von Jeremias Heppeler, 27.03.2023
Auf zu neuen Welten!
Das alte Apollokino in Kreuzlingen erlebt in der Kunstnacht Konstanz Kreuzlingen eine fulminante Wiederauferstehung – als Tempel der zeitgenössischen (Film)Kunst. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Okay, eine digitale Anekdote zum Einstieg: In der vergangenen Woche ging ein TikTok-Video des Accounts von Romy Mars viral, in welchem die 16 Jährige mit schnellen Schnitten und grandiosen Humortiming davon erzählte, dass sie von ihren Eltern zu Hausarrest verdonnert wurde, weil sie mit der Creditkarte ihres Vaters versucht hatte einen Helikopter zu chartern.
Doch warum erzähle ich Ihnen das? Romy ist die Tochter von Phoenix Sänger Thomas Mars und Sofia Coppola, was sie darüber hinaus zu Enkeltochter von Francis Ford Coppola macht - und damit sind wir schon fast beim Thema.
Nichts ist beim Film so konstant wie der stete Wandel
Denn Romys Grossvater zeigte sich als Filmemacher für Meisterwerke wie „Der Pate” und „Apocalypse Now” verantwortlich, ihre Mutter prägte mit Filmen „The Virgin Suicides” und „Lost in Translation” das Indie-Kino um die Jahrtausendwende.
Auf Twitter wurde nun das 49 Sekunden lange Video sorg- und vielfältig diskutiert, einer der Topkommentare lautete: „Ein perfekter Kurzfilm, wie haben eine dritte Generation von Copolla-Regiseur:innen.” Und auch wenn derartige Einordnungen sicherlich von Internet-Humor getrieben sind, offenbart uns der gesamte Komplex vor allem eines: Das Medium Film befindet sich seit mehr als einem Jahrhundert in einem stetigen Wandel.
Das bewegte Bild fasziniert über Generationen hinweg
Es lebt und mutiert in den unterschiedlichsten Formen und Farben. Die dreiköpfige Copolla-Hydra zeichnet uns eine wunderbar griffige Metapher für diesen Wandel, der manchmal schmerzt und manchmal nervt und vor allem die Gatekeeper verärgert, aber auch die Faszination des bewegten Bildes über Generationen hinweg greifbar macht.
Und genau an diesem Themenfeld arbeitet sich auch die Ausstellung „reconnection cinema” ab, mit der sich das ehemalige Apollo Kino nach längerem Stillstand als neuer Ort für zeitgenössische Kunst und Kultur auf der Karte des Thurgaus verankert. Aber genug vom heissen Brei, springen wir direkt rein ins Getümmel der Kunstnacht Konstanz / Kreuzlingen, die das Apollo Kino aus allen Nähten platzen lässt.
Analoge DJ-Settings aus der Zukunft
Der erste Eindruck ist durchaus bizarr: Im ehemaligen Kinosaal des Apollo wurde eine schicke Bar installiert, an der sich einige Menschen mit futuristischen Brillen in vorsichtigsten Tapsern entlang hangeln. Sie sind in einer anderen Welt, Virtual Reality, weggebeamt in eine Ausstellung in Ausstellung.
Parallel dazu spielt auf der Bühne eine DJ einigermassen generische Techno-Musik, allerdings mit einem ganz und gar nicht generischen Instrumentarium: Der Künstler Klangmechanik verschiebt und verbindet (begleitet von zig Livekameras) verschiedene analoge Bausteine auf einer neonfarbenen Spielfläche zu digitalen Sample-Soundketten und Effekt-Strukturen. DJ-Setting aus der Zukunft!
Was tut dieser übergrosse Hund da?
Diese ersten Sichtungssamples verschrauben sich zu einer kosmisch komischen Szenerie, die auch aus einem Science Fiction B-Movie aus den 80er Jahren stammen könnte. Hier darf, nein, hier soll gespielt werden. Und hier wurde gespielt. Von den Künstler:innen. Und Kurator:innen.
Wie aber sieht das konkret aus: Im Eröffnungsraum grüsst uns direkt die Arbeit „Schlecken” von Theres Liechti, eine übergrosse Projektion eines übergrossen Hundes, der uns aus übergrossen Augen anstarrt. Ihm gegenüber, kaum wahrnehmbar, auf einem Handybildschirm als Dauerloop, die Arbeit „In der Felsritze nisten wir uns ein”, ein animierter, 18 Sekunden langer 3D Scan.
Und klar, in diesem in kunterbunte Clouds gehüllten Raum würden sich auch die TikToks von Romy Mars wohlfühlen. Das Internet hat unsere Wahrnehmung von Bewegtbildern verändert. Die Aufmerksamkeitsspannen werden kürzer und kürzer, als User:innen tauchen wir im Dauerloop des Algorithmus, der fast allen von uns Tiervideos auftischt, weil fast alle von uns Tiervideos mögen. Ein schlüssiger Startpunkt.
Jenseits der Whitecubes, mit viel Patina der Geschichte
Die Räumlichkeiten des Apollo, das neben dem eindrucksvollen Hauptsaal, dem gemütlichen Foyer, dem dezent versteckten Kellerräumen eine ganze Armada an Zwischennutzungszimmern bereit hält, offenbart sich ruckzuck als ideale Spielwiese zwischen Umcodierung und Hochglanz-Potential.
Wir bewegen uns hier fernab der sterilen Whitecubes, die Patina der Geschichte und der daran vorbei gelebten Leben ist zu spüren und tritt an zig Stellen und wie von selbst in einen Dialog mit der Arbeiten der ausgestellten Künstler:innen.
Ist das Kino wirklich tot?
Hier sollte betont werden, dass das überspannende Thema für diese erste Gruppenausstellung ziemlich clever erscheint, markiert die Örtlichkeit Kino einerseits eine Art Diskurs-Heimspiel und andererseits eine medial rauschende Reibungsfläche.
Denn Kulturpessimisten bezeichnen das Kino seit einigen Jahren als sterbenden Raum - und haben gewichtige Argumente. Die Zahlen gehen zumindest in der Breite erschreckend zurück, mit spektakulären Heimkinoanlagen und Streamingangeboten, die auch neue Filme teils zum Release-Termin im Portfolio haben, ist die Konkurrenz immens.
Die Magie des gemeinsamen Filmerlebnis
Alleine durch das wuselige Kunstnachtpublikum kommentiert „reconnection cinema” auch diese Gedanken: Das Medium Film treibt die merkwürdigsten Stilblüten und sucht sich die ungewöhnlichsten Repräsentationsflächen, aber (auch) ja, das sozial analoge Moment des Kinobesuchs (hier umgeschrieben zum Ausstellungsbesuch) als gemeinschaftliche Erfahrung hat nach wie vor etwas magisches.
Ein entscheidender Raum der Ausstellung wurde von Bianca Kennedy gestaltet. Ihre Arbeit “We’re all in this together” besticht vor allem durch ihre cineastische Durchschlagskraft. Die Arbeit funktioniert als Collage von Badewannen-Szenen, die auf drei Fernsehern parallel abgespielt werden, demgegenüber hängt die Serie „Portraits of taking a bath in movies”, bestehend aus 23 Zeichnungen, die eine gewisse Storyboard-Ästhetik offenbaren und damit dem Urfleisch jeder Filmproduktion huldigen.
Film ist nicht nur eine Geschichtenmaschine
Wir Rezipient:innen haben zudem die Möglichkeit, durch einen Spiegel auf die Installationen zu schauen, das macht uns zu geheimen Beobachter:innen und damit eben auch zu Akteur:innen. Diese Kombination der feinen Blickwinkel wirbelt so punktgenau eine Vielzahl an Diskursstrudeln und erinnert an ein merkwürdiges Paradox: Vielvielviel zu oft verstehen wir Film als rein narratives Medium, als blosse Geschichtenmaschinen. Speziell in der bildenden Kunst, die immer stärker von filmischen Ansätzen geprägt wird, nutzen wir das Medium Film ebenfalls hauptsächlich dann, wenn wir erzählen wollen.
Dabei vernachlässigen wir die schiere Kraft der visuellen Ebene und die Tatsache, dass gute Filme eben vor allem dann erzählen, wenn nicht gesprochen wird. Und: Film muss nicht immer Sinn machen. Er soll ausfasern. Zucken und Zappeln. Überwältigen. Bewegen.
Weibliche Ikonen und vor sich hin plätschernde Videoessays
Und genau von dieser Varianz an Spielformen erzählt das Obergeschoss des Apollo, in welchem Kuratorin Tonja Lucia Steppacher ganz unterschiedliche Positionen gegeneinander stellt: Wir sehen die Videoarbeit „Und dann assen sie vom Feigenbaum” des Kollektiv333, eine spirituelle, ja ritualistische Inszenierung weiblicher Ikonen.
Wir versinken im vor sich hin plätschernden Videoessay „Looking for Alaska” von Boyband Chic und folgen Lisa Wintermantels filmischen Field Recordings und dem Fotografen Klaus Petrus auf seiner prägnanten Spurensuche auf den Routen geflüchteter Menschen über den Balkan bis in die EU Staaten.
Es ist alles nur in deinem Kopf!
Zwei Arbeiten allerdings stechen dann doch (zumindest im verhandelten Rahmen) heraus. Die Arbeit „Indigo Trip” des Künstler:innen Duos bittelangsam setzt nicht auf Bilder, sondern auf Sound: Ein Körperschallwandler springt auf einer Plexiglasscheibe auf uns ab und zittert einen kratzigen Soundtrack in den Raum. Und weil wir zu diesem Zeitpunkt schon von Kino umwoben sind, schliessen wir wie von selbst die Augen und lassen uns vom Nicht-Rhythmus Bilder in den Kopf zeichnen. Die Botschaft (vielleicht?): Auch Imagination ist Kino. Und Kopfkino ist Film.
Zwei Arbeiten überstrahlen alle anderen
Celia Längle indes gelingt es mit ihrer Arbeit „The void botanic miner” mit geringsten Mitteln ein gesamtes Universum aufzumachen. Eine dokumentarische Fiktion, eine Art Mockumentary ohne „mock”, sondern als alternative Realität in Form eines Gedankenexperiments.
Längle erzählt von gebietsfremden Pflanzen, Aliens, wenn man so will, von zukünftigen Formen der Botanik und damit auch des Lebens. Ein wirklich herausragender Ansatz, der Komplexität durch Einfachheit schürt, so wie das Computerspiel und Massenphänomen Minecraft, auf welches die Künstlerin mit dem Titel ihrer Arbeit referiert.
Hier im letzten Raum des Rundgangs packt mich schliesslich die finale Erkenntnis: Kino und Kunst geben uns die Werkzeugkasten zur Hand, um neue Welten zu erschaffen. Wir sollten sie nutzen!
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