von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 28.10.2016
Der Maschinenversteher
In Konstanz aufgewachsen, in Hamburg ausgebildet und jetzt seit Jahren wieder zurück am Bodensee: Der Medienkünstler Boris Petrovsky schickt sich an, die Kunstszene zu erobern. Mit aberwitzigen Maschinen und ausgetüftelten Gedanken
Wer wissen will, wie es im Atelier von Boris Petrovsky aussieht, der muss sich nur eine sehr, sehr volle Abstellkammer vorstellen. Kartons stehen auf Kommoden stehen auf Kartons, Leuchtröhren und sonstiges Material aus früheren Arbeiten steht, liegt irgendwie rum, wie gerade abgelegt mit dem sich nie bewahrheitenden Satz "Das kann ich sicher bald wieder gebrauchen". Irgendwo dazwischen ein kleiner Arbeitstisch, der vor lauter kleiner Schachteln mit Schrauben, Dübeln, Kabeln kaum als solcher erkennbar ist. Die erste Frage des Interviews liefert der Ort frei Haus: Herr Petrovsky, brauchen Sie das Chaos für Ihre Kunst? Der Künstler wundert sich nicht über die Frage, er weiss ja, wie es in seinem Atelier aussieht. Er sagt aber auch: "Das sieht von aussen vielleicht chaotisch aus, aber ich weiss genau, wo was ist. Es gibt schon ein gewisses System."
Was ist das für ein Mann, der in diesem Wust arbeitet? Boris Petrovsky ist so etwas wie das Aushängeschild der Region, wenn es um zeitgenössische Kunst geht. Ohne Frage hat sich der meistens schwarz gekleidete Petrovsky in den vergangenen Jahren zu dem vielleicht wichtigsten Vertreter der Moderne rund um den Bodensee entwickelt. Ein bisschen überraschend ist das schon, weil seine Arbeiten, nun ja, nicht gerade das sind, was man gemeinhin unter gefälliger Kunst oder leichter Kost versteht.
Vom Hochgeschwindigkeitswahn zum Stillstand
Ein Beispiel: Für eine seiner letzten Ausstellungen in der Galerie The View in Salenstein hat er einen "Ouroboros" geschaffen – eine große Plexiglaskugel, in der Bahnwaggons je nach Deutung entweder gemütlich hintereinander herfahren oder sich gegenseitig jagen. Für Petrovsky ist das eine kritische Auseinandersetzung mit der heutigen Medien- und Konsumgesellschaft: "Alles besser, alles schneller, alles wird zum Hochgeschwindigkeits-Prinzip – zunehmende Komplexität zum Verschlusskriterium. Das Rasende führt zum Stillstand – zum Ende ohne Ausgang – zum Anfang ohne Ende – zum ewigen Kreislauf – 'es gleicht dem altägyptischen Symbol der Schlange, die ihren eigenen Schwanz verzehrt", schreibt der Künstler im Katalog zur Ausstellung.
Wer sich mit dieser Art von Kunst beschäftigt, ringt schnell mit den Worten für eine adäquate Beschreibung dessen, was da gerade passiert. Medienkünstler, Zeichenkünstler, Postkritik – mit all den Begriffen kann Petrovsky wenig anfangen, weil sie für ihn letztlich auch nur Hüllen, Transportmedien sind von etwas, das sich ohnehin ständig ändert. Trotzdem sind es diese Bezeichnungen, die noch am ehesten die Arbeiten des 49-Jährigen treffen. Man kann sich wunderbar streiten mit ihm, seine Theorien sind oft so komplex, das sich immer irgendwo ein Anschluss ergibt. Kunstmarkt. Gesellschaft. Kommerzialisierung. Realität. Boris Petrovsky hat zu fast allem etwas zu sagen und es ist nie langweilig.
Arbeitswelten (1): Boris Petrovsky und seine winkenden Katzen
Der 49-Jährige ist gebürtiger Konstanzer, hat an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste Produktdesign und Kunst studiert, arbeitet seit 1997 als freier Künstler und lebt seit 2007 wieder in seiner Heimat am Bodensee. Nicht wegen des Heimwehs, es habe sich einfach so ergeben, sagt er. Dabei steht er der Region durchaus mit Skepsis gegenüber: „Das Gebiet rund um den Bodensee ist tendenziell von Langeweile und von einer gewissen Kunstresistenz geprägt", sagt Petrovsky. Trotzdem ist er jetzt hier – und arbeitet wie verrückt. Vielleicht ahnt er, dass es mit dem richtigen Durchbruch als Künstler genau jetzt klappen könnte. Die Chancen dafür stehen auch deshalb nicht schlecht, weil Petrovskys Lebensthemen Kommunikation, Bedeutung von Zeichen und Algorithmen gerade im Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Debatte stehen, die danach fragt, wie sehr Mensch und Maschine künftig verschmelzen werden.
Die Google-Brille ist für den Künstler da nur ein Beispiel dafür, dass die Technik optisch immer stärker verschwindet, aber gleichzeitig immer mehr Macht übernimmt. Unter dem Stichwort „Internet der Dinge" ist das eines der meist diskutierten Themen der vergangenen Monate. Boris Petrovsky ist ein Einmischer, ein Meinungssager. Aber nicht platt, sondern eher um die Ecke.
Arbeitswelten (2): Das "Vergerät" ist eine der vielen aberwitzigen Maschinen, die der Künstler Boris Petrovsky schon erdacht hat.
Auch deshalb schätzt ihn Stephan Geiger so sehr. Der Konstanzer Galerist vertritt Petrovsky und beobachtet dessen Werk schon lange. „Boris Petrovsky arbeitet mit Medien, die zeitgemäss sind, er ist am Puls der Zeit und versteht es immer wieder dem Betrachter auch den Spiegel vorzuhalten", sagt Stephan Geiger. Petrovskys Arbeiten seien zwar manchmal sperrig, aber sie hätten immer das Potenzial, bei den Menschen etwas auszulösen, findet der Galerist. Den Weg seines Schützlings sieht er noch nicht am Ende angekommen: „Im Moment geht es steil nach oben. Ich glaube, dass da auch in den nächsten Jahren noch einiges passieren kann", so Geiger.
Die nächste Ausstellung in der Region mit Arbeiten von Boris Petrovsky, wird am 27.Januar 2017 im Kunstraum Kreuzlingen eröffnet. Weitere Einblicke in die verschiedenen Arbeiten des Künstlers gibt es hier
Weitere Beiträge von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter
- In acht Schritten zum eigenen Kunstraum (21.11.2024)
- Alte Mauern, neue Gedanken (11.11.2024)
- Auf Kinderaugenhöhe (21.10.2024)
- Was hält uns zusammen? (16.10.2024)
- «Falsch gespart»: Kritik am Sanierungs-Stopp (15.10.2024)
Kommt vor in diesen Ressorts
- Kunst
Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
- Bildende Kunst
Ähnliche Beiträge
Zwischen Zugehörigkeit und Fremdsein
Die im Thurgau aufgewachsene Künstlerin Thi My Lien Nguyen richtet ihr Augenmerk im Kunstmuseum St. Gallen auf die Ambivalenz postmigrantischer Realitäten. mehr
Warum Räume für Kultur so wichtig sind
Schwerpunkt Räume: «Kultur braucht Raum, um zu entstehen, aber vor allem auch um ein Ort des Austauschs zu sein», findet die Malerin Ute Klein. mehr
Alte Mauern, neue Gedanken
Beim grenzüberschreitenden Festival „Heimspiel“ wird ab 15. Dezember die Arboner Webmaschinenhalle erstmals als Kunstort bespielt. Wie gut kann das funktionieren? Ein Baustellenbesuch. mehr