von Anabel Roque Rodríguez, 01.04.2021
Der Silbergaul von Ittingen
#Lieblingsstücke, Teil 9: Alpo Koivumäkis Arbeit «Topi-Horse» am Kunstmuseum Thurgau beweist, dass Kunst auch auf einem Bauernhof entstehen kann. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
In der Kunst gibt es noch immer zwei Fragen mit denen man Experten und Expertinnen in hitzige Diskussionen verstricken kann: Wie wird eigentlich etwas zu Kunst? Und wer darf sich KünstlerIn nennen? Im Verlauf der Kunstgeschichte wurde diese Frage unterschiedlich beantwortet, meist ist sie von gesellschaftlichen Entwicklungen abhängig.
In vielen Fällen gilt die akademische Ausbildung als ein Indikator, um einen Künstler als solchen zu definieren. Sieht man sich die Biographien vieler KünstlerInnen an, merkt man aber schnell, dass dieses Kriterium nicht grundsätzlich anwendbar ist, um Kunstschaffende zu legitimieren, denn eine künstlerische Ausbildung war und ist noch immer häufig von Geschlecht, Hautfarbe und sozialem Hintergrund abhängig.
Künstler ohne akademische Kunstausbildung
Ich persönlich mag Kunst die ausserhalb von vermeintlichen Definitionen ansetzt, die an den Grenzen von institutionalisierten Kategorien neue Perspektiven aufwirft. In dieser künstlerischen Grauzone verordnen sich zum Beispiel die Kunstrichtungen Art Brut, Outsider Art und Naive Kunst. Hier finden sich Arbeiten von LaienkünstlerInnen ohne akademischer Kunstausbildung, die häufig ausserhalb des professionalisierten Kunstsystems arbeiten. Das Kunstmuseum Thurgau hat hier einen seiner inhaltlichen Schwerpunkte.
Da reiht sich auch der 1939 in Finnland geborene Bauer Alpo Koivumäki ein. Bis Mitte der 90er Jahre betrieb er seinen eigenen Hof, musste diesen dann aber schliessen. Auf der Suche nach einer neuen Aufgabe begann er aus Schrott, Holzstücken und Plastikabfall meist lebensgrosse Tiere zu gestalten, sodass sich sein Grundstück im Lauf der Zeit zu einer Art Tiergarten der Kunst verwandelte. 2009 wurde er vom Kunstmuseum Thurgau eingeladen eine Arbeit zu schaffen, so entstand das Pferd und 2011 folgte noch eine Bärin mit ihrem Jungen.
Weniger Theorie, mehr Liebe
Grundsätzlich gesprochen geht man davon aus, dass Kreativität die Gabe ist, aus Materialien und Gedanken neue Verbindungen zu schaffen. Kunst wird daraus – so sehen es Institutionen und Theoretiker meist – wenn sich zu diesen kreativen Verbindungen noch Handwerk, Kontext und historische Entwicklungen gesellen. Bei Alpo Koivumäkis Arbeit «Topi-Horse» (2009) kommt ein bisschen von allem zusammen. Aus Schrottteilen, Aluminiumblech und Elektrodrähten schaffte er ein lebensgrosses Pferd, ihm geht es weniger um grosse Theorien als um die Liebe zu Tieren.
Koivumäkis Werke entstehen fast ausschliesslich aus recyceltem Material. Als Inspiration dienen ihm Fotografien oder Tierdokumentationen. Dabei gehen die Materialien mit den Tieren eine Symbiose ein: manchmal gibt ein Stück das Tier vor, andere Male muss Koivumäki warten bis er ein Tier fertigstellen kann, weil ihm das Material dazu fehlt.
Nicht wegwerfen, sondern wieder verwenden
Die Arbeiten von Alpo Koivumäki zeugen von Achtsamkeit, vielleicht liegt es daran, dass er aus einer Generation stammt, die Dinge nicht einfach wegwarf, sondern versuchte diese zu reparieren, vielleicht musste er auch lernen mit dem auszukommen, was ihm das Leben gab. Seine Arbeiten sind auf jeden Fall ein Einblick in eine Geisteshaltung.
In der Kunst sprechen wir gerne von Professionalisierung, wenn es darum geht als KünstlerIn Fuss zu fassen. Wir leben in einer Zeit in der selbst Hobbies schnell produktiv und erfolgreich sein müssen. Dabei steht in den Anfängen die Liebe zu etwas. Früher verwendete man den Begriff Amateur, in Abgrenzung zum Experten, der voller Hingabe sich etwas widmen durfte, ohne das Ergebnis skalieren zu müssen.
Inzwischen ist Koivumäki im Kunstzirkus angekommen
Der Begriff wird inzwischen abwertend genutzt, aber vielleicht brauchen wir alle erneut die Erinnerung, dass wir auch von Neugierde angetrieben Dinge ausprobieren dürfen; dass Alter Innovation bringen kann; und dass wir in unserer Tendenz Dinge professionalisieren zu wollen, nicht vergessen dürfen, warum Menschen mit etwas begonnen haben.
Spät zu beginnen und dazu noch keine Fachausbildung zu haben, heisst nämlich nicht, dass man den Weg in die traditionelle Kunstwelt nicht finden kann. Die Arbeiten von Alpo Koivumäki sind inzwischen in vielen Sammlungen zu finden und wurden 2011 auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Genua ausgestellt.
Die Serie #Lieblingsstücke und wie Du mitmachen kannst
In unserer neuen Serie #Lieblingsstücke schreiben Thurgaukultur-KorrespondentInnen über besondere Kunstwerke im Kanton. Das ist der Start für ein grosses Archiv der beliebtesten Kulturschätze im Thurgau. Denn: Wir wollen auch wissen, welches ist Dein Lieblings-Kunststück aus der Region?
Skulpturen, Gemälde, historische oder technische Exponate, Installationen, Romane, Filme, Theaterstücke, Musik, Fotografie - diese #Lieblingsstücke können ganz verschiedene Formen annehmen. Einige der vorgestellten Werke stehen im öffentlichen Raum, manche sind in Museen zu finden, andere wiederum sind vielleicht nur digital erlebbar. Die Serie soll bewusst offen sein und möglichst viel Vielfalt zulassen.
Schickt uns eure Texte (maximal 3000 Zeichen), Fotos, Audiodateien oder auch Videos von euch mit euren Lieblingswerken und erzählt uns, was dieses Werk für euch zum #Lieblingsstück macht. Kleinere Dateien gerne per Mail an redaktion@thurgaukultur.ch, bei grösseren Dateien empfehlen wir Transport via WeTransfer.
Oder ihr schreibt einen Kommentar am Ende dieses Textes oder zum entsprechenden Post auf unserer Facebook-Seite. Ganz wie ihr mögt: Unsere Kanäle sind offen für euch!
Alle Beiträge sammeln wir und veröffentlichen wir sukzessive im Rahmen der Serie. Sie werden dann gebündelt im Themendossier #lieblingsstücke zu finden sein.
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Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Bildende Kunst
Ist Teil dieser Dossiers
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