von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 04.03.2024
„Beiträge in Kultur sind gut investiertes Geld“

Ein seltenes Zeichen in diesen Tagen: Der Kulturpool Thurkultur fordert mehr Geld für Kulturprojekte. Kulturpool-Präsident David Zimmermann erklärt im Interview, weshalb das notwendig ist und warum Kulturförderung auf dem Land anders agieren muss als in einer Stadt. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)
Herr Zimmermann, Sie planen etwas Ungewöhnliches: Während an vielen Orten Kulturschaffende vor Zuschusskürzungen bangen, wollen Sie mehr Geld in die regionale Kultur investieren. Warum kommt dieser Vorstoss gerade jetzt?
David Zimmermann: Das hat zwei Dimensionen. Zum einen ist in den vergangenen Jahren alles teurer geworden. Diese Teuerungen konnten wir bislang nicht in unseren Beitragszahlungen berücksichtigen. Die Folge daraus: Unsere Beiträge waren oft nicht mehr kostengerecht. Zum anderen haben wir festgestellt, dass nicht nur die Anzahl der Gesuche in den vergangenen Jahren gestiegen ist, sondern auch die einzelnen Summen bei einzelnen Projektgesuchen inzwischen höher liegen. Dazu kommt, die Gesuche und somit deren Darbietungen sind qualitativ gestiegen. Die Entscheidung wer Geld bekommt und wer nicht, fällt immer schwerer.
Regionale Kulturpools sollen Kultur und Veranstaltungen in den Gemeinden unterstützen. Eigentlich ein gutes Förderinstrument. Aber die Vergabe der Gelder ist nicht überall gleich transparent, wie eine Recherche von thurgaukultur.ch vor zwei Jahren gezeigt hat.
Die ersten Kulturpools im Thurgau sind 2009 in Kreuzlingen und Diessenhofen entstanden. Inzwischen gibt es acht Kulturpools im Thurgau. Ziele sind die Stärkung der regionalen Kultur, die Schaffung einer Plattform für den Dialog zwischen Kulturveranstaltern und Gemeinden sowie die Vereinfachung der administrativen Abläufe von Kulturförderung.
Der Gedanke hinter der Gründung war auch, dass die Menschen vor Ort am besten darüber entscheiden können, welche Kulturprojekte für ihre Region förderungswürdig sind. Die Kulturpools sind also zuständig für die Förderung von Einzelveranstaltungen und Veranstaltungsreihen mit lokaler beziehungsweiser regionaler Ausrichtung.
Mitglieder der Kulturpools sind in erster Linie Gemeinden aus der jeweiligen Region. Sie zahlen pro Einwohner einen Beitrag zwischen 1 und 2 Franken (unterscheidet sich je nach Pool) in den Topf des Kulturpools. Dieser Betrag wird vom Kanton aus Mitteln des Lotteriefonds schliesslich verdoppelt.
Ein paar Zahlen, um einzuordnen, was der Kulturpool macht: 2022 wurden von 125 Gesuchen 108 bewilligt. Diese Projekte erhielten zwischen 250 und 8000 Franken, insgesamt lag das eingereichte Gesuchsvolumen von Thurkultur 2022 bei 270’000 Franken, 188’000 Franken sind direkt an Kulturprojekte geflossen. Was wollen Sie da konkret ändern?
Gerade diese Differenz von 82’000 Franken zwischen eingereichtem Gesuchsvolumen und dem was wir auf Basis der gültigen Richtlinien und der aktuellen Vergabepraxis ausschütten können, schmerzt uns. Dass dies bei den Kulturschaffenden nicht nur Begeisterung ausgelöst hat, können Sie sich vorstellen. Aber: Die Gegenüberstellung des eingereichten Gesuchsvolumens und der gesprochenen Beiträge zeigt auf, welchen «Spagat» der Vorstand jeweils vornehmen muss. Er ist sich seiner Verantwortung gegenüber den Gemeinden und den Kulturschaffenden wohl bewusst.
Was muss sich also ändern jetzt, damit mehr Geld tatsächlich bei den Kulturschaffenden landet?
Es ist sicher sinnvoll, unsere Satzung mal zu überprüfen und sie auf die heutigen Gegebenheiten anzupassen. Das wäre für mich aber erst der zweite Schritt.
Was wäre dann der erste Schritt?
Wir müssen uns unsere aktuellen Förderungen genau anschauen. Wenn es uns gelingt, die Gelder für die Kulturprojekte in unserer Region zu erhöhen, dann gilt es verschiedene Dinge zu überprüfen. Wir zahlen beispielsweise an einzelne Institutionen Jahresbeiträge, da könnte ich mir Erhöhungen vorstellen. Ebenso bei den Projektbeiträgen, die könnten wir gerechter bezahlen, auch die Werkbeiträge, die wir während der Corona-Pandemie eingeführt haben, wollen wir fortsetzen und wir wollen vermehrt in die Jugendförderung investieren, also Jugendmusiken als Beispiel verstärkt unterstützen. Für uns auch wichtig: Die Kulturbühne werden wir künftig alleine finanzieren müssen, die Anschubgelder von der Stadt Wil und vom Kanton Thurgau fallen weg. Um dieses erfolgreiche Format fortführen zu können, werden wir auch einige Mittel benötigen.
Die Kulturpools werden im Wesentlichen von Beiträgen aus den Gemeinden getragen. Wie wollen Sie die Gemeinden davon überzeugen, mehr Geld in den Kulturpool einzubezahlen?
Beiträge in die Kultur sind gut investiertes Geld, denn das musische Leben in den Gemeinden bedeutet auch Vernetzung, Integration und Kontaktpflege in der Bevölkerung. Zudem verbleiben die ausgezahlten Fördermittel weitgehend in der Region. Es steigert den Lebenswert unserer Region.
„Der Aufwand dafür, Aufmerksamkeit für Kultur zu erzielen, ist auf dem Land ungleich grösser als in einer Stadt.“
David Zimmermann, Präsident Kulturpool Thurkultur und Gemeindepräsident von Braunau
Man könnte auch sagen, es wird Zeit etwas zu ändern: Seit der Gründung des Kulturpools Thurkultur 2011 hat sich nichts an den Beiträgen der Gemeinden geändert. Sie zahlen nach wie vor einen Franken pro Einwohner.
Das stimmt. Im Vergleich zu anderen Förderorganisationen in der Ostschweiz besetzen wir mit unserem Mitgliederbeitrag derzeit einen Schlussrang, zusammen mit Kultursee Kreuzlingen. Alle anderen Kulturpools in der Ostschweiz haben Beiträge von 1.25 Franken bis zu 3.50 Franken pro Einwohner.
Es ist nicht das erste Mal, das Sie planen die Mitgliedsbeiträge zu erhöhen. Woran sind frühere Versuche gescheitert?
Damals haben uns die Gemeinden gesagt: Ihr habt doch noch genug Eigenkapital, braucht erstmal das auf, bevor ihr neue Mittel beantragt. Bei vielen Gemeinden gab es die Vorstellung, dass der eine Franken pro Einwohner, den sie bezahlen, ausreichen muss. Dabei sind die Ausgaben ja überschaubar. Um ein Beispiel zu nennen: Wil ist die grösste Stadt in unserer Region mit knapp 19’200 Einwohnern und zahlt dementsprechend 19’200 Franken in den Kulturpool ein.
Haben Sie Hoffnung, dass die Haltung bei den Gemeinden heute eine andere ist als damals?
Ja. Die Niederlage damals hat dazu geführt, dass wir uns genau überlegt haben, was wir ändern müssen. Zentral war für mich, dass wir viel transparenter aufzeigen müssen, was wir mit unseren Mitteln machen. Das gelingt uns mit unseren Jahresberichten und den Infos auf unserer Website inzwischen gut. Mein Eindruck ist, dass wir seither auch besser erklären, warum es uns braucht und wie die Gemeinden davon profitieren. Letztlich geht es ja darum, die gesamte Region zu stärken.
„Zentral war für mich, dass wir viel transparenter aufzeigen müssen, was wir mit unseren Mitteln machen.“
David Zimmermann, Präsident Kulturpool Thurkultur und Gemeindepräsident von Braunau
Ist es schwieriger in ländlichen Regionen für Investitionen in Kultur zu werben als in einem städtischen Umfeld?
Ich glaube schon, ja. Wir müssen viel mehr erklären, vermitteln und Brücken bauen.
Muss Kulturförderung in solchen Gegenden anders agieren?
Unbedingt. Wir müssen uns mehr bemühen. Der Aufwand dafür, Aufmerksamkeit für Kultur zu erzielen ist auf dem Land ungleich grösser. Dabei ist die Bedeutung, die Kultur für eine Gesellschaft haben kann, ja nicht per se in einem Dorf eine andere als in einer Stadt. Trotzdem müssen wir hier vielleicht eher immer mal wieder dafür sensibilisieren. Es geht dabei aber auch darum, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt, deshalb vertreten wir auch einen breiten Kulturbegriff, der beispielsweise auch das Vereinsleben im Blick hat.
Die Entscheidung über eine Erhöhung der Fördermittel für Kultur trifft die Mitgliederversammlung am 29. Mai. Eine einfache Mehrheit der 22 Mitgliedergemeinden reicht dabei aus. Erhalten Sie die, verdoppelt sich ihr Budget mit einem Schlag. Gibt es überhaupt genug Projekte für diese Summe in Ihrer Region? Oder anders gefragt: Was haben Sie vor mit dem Geld?
Wir wollen nicht einfach nach dem Giesskannenprinzip verfahren, sondern gezielt fördern. Es geht auch nicht darum, unsere Geschäftsstelle auszubauen, sondern darum, weiterhin möglichst viel der Gelder, die wir bekommen, in die Kultur zu investieren. Aktuell fliessen rund 85 Prozent unserer Gelder direkt in Kulturprojekte. Das soll so bleiben.
„Wer immer nur sagt, wir müssten auskommen mit dem, was wir zur Verfügung haben, der darf sich dann hinterher auch nicht wundern, dass das Kulturleben stagniert und nicht mehr passiert.“
David Zimmermann, Präsident Kulturpool Thurkultur und Gemeindepräsident von Braunau
Gibt es denn schon konkrete Ideen, wie zusätzliche Mittel verwendet werden könnten?
Die Jahresbeiträge an etablierte Institutionen erhöhen zum Beispiel, einzelne Projektbeiträge gerechter berücksichtigen und eine stärkere Unterstützung im Bereich der Jugendmusiken kann ich mir gut vorstellen. Ebenfalls denkbar wäre, dass wir bei brennenden Themen aus der Kulturszene beratend agieren. Ich nenne nur mal das Beispiel „soziale Absicherung von Künstlern“. Warum hier nicht mal ein Expertengespräch für Kulturschaffende veranstalten? Ideen gibt es grundsätzlich genug, jetzt geht es darum, sie auch umsetzen zu können.
Haben Sie ein Gespür, wie es ausgehen könnte am 29. Mai?
In den bisherigen Rückmeldungen spüre ich eine positive Tendenz. Mehr als die Hälfte der Gemeinden hat bereits zugesagt, die Erhöhung mitzutragen. Ich möchte aber auch die Gemeinden noch überzeugen, die zögerlich sind, weil mir ein konstruktives Miteinander wichtig ist. Ausserdem fände ich ein einstimmiges Resultat ein starkes Zeichen. Auch in Richtung unserer Kulturszene.
Und was wenn Ihr Vorhaben doch wieder scheitert?
Bei einer Ablehnung wird mit den bestehenden Beiträgen weitergearbeitet. Das bedeutet jedoch, dass weniger Beiträge im Verhältnis ausgerichtet werden können. Wer aber immer nur sagt, wir müssten auskommen mit dem, was wir zur Verfügung haben, der darf sich dann hinterher auch nicht wundern, dass das Kulturleben stagniert und nicht mehr passiert.


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