von Kathrin Zellweger (1948-2019), 05.02.2014
Denkmalpflege stellt sich jeder Zeit

Wenn Beatrice Sendner im April ihr Pult an der Ringstrasse räumt, wird sie ein Vierteljahrhundert bei der Denkmalpflege Thurgau gearbeitet haben, 15 davon als Leiterin dieses Amtes.
Kathrin Zellweger
Spätestens als sie 1988 bei der Denkmalpflege Thurgau als sogenannte praktische Denkmalpflegerin der Bezirke Bischofszell und Arbon ihre Stelle antrat, merkte Beatrice Sendner, dass ihr neuer Berufsalltag mit ihrem kunst- und architekturgeschichtlichen Studium nur noch am Rande zu tun hatte. Was auf sie zukam, war handfest und bodenständig. „Anstatt mich vorwiegend vom Bürotisch aus mit Gebäuden zu beschäftigen, waren mein Arbeitsplatz die Baustelle und meine Gegenüber Handwerker, Architekten und Bauherren. Noch ahnte ich nicht, wie unglaublich interessant und erfüllend diese Arbeit sein und wie stark sie mich fordern würde.“
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Auf den Regalen in ihrem Büro stehen graue Ordner und zeugen von den Projekten, die sie in den letzten Jahren begleitet und betreut hat. Turmhof, Fischingen, Locorama, Solaranlagen, Stadtkirche Frauenfeld … sind sie angeschrieben. Nein, ein Lieblingsobjekt habe sie nicht. Wäre sie noch etwas jünger, hätte es vielleicht die Komturei in Tobel zu diesem Ehrentitel geschafft. Allein der Gedanke fasziniert sie, wie dem Gebäudekomplex Leben eingehaucht werden könnte. „Dieser Ort war ja nicht nur der barocke Sitz eines Komturs. Nicht weniger interessant sind die baulichen Eingriffe, als in diesen Mauern die Arbeitserziehungsanstalt und das Gefängnis eingerichtet wurden.“
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Auch ohne Komturei kann Amtsleiterin Beatrice Sendner zufrieden sein mit ihrem Palmarès. Sie könnte eine lange Liste herunterbeten von Bausünden, die unter ihrer Leitung verhindert wurden; könnte erzählen, wie aus unscheinbaren Gebäuden Hingucker wurden, wie dank ihrer Hartnäckigkeit und Kompetenz befriedigende und finanziell tragbare Lösungen gefunden werden konnten. „Das Erhalten und Pflegen von Gebäuden macht präventiv und für sich allein genommen keinen Sinn, die Nutzung muss mit bedacht werden. Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit müssen ebenso gegeben sein. Und da bieten wir wirklich Hand.“
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Und dennoch steht die Denkmalpflege, nicht nur im Thurgau, hartnäckig im Ruf, ein Amt der Erbsenzähler und Bauverhinderer zu sein. „Ich weiss nicht, warum dem so ist, obwohl unser Alltag das Gegenteil belegt. Selbst jene, die von uns Geld erhalten haben, stehen nicht für uns auf.“ In den Büros an der Ringstrasse läutet fast pausenlos das Telefon, weil irgendjemand eine Auskunft möchte oder um einen Termin für eine Besichtigung mit Beratung bittet. Alle profitieren sie vom grossen Fachwissen im Haus. Gratis.
Die 62-Jährige kann nur mutmassen: „Vielleicht geistert die Vorstellung herum, dass die Denkmalpflege sich gegen alles Neue stellt. Falsch. Gebäude müssen sich jeder Zeit neu stellen, um lebendig zu bleiben. Denkmalpflege ist Restaurierung basierend auf Forschung und Entwicklung. Keine Restaurierung kann je behaupten, den einzig gültigen Zustand hergestellt zu haben. Jede Renovation ist Ausdruck eines Zeitgeistes und einer denkmalpflegerischen Lehre.“ Tatsächlich ist es noch nicht lange her, da markierte das 18. Jahrhundert die zeitliche Obergrenze: Bauten aus dem 19. Jahrhundert wurden sozusagen als denkmalpflegerische Nonvaleurs angesehen.
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Kann eine Fachfrau wie Beatrice Sendner von einem heute erstellten Gebäude sagen, ob es dereinst als schützenswerter Bau in ein Inventar aufgenommen wird? „Das masse ich mir nicht an. Es gibt Bauten, wie der Tower in Zürich-West, der als Solitär erhalten bleiben wird. Aber ob dieses oder jenes Gebäude dereinst ein Baudenkmal sein wird, steht auch darum in den Sternen, weil wir nicht wissen, wie heutige Baumaterialien sich verhalten.“
Ein Leben lang hat sich Beatrice Sendner mit der Vergangenheit befasst. Ist sie eine Retro-Frau? Sie stutzt. „Mein Ziel ist es, ‘von heute’ zu sein. Aber ich gebe zu, Vergangenheit und Geschichte haben mir Erklärungen geboten, damit ich das Leben und die Welt verstehen kann. Jedenfalls ist mir bis heute nichts begegnet, das dafür besser geeignet wäre.“ Wenn sie jemand zu einer Zeitreise einlüde, dann ginge sie nach Athen, um den Philosophen in der platonischen Akademie zuzuhören. Keine herbeifantasierte Zeitreise, sondern Realität ist, dass Beatrice Sendner Mitte Juni ihre Zelte in der Schweiz abbricht und nach Bamberg (D) zieht, in das Haus aus dem 16. Jahrhundert, das sie zusammen mit ihrem verstorbenen Mann vor Jahren gekauft und nach allen Regeln ‘ihrer’ Kunst restauriert hat.
Beatrice Sendner, 1952, ist seit 1988 im Thurgau tätig. Zuerst betreute sie als praktische Denkmalpflegerin die Bezirke Bischofszell und Arbon. 1999 übernahm sie die Leitung des kantonalen Amtes für Denkmalpflege in Frauenfeld. – Nebst dieser Funktion hat sie namhafte Bücher zu verschiedenen Themen der thurgauischen Denkmalpflege herausgegeben. – Über ihre Pensionierung hinaus wird sie als Baukommissionspräsidentin die Restaurierung der kath. Stadtkirche Frauenfeld betreuen. – Beatrice Sendner lebt in Frauenfeld. (kze)
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Ruedi ElserNachfolger von Beatrice Sendner ist ab 1. Mai der 57jährige Wiler Architekt Ruedi Elser. Er ist Bürger von Gossau (SG) und in Bronschhofen aufgewachsen. Unmittelbar nach seinem Architekturstudium an der ETH Zürich hat er 1982 sein eigenes Architekturbüro in Wil eröffnet, das er noch heute erfolgreich führt. Nach verschiedenen Weiterbildungen im Fachbereich Denkmalpflege ist er 2008 mit einem Teilpensum in das Amt für Denkmalpflege eingetreten und betreut seither als Denkmalpfleger zahlreiche Gemeinden im Raum Frauenfeld und im Hinterthurgau. |

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