von Brigitta Hochuli, 02.02.2011
KULTURGESPRÄCH mit Rahel Müller

Im Neu- und Sanierungsbau des Berufsbildungszentrums für Technik (BZT) in Frauenfeld hat die Pfyner Künstlerin Rahel Müller ihre neun Dream Windows gehängt. Ein schweres Stück Arbeit mit einem federleichten Effekt.
Brigitta Hochuli
Sie ist aufgeregt und glücklich an diesem Nachmittag. Kräftige Männer tragen keuchend 220 Kilogramm schwere, grossformatige Glasbilder durch die Gänge des neuen Schulgebäudes. Rahel Müller strahlt. Ihre Dream Windows wirken so traumhaft wie vorgestellt. Die Bilder seien neu in ihrer Art, erklärt sie vor dem Motiv eines Auenwaldes: gerasterte Fotografien, auf inseitige Folie geprintet, in VSG Glas vakuumiert und auf Metallplatten geklebt. „Das Glas passt zur Architektur und betont deren Edles“, erklärt die 46jährige Künstlerin.
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Etwas Edles? Aus Glas? Träume, Traumfenster? In einer Schule für die Ausbildung Jungendlicher zu dreizehn verschiedenen technischen und bautechnischen Berufen? „Das passt“, sagt Rahel Müller, die schon zehn sehr unterschiedliche „KunstundBau“-Projekte realisiert hat. Die meisten Schüler seien in einem Alter, in dem es sehr wichtig sei, Träume und Visionen zu entwickeln. „Die schlichten Landschaftsmotive bringen eine sanfte Ruhe ins Gebäude. Und die Ausführung der Bilder ist auch ein Beispiel für das Zusammenwirken von Handwerk und Technik.“
Es hätte auch ein provokanter, knallig farbiger Wandschmuck für das grau in lindengrün gehaltene Betonwerk der Basler Architektin Anna Jessen gewählt werden können. Jetzt verweilt man vor ästhetisch unspektakulären, graublau spiegelnden Träumen „vom Nichtstun, Reisen und Aufgehobensein, von Kraft, Wildheit, Abenteuer, Schönheit, Geborgenheit und Leichtigkeit“. Gewählt hat eine Jury unter Präsident Humbert Entress aus 14 Projekteingaben.
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Die Dream Windows sind schön, ihre Wirkung federleicht, eine eher sinnliche und unaufdringliche Kunst, wie es scheint. Schön sei, erklärt die Künstlerin, wenn Intellektuelles sich mit Sinnlichem verbinde und unmittelbar wirke. Nur im stillen Kämmerlein Kunst zu entwickeln sei nicht ihr Ding, sie liebe die Verbindung von Planung, handwerklicher Ausführung und die Zusammenarbeit im Team.
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Dass Rahel Müller kontaktfreudig ist, merkt man im Umgang mit den vier Arbeitern der Kümin Metallbau AG aus dem st. gallischen Oberbüren. Sie scheint eine von ihnen, rennt dahin und dorthin, holt die fehlenden Hilfsmittel, trägt mit, als einer der Glasträume die Treppe hoch muss. Es ist ihr wichtig, dass sie hier als Frau und Künstlerin mit den Handwerkern freundschaftlich mithalten kann. Denn als Frau sei sie keine begriffliche Thematik. „Als Frau in der Kunst bin ich ein kunstschaffender Mensch, der sein Selbstbewusstsein über die Arbeit bezieht.“
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Auf die Frage nach ihrem persönlichen Traum antwortet sie: „Ich will Wolken werden und auf die Erde regnen, dann würde ich ein See...“. Nein, das sei nicht ernst gemeint. „Aber ich habe das Bedürfnis, Schönheit und Leichtigkeit in die Welt zu bringen.“ Das tut sie jetzt. Wenigstens für eine kurze Zeit. Was für sie übrig bleibt aus dem Globalbudget von 75‘000 Franken nutzt Rahel Müller für Atelierarbeit mit etwas mehr innerer Ruhe. Auch das sei ein Traum: eine Zeitlang ohne Geldsorgen arbeiten zu können.
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Person
Rahel Müller (1964) hat von 1985 bis 1990 an der Universität Zürich Kunstgeschichte, Philosophie und Psychologie studiert. Seit 1990 ist sie in den Bereichen Malerei, Fotografie, Installation, Performance, Text sowie Kunst und Bau freiberuflich als Kunstschaffende tätig. Sie hat 40 Ausstellungen und Performances realisiert. 1995 erhielt sie den Adolf Dietrich Förderpreis. Von 2002 bis 2007 war sie Stiftungsrätin der Kulturstiftung Thurgau. Rahel Müller wohnt in Zürich und arbeitet im Atelier in Pfyn.

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