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von Brigitta Hochuli, 29.09.2016

Das Behagen am Unbehagen

Das Behagen am Unbehagen
"Im Glauben an Freiräume", 2014, Acryl und Öl auf Leinwand, 260 x 131 cm | © Christian Lippuner

Brigitta Hochuli

Unter dem Titel „Hinter Kulisse und Stirn" werden in Konstanz unter anderen drei Thurgauer in einer intermedialen Ausstellung ihr Unbehagen an pauschalisierenden Meinungen in einer offenen Gesellschaft äussern. Zur Vernissage am 6. Oktober, 19 Uhr, im Richental-Saal des Kulturzentrums am Münster treten in Aktion der Bildende Künstler Christian Lippuner (Ermatingen und Kreuzlingen), der Kulturjournalist und Souffleur János Stefan Buchwardt (Steckborn), der Konstanzer Fotograf Stefan Postius und mit einer Rede der Publizist Alex Bänninger (Stettfurt). Wir wollten von Christian Lippuner wissen, wie er zusammengefunden hat mit seinen Projektpartnern und wie er das Unbehagen bildlich umsetzt.


Musen gegenüber, 2015, Öl und Acryl auf Leinwand, 206 x 135 cm

 

Es sei die geistige Verwandtschaft und der gegenseitige Wunsch, miteinander zu arbeiten, die ihn und den Konstanzer Fotografen Stefan Postius zusammengeführt hätten, sagt Christian Lippuner. In János Stefan Buchwardt habe man den Schriftgelehrten gefunden. „Das Kollektiv war geboren." Anfangs seien sie vom eigenen Missbehagen ausgegangen. „Wir wollten uns ein gemeinsames künstlerisches Gefäss schaffen, für unser gesellschaftspolitisches, für unser universelles Unwohlsein, in dem man es sich wohl oder übel behaglich einrichtet. Schon war ein Titel geboren: 'Hinter Kulisse und Stirn' - Das Behagen am Unbehagen."

Gesamtassoziationsraum

Die Verbindungslinien im Kollektiv seien vielfältig, aber von verbindungsstiftenden Grundgedanken geprägt, so Lippuner. „Vom Phänomen der falschen Versprechungen, der Irreführungen und des Zurschaustellens angetrieben haben wir von Anfang eine Art Vereinigung der Künste vor Augen gehabt, einen Gesamtassoziationsraum."

Seine Stilmittel bezeichnet Christian Lippuner als mehrheitlich von nichtsprachlichen Zeichen geprägt, und zwar von Liniensystemen, schemenhaften körperlichen Ausformungen und somit Ausforschungen des Menschen. „Schablonenhafte Schichtungen ziehen von sich aus die Frage nach sich, was jeweils dahinter, aber auch in den Zwischenräumen geschieht." Konkrete Schrift- und Zahlensymbolik seien ihm dennoch nicht fremd.

In der Arbeit Im Glauben an Freiräume (Bild ganz oben) träfen denn auch die verschiedenen Elemente quasi exemplarisch aufeinander: umrisshafte Figuren, Diffuses, Lineaturen, die einerseits Verbautes, andererseits offene und unverstellte Raumkonstrukte zeigten. Im Bild Musen gegenüber (weiter oben) konstelliere sich eine Beziehung zwischen einer Vertreterin der Musen und dem Rat und Kreativität suchenden Menschen. „Kosmische Ausgestaltung trifft auf abstrakte profane Konturen."


Im Atelier zeigt drei Werke der Ausstellung (von hinten nach vorn): Luzifers List, Musen gegenüber und die Skulptur "Selbstredend"

 

„Sinnesmaterial" erfahre auch in der Sprache spezifische Auslegungs- und Deutungsarten, erklärt der Wortkünstler János Stefan Buchwardt. Seinerseits Leerstellen hinterlassend wolle es dazu verleiten, experimentell und manipulativ gehandhabt zu werden. „Also gilt es, die eigentlichen Denk- und Spielräume hinter den Lettern zu eröffnen."

Akupunkturnadeln in neuralgischen Stellen

Wo in der Gesellschaft aber ortet das Künstlerkollektiv solche manipulativen Vorgänge? „Genau da, wo die Welt um uns herum platt und überladen, abgedroschen und phrasenhaft ist, wollen wir unsere Akupunkturnadeln exemplarisch in neuralgische Stellen bohren", sagt János Stefan Buchwardt. Konkret seien es die Flüchtlingsproblematik, ideologisches Irrläufertum, das sich aktuell in massiven Ruckbewegungen nach rechts manifestiere, Kulissenschiebereien in Wirtschaft und Weltpolitik und das Phänomen drohenden Ungleichgewichts zwischen Natur und Über- oder Verbauung ganzer Lebensräume, die sie unter die Lupe nähmen. „Zu guter Letzt bohren wir aber auch in die geistige Verfasstheit der Moderne an sich."

In der Ausstellung werde man mit geistigen Höhen und Profanem konfrontiert, die Exponate dürften gleichzeitig sinnliche, spielerische, intellektuelle, mitunter auch schockierende Qualitäten aufweisen, sagt Buchwardt als der Pressesprecher des Kollektivs. Man wisse um das Risiko der Effekthascherei, wenn Tagesaktuelles aufgegriffen werde. „Aber eine gescheite, eben auch weit gefasste Einbindung bewegender aktueller Ereignisse sollte uns eben nicht zu Trittbrettfahrern gierig aufgeschnappter News herunterbuchstabieren." Es habe sich viel Fleisch um das Skelett gebildet. „Ob daraus eine künstlerische Ungeheuerlichkeit geworden ist oder ein mitreissendes aufrüttelndes Kulturprodukt, das entscheiden andere."

P.S.: Das Projekt wird von der Kulturstiftung des Kantons Thurgau mit 7000 Franken unterstützt.

***

Kunstausstellung im Konstanzer Ulrich-von-Richental-Saal im Zeitraum vom 7. Oktober bis 29. Dezember 2016; Vernissage am 6. Oktober, 19 Uhr

Weitere Veranstaltungen bis Ende Dezember unter anderen mit dem Thurgauer Künstler Ernst Thoma und zum Thema Architektur mit Benedikt Loderer und Christoph Nix

 

 

www.hinterkulisseundstirn.de

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