von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 02.05.2019
Als Züge übers Wasser fuhren

150 Jahre Seelinie: Rund um den Bodensee wird im Mai grosse Verkehrsgeschichte gefeiert. Das Romanshorner Museum am Hafen erinnert mit einer kleinen Sonderausstellung daran.
Man kann sich das heute nicht mehr so richtig vorstellen, aber es gab mal eine Zeit, da fuhren Eisenbahnen übers Wasser. Gut, die Waggons standen dabei auf einer Fähre, aber doch war dies in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der wichtigsten Arten Güter rund um und über den Bodensee zu verteilen. Um diesen so genannten Trajektverkehr entstand ein regelrechter Boom. Vor allem das verschlafene Romanshorn profitierte davon. Die Fertigstellung der Zugstrecke von Romanshorn nach Rorschach machte das ab 1869 möglich: Das kleine Dorf am Bodensee wurde in dieser Zeit zu einem der wichtigsten Verkehrs- und Handelsplätze der Schweiz.
Daran erinnert jetzt auch eine kleine Ausstellung im Romanshorner Museum am Hafen. Unter dem Titel „Jubiläum 150 Jahre Seelinie“ blickt der Museumsverein auf die ruhmreiche Geschichte der Stadt zurück. Die Ausstellung steht in einem grösseren Kontext: Rund um den Bodensee, in der Schweiz, Österreich und in Deutschland erinnern sieben Städte an diese Verkehrsgeschichte.
Die Entwicklung hatte ja tatsächlich eine grosse Bedeutung: Durch die Eröffnung der Seelinie konnten zum ersten Mal Eisenbahnwagen auf Schiffen von Lindau aus über den Bodensee transportiert werden. „Dadurch wurden wichtige Verbindungen im Bodenseeraum über die Landesgrenzen hinaus geschaffen und der Verkehr entscheidend beschleunigt“, wie es in einer Broschüre zur Veranstaltung heisst. Auch zwischen Romanshorn und Friedrichshafen (1869–1976) wurde eine Verbindung aufgenommen. Später kamen die Verbindungen Lindau–Konstanz (1873–1899), Bregenz–Konstanz (1884–1917), Bregenz–Friedrichshafen (1884–1913) und Bregenz–Romanshorn (1884–1915) hinzu.

7 Städte feiern, Romanshorn ist dabei zentral
Die Seeverbindung war doppelt so schnell wie der Schienenweg über Bregenz mit zweifacher Grenzabfertigung. Damit trug der Schiffsverkehr dazu bei, die Anrainerländer des Bodensees noch enger aneinander zu führen und Grenzen zu überwinden.
In sieben Städten rund um den Bodensee gibt es aus diesem Anlass am 4. und 5. Mai umfangreiches Programm zur Zweisamkeit von Eisenbahn und Schifffahrt. Und doch ist diese kleine, unspektakuläre Schau in Romanshorn etwas Besonderes. Gerade weil die Entwicklung der Technik und des Verkehrs für kaum eine andere Stadt so prägend und aufwühlend war wie sie es für Romanshorn war.
Hermann Roth und Max Brunner vom Museumsverein haben die Inhalte im vereinseigenen Archiv, aber auch in externen Quellen recherchiert und versuchen in der Ausstellung in kurzen Texten und historischen Bildern auf Schautafeln Geschichte zu erzählen. Sie verstehen ihren Job da eher klassisch: Der Besucher kann viel lesen und gucken, das Maximum an Interaktivität ist, dass man auf einem Bildschirm aus dem Führerstand abgefilmte Zugstrecken der Seelinie anschauen kann. Wer nicht von sich aus ein Mindestmass an Interesse an Zügen und Schiffen mitbringt, wird da nicht unbedingt abgeholt. Aber mit den Mitteln eines kleinen Museumsvereins lässt sich halt kein grosses Spektakel auf die Beine stellen. Vielleicht ist die klamme finanzielle Lage des Vereins auch ein Grund dafür, dass der letzte Teil der Schau eher einem Messeauftritt des jetzigen Seelinien-Betreibers Thurbo gleicht, denn einer musealen Ausstellung. Selbst ein aktuelles Organigramm des Unternehmens war den Machern eine Abbildung wert.
Wie die Politik um die Seelinie kämpfte
Hilfreich sind der Ausstellung weder der Thurbo-Werbeblock noch die konventionelle Erzählweise. Das ist schade, weil die Geschichte, die in der Ausstellung erzählt wird, ja durchaus spannend ist: Wie eine Stadt wachsen oder schrumpfen kann durch Boom oder Niedergang einer Industrie. Wie hart die Politik damals um die Verlegung der Bahntrassen gerungen hat. Und wie sich die Technik immer wieder gewandelt hat. Vor allem Amriswil und Romanshorn haben damals intensiv miteinander gerungen. In beiden Städten kämpften eigens gegründete Komitees für ihre Interessen.
Der National-, Ständerat und auch sonst viel beamtete Eduard Häberlin forderte eine Bahnlinie über Amriswil. Auf Seiten Romanshorns stand der mit kaum weniger Ämtern ausgestattete Philipp Gottlieb Labhardt und forcierte die Bahnlinie über seine Hafenstadt. „Sie fochten sehr unzimperlich mit Beleidigungen, Ehrverletzungen und gerichtlichen Klagen“, erklärt Ausstellungsmacher Hermann Roth. Am Ende war es damals, wie es auch heute ist: Jeder Gemeinde ist das Hemd näher als der Rock, man kocht am liebsten doch das eigene Süppchen. Romanshorn setzte sich schliesslich durch, Amriswil hatte das Nachsehen.
Sonderbriefmarke, Hafenrundfahrten, Zugtaufe und vieles mehr
Die Ausstellung im Museum am Hafen (Eröffnung: 2. Mai) ist freilich nicht der einzige Ort, an dem Romanshorn an seine Geschichte erinnert. Los geht es am Samstag, 4. Mai, 10 Uhr, mit der Taufe eines neuen Fernverkehrs-Doppelstockzuges der SBB auf den Namen «Romanshorn». Beim Hafenfest gibt es Bahnhofs- und Hafenrundfahrten. Auf den 90-minütigen Hafenrundfahrten wird beispielsweise die Geschichte von Romanshorn erklärt. Die total sanierte «MS Oesterreich» und das Dampfschiff «Hohentwiel» können am Samstag, 4. Mai von 10 Uhr bis 14 Uhr und die «MS Oesterreich» am Sonntag, 5. Mai ab 14 Uhr besichtigt werden. Auch das Locorama - Eisenbahn Erlebniswelt ist an den Festtagen geöffnet (jeweils 10 Uhr bis 17 Uhr). Das komplette Programm in Romanshorn rund um das grosse Hafenfest finden Sie hier.
Und auch Philatelisten kommen auf ihre Kosten: Zum Jubiläum erscheint eine Sonderbriefmarke zu 1 und 1,50 Franken, die im historischen Gepäckwagen auf dem Festareal gekauft werden können.
Termine: Die Ausstellung "Jubiläum 150 Jahre Seelinie" wird am Donnerstag 2. Mai, eröffnet. Sie ist danach bis zum 1. September 2019 im Museum am Hafen in Romanshorn zu sehen. Öffnungszeiten: Samstag, 4. Mai von 10 bis 17 Uhr; Sonntag, 5. Mai, von 10 bis 17 Uhr. Sonst jeden Sonntag zwischen 14 und 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Programm in Kreuzlingen
Pünktlich um 9.30 Uhr wird die Kreuzlinger Vize-Stadtpräsidentin Dorena Raggenbass den zweitägigen Festanlass in Kreuzlingen am Samstag, 4. Mai im Seemuseum offiziell eröffnen. Der Ort dafür ist nicht zufällig gewählt: passend zum internationalen Jubiläum der Seelinie und des Trajektverkehrs eröffnet das Seemuseum an diesem Tag die Ausstellung „Transportweg Bodensee. Lädinen – Dampfschiffe –Trajekt – Autofähre“, sodass Vize-Stadtpräsidentin Raggenbass nach ihrer Eröffnungsrede das Wort gleich an Museumsleiterin Ursula Steinhauser weitergeben kann. Aufgrund der Bauarbeiten sind die Exponate im Werkstattgebäude gegenüber des Seemuseums zu sehen.
Historisches und modernes Rollmaterial präsentiert der Modelleisenbahnclub Kreuzlingen an beiden Tagen jeweils von 10 Uhr bis 17 Uhr im Clubhaus an der Seestrasse direkt beim Grossschifffahrtshafen. Unter anderem rollt auch der Rote Pfeil als Mini-Version über die Gleise. Der legendäre Triebwagen der Schweizerischen Bundesbahnen wurde anlässlich der Landesausstellung 1939 gebaut. Nachdem Winston Churchill im Jahr 1946 als Staatgast mit dem Roten Pfeil durch die Schweiz gefahren wurde, ist der RAe4/8 1021 auch als „Churchill-Pfeil“ bekannt. Mehr zum Programm in Kreuzlingen gibt es hier.
Die weiteren Städte: Beteiligt sind noch Rorschach, Konstanz, Lindau, Friedrichshafen und Bregenz. Sämtliche Informationen, wie beispielsweise zur Eventfähre der Schweizerischen Bodensee Schifffahrt (SBS) die zwischen Romanshorn, Friedrichshafen, Lindau und Bregenz verkehrt, zu den Thurbo-Sonderfahrten zwischen Romanshorn, Bregenz und Lindau, oder zu den Sonderzügen ab Kreuzlingen nach Rorschach mit dem neuen SBB Fernverkehrs-Doppelstockzug sowie den Festorten und Ticketpreisen sind zu finden unter: https://www.bodensee-150jahre.com
Weiterlesen: Eine umfangreiche Broschüre zum Jubiläum gibt es hier.

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