von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 29.01.2018
Gar nicht lustig

Fasnachter, die sich über ertrinkende Flüchtlinge lustig machen und eine Hochschule, die ein harmloses Gedicht skandalisiert: Zwei aktuelle Fälle zeigen, was falsch läuft in unserer Gesellschaft.
Gelegentlich behaupten Leute ja, dass Humor oder Satire alles dürfe. Ich bin durchaus nicht dieser Meinung. Weil Witz keine Entschuldigung dafür sein darf, die Würde von Menschen zu verletzen. Warum wir an dieser Stelle darüber reden müssen? Nun, die Fasnachtsgruppe „Toggenburger Hülsnerbuben“ fand es besonders komisch, in Aadorf einen Umzugswagen zu gestalten, der sich über das Leid von Menschen lustig machte. Von Menschen, die sich in der Hoffnung auf ein besseres Leben auf eine lebensgefährliche Schiffsfahrt einlassen. Mit „Asylparadies Schweiz“ war der Wagen beschrieben, an ihm war eine Blache befestigt, die die schwarzen Hände von ertrinkenden Flüchtlingen zeigte. Wie verroht muss man sein, um so etwas lustig zu finden? Und wie dreist muss man sein, wenn man glaubt, das auch noch als Satire verkaufen zu können?
Blöd für den Cliquenchef, dass er sich vorher auf Facebook als Fan von Adolf Hitler geoutet hatte und auch noch Sympathiespuren für die Partei nationalorientierter Schweizer (Pnos) klickenderweise im Netz hinterlassen hatte, wie das Tagblatt berichtete. Pnos, das sind übrigens die, die in den vergangenen Monaten grosse Rechtsrock-Konzerte im Toggenburg und St. Gallen organisiert hatten. Da noch zu behaupten, man sei gar nicht rechtsradikal, ist, nun ja, gewagt.
Die Reaktionen auf den Fall sind bisweilen bizarr
Interessant an dem Fall ist auch, was die mediale Berichterstattung dazu ausgelöst hat. Die Organisatorin des Gähwiler Umzugs, hier wollten die rechten Hülsnerbuben auch teilnehmen mit ihrem Wagen, wird im Tagblatt mit den Worten zitiert, dass es schade sei, wenn sie nun nicht kämen, „sie hatten ja auch einen Aufwand und Kosten für den Wagen“. Und am Ende ist natürlich immer der Überbringer der schlechten Nachricht der Böse: „Es ist schade, dass die Medien das Ganze nun so aufbauschen. Wir wollen uns nur auf einen schönen Fasnachtsumzug freuen können.“ Ernsthaft? Da kommt ein Hitler-Fan mit seiner Truppe und einem menschenverachtenden Motiv auf seinem Wagen und alles was der Organisatorin einfällt, ist die Medien für die Berichterstattung zu schelten? Das ist wirklich ganz und gar entsetzlich. Wenn Vergehen gegen die menschliche Würde geduldet werden, um den eigenen Spass nicht zu gefährden, müssen wir uns dringlich Sorgen um das gesellschaftliche Klima machen.
Ein harmloses Gedicht im Strudel der MeToo-Debatte
Das gilt übrigens auch für einen ganz anders gelagerten Fall. Die Alice-Salomon-Hochschule in Berlin hat entschieden, dass ein Gedicht von Eugen Gomringer, das bislang auf der Fassade der Bildungsanstalt prangt, jetzt dringend zu übermalen sei. Bevor wir weiter reden, fügen wir mal schnell den Inhalt der gerügten Lyrik ein.
avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador". Die deutsche Übersetzung lautet: "Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer".
Angehörige der Hochschule hatten vergangenes Jahr moniert, Gomringers Gedicht könne Frauen gegenüber als diskriminierend aufgefasst werden. Im Kern geht es dabei wohl um den letzten Satz: „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer». Damit würden Frauen, so die Kritiker, zum Objekt männlicher Bewunderung degradiert. Puh, da muss man auch erst mal darauf kommen. Aber es ist wie es ist. Der Akademische Senat der Hochschule hat mehrheitlich entschieden, dass das Gedicht nicht mehr tragbar sei. Ich habe das Gedicht jetzt mehrmals gelesen. Verstanden habe ich die Entscheidung der Hochschule trotzdem nicht. Seitdem habe ich vor allem eine Frage in meinem Kopf: Wenn das nicht mehr möglich sein soll, wie sollen Frau und Mann dann überhaupt noch zusammen leben? Über Antworten freut sich ein verzweifelter Kolumnist…

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