg in der Kunst
1890 in Lenzburg geboren, startet er mit einer Lehre als Stickereizeichner in St. Gallen. Später besuchte er die Akademie der bildenden Künste in München. In Paris wurde er Schüler von Eduard Vuillard. Nach Ende des ersten Weltkriegs kehrte er in die Schweiz zurück. Ab 1926 wohnte und arbeitete er in Schloss Horn.
Ein auffälliges Selbstporträt gleich zu Beginn der Ausstellung zeigt ihn mit Künstlerkollegen und einem entblössten, weiblichen Modell. Die Männer auf dem Bild sind namentlich angeschrieben, die Frau nicht. «Ich finde das Bild spannend. Es sagt viel darüber aus, wie sich die Kunstszene damals definierte», erklärt der Museumsdirektor.
Zum Beispiel Martha Haffter
Von Glinz sind noch weitere beeindruckende Porträts zu sehen, doch ab seiner Zeit in Horn habe er nur noch belanglose Landschaftsbilder gemalt, findet Landert. Gepriesen, vergessen.
Mit Porträtmalerei verdiente auch Martha Haffter ihr Geld. Während der Gründerzeit entstand allmählich für Frauen die Möglichkeit für eine akademische Ausbildung als Künstlerin. Die Frauenfelderin hospitierte zunächst in der Kunstgewerblichen Abteilung des Technikums in Winterthur.
Ein anderer Blick auf die Kunst
Ab 1900 lernte sie an der Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins. 1902 studierte sie an der Académie Julien in Paris, wohin sie auch später noch einmal jährlich für Studienzwecke hinreiste.
Die Ausstellung zeigt von ihr unter anderem ein Gemälde der «Badeanstalt Frauenfeld», etwa um 1926 entstanden, im Stil der Neuen Sachlichkeit. In der Szene befinden sich auffallend viele Mädchen, das Rot der Badeanzüge und Hauben kontrastiert das kühle Blau des Wassers und das Grün der Bäume an einem heissen Sommertag.
Früher en Vogue, heute ein Schnäppchen
Für «Gelobt, gepriesen und vergessen» schöpfte das Kunstmuseum vor allem aus seinem Bestand. Gerade die Vergessenen finden sich heute oftmals zu kleinem Preis auf Ricardo, Ebay oder in Brockenstuben wieder.
Während ein kommerzielles Porträt der Bankierstochter «Jenny Hippenmeyer», 1899 von Emma Bindschedler gemalt, aus dem Bestand des Hauses stammt, kaufte Markus Landert im vergangenen Sommer ein Selbstporträt eben dieser Jenny Hippenmeyer neu ein.
Trotz Ausbildung kein Erfolg
Eine Frau aus München habe das Gemälde dem Museum angeboten. Witzigerweise begründeten Bindschedler und Hippenmeyer Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam in Köln eine eigene Kunstschule.
Mathilde van Zuylen aus Gottlieben – ihr gehörten nach dem frühen Tod ihres Mannes Waaghaus und Drachenburg – malte vor allem Porträts in ihrer Verwandtschaft. «Sie verkaufte ihre Werke aber im Grunde nie, da ist das Vergessen vorprogrammiert», sagt Landert. «Ich glaube, sie war nie wirklich erfolgreich und kam nur über einen Sammler von Adolf Dietrich zu uns ins Depot.» Obwohl die Dame eine hervorragende Ausbildung geniessen durfte.
Die Repräsentation weicht der Reflexion
Interessant an den Porträts ist die Gegenüberstellung oder auch Entwicklung von kommerziellen Porträts, die eine Person standesgemäss abbilden zum Zwecke der Repräsentation und den späteren Darstellungen, die eher auf das Wesen, den inneren Zustand, die Wahrnehmung einer Persönlichkeit abzielen, der Reflexion.
Sophie Egger-Looser malte mit dem «Bildnis A. Bossart» eine in ihre Lektüre versunkene Frau, selbstvergessen, statt sich selbstdarstellend. Egger-Looser stammt aus Bischofszell und war mit einem Juristen in Zürich verheiratet, wo sie einer Künstlergruppe angehörte.
«Sie konnte wirklich malen», findet der Museumsleiter. «Wenn mehr mit ihrem Einfühlungsvermögen für einfache Stände gemalt hätten, dann wäre die soziale Verwerfung in der Schweiz weniger schlimm», glaubt er.
Leider wieder aktuell: Erinnerungen an Kriegsszenen
Ein weiterer Raum legt seinen Schwerpunkt auf grafische Blätter. Expressionistische Holzschnitte und Radierugnen von Kriegsszenen, Krankenhäusern und Eisenbahnwaggons voller verschreckter Menschen. Die Künstler:innen stellen die existenzielle Empfindsamkeit der Gesellschaft auf.
Ernst Emil Schlatter war Karikaturist. Seine bissigen Zeichnungen veröffentlichte er unter anderem im Satiremagazin «Nebelspalter». Eine Mappe von einigen seiner Jugendstil-Lithographien kaufte das Museum erst vor einigen Wochen an.
Drei Kriterien gegen das Vergesssen
Zum Winterthurer Künstler Robert Wehrlin gibt es eine aufschlussreiche Anekdote, von welchen geschmacklichen Zufällen das Vergessen- oder Nichtvergessenwerden abhängen kann. In der Ausstellung ist von ihm neben anderen Bildern ein Selbstporträt zusehen, auf dem er sich eine Pistole an den Kopf hält, im Hintergrund treiben Nazis ihr Unwesen.
Landert stiess bei seinen Recherchen auf einen Schriftwechsel, als Ernst Mühlemann und Thomas Onken die Ankaufskommission des Museums bildeten. «Thomas Onken sagte darin, dass Wehrlin keine guter Künstler sei, aber Mühlemann hat sich durchgesetzt und gekauft.»
Was sind nun also die Kriterien für ewigen Ruhm in der Kunst? Markus Landert findet drei Punkte wesentlich: «Das Thema sollte eine überzeitliche Gültigkeit haben.»
Ausstellung zeigt den Wandel unserer Gesellschaft
Leider gewinnen gerade die furchtbaren Szenen aus dem 1. und 2. Weltkrieg heute wieder an Aktualität. Ausserdem müssten Bilder interessant sein. Was interessant ist, ist aber nicht gerade einfach zu beurteilen. Und ein letztes Kriterium beinhaltet die Frage, inwieweit Werke eine Aussage über gesellschaftlich relevante Themen machen können.
In globo wird die Ausstellung diesen Kriterien mehr als gerecht, aus kulturhistorischer wie ästhetischer Sicht zeigt sie uns den Wandel unserer Gesellschaft, aber auch Themen und Emotionen, die die Menschheit immer begleiten.
Eröffnung der Ausstellung & ein Interview zum Thema
Am Sonntag, 1. Mai ist um 11.30 Uhr Vernissage mit einer Einführung durch den Museumsdirektor. Zusätzlich wird es ein Rahmenprogramm zur Ausstellug geben mit Lesungen und Performances.
Ein ausführliches Interview mit Markus Landert, Direktor des Kunstmuseum Thurgau, über Werte in der Kunst, streift auch die Frage der Vergänglichkeit von Kunst.
Ein Auszug:
Es gibt Künstler:innen, die zu ihren Lebzeiten umjubelt waren, heute aber kein Mensch mehr kennt. Ebenso gibt es Künstler:innen, die zu Lebzeiten kaum bekannt waren, heute aber Anerkennung erfahren. Warum sind Werte in der Kunst so vergänglich?
Die Vorstellung dessen, was Kunst ist und was sie der Gesellschaft zu bieten hat, verändert sich mit dem Wandel eben dieser Gesellschaft. Kunst ist heute nicht mehr das gleiche wie vor 50 oder 100 Jahren, genauso wie sich auch die Werte der Gesellschaft verändert haben. Ein aufschlussreiches Beispiel dieses Wertewandels zeigt sich in der aktuellen Diskussion über den Umgang mit Objekten aus Afrika. Vor hundert Jahren waren es Beutestücke, die vom Erfolg der europäischen Kolonialpolitik kündeten. Heute sind es Zeugen von Grausamkeit, Rassismus und fehlendem Gerechtigkeitssinn der europäischen Eroberer. Und an der Rückgabediskussion kristallisieren sich nun Fragen von Schuld, Verantwortung und Wiedergutmachung. Die Objekte sind die gleichen geblieben, aber unsere Haltung dazu und unser Umgang mit ihnen hat sich verändert. Wir stellen heute andere Fragen, nicht zuletzt auch weil sich die Werte in der westlichen Gesellschaft verändert haben. Eine rein ästhetische Betrachtungsweise wie früher ist nicht mehr möglich, weil die Diskussion über künstlerische Werte nie losgelöst ist von den übrigen Werte-Diskussionen in der Gesellschaft.
Bedauern sie das als Direktor eines Kunstmuseums?
Da gibt es nichts zu bedauern. Je vielfältiger eine Auseinandersetzung mit einem Kunstwerk geführt werden kann, desto reicher wird diese. Eine rein ästhetische Betrachtung eines Gemäldes oder einer Skulptur zieht wesentliche Beschränkungen nach sich, wodurch die Potentiale von Kunstwerken nicht ausgeschöpft werden können.
Von Judith Schuck
Weitere Beiträge von Judith Schuck
- Annäherung an den Tod (05.11.2024)
- Was wirklich zählt (29.10.2024)
- Ohne Raum bleibt alles nur ein Traum (28.10.2024)
- Wie die Kultur auf den Stundenplan kam (21.10.2024)
- Dem Blick ausgeliefert (23.09.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Vorschau
- Bildende Kunst
Kulturplatz-Einträge
Ähnliche Beiträge
Zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein
Die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin Thi My Lien Nguyen richtet ihr Augenmerk im Kunstmuseum St. Gallen auf die Ambivalenz postmigrantischer Realitäten. mehr
Warum Räume für Kultur so wichtig sind
Schwerpunkt Räume: «Kultur braucht Raum, um zu entstehen, aber vor allem auch um ein Ort des Austauschs zu sein», findet die Malerin Ute Klein. mehr
Alte Mauern, neue Gedanken
Beim grenzüberschreitenden Festival „Heimspiel“ wird ab 15. Dezember die Arboner Webmaschinenhalle erstmals als Kunstort bespielt. Wie gut kann das funktionieren? Ein Baustellenbesuch. mehr