von Sascha Erni, 23.07.2018
Zwischen Druck, Verlag und Autorenschaft
Seit 1985 betreibt Beat Brechbühl das Atelier Bodoni und den Waldgut Verlag in Frauenfeld. Ein Besuch bei einem Autor und Verleger, für den das Gemeinsame zentral ist.
Als wir Beat Brechbühl in den Räumlichkeiten des Waldgut Verlags treffen, läuft gerade eine Druckmaschine. An der Handpresse entsteht die erste Auflage für einen Buchumschlag im Fünffarbendruck. Immer wieder verschiebt Karl Baumann das Blatt, trägt die nächste Farbe auf. Der Bleisetzer kommt schon seit seit 2006 zwei Mal die Woche aus Basel vorbei, erklärt uns Brechbühl. «Ich hatte meinen Espresso noch nicht», sagt er dann und führt uns aus dem Verlags-Untergeschoss ins Restaurant des Eisenwerks. Wann immer jemand den Saal betritt, grüsst Brechbühl freundlich, oft freundschaftlich. Er ist ein bekanntes Gesicht hier. Manche nennen ihn den guten Geist des Eisenwerks.
Von einer gruusigen Druckerei in die nächste
Mit bald 80 Jahren hat Beat Brechbühl viel erlebt. Bern, Genf, Berlin und Zürich, aber auch Romanshorn und Egnach stellen die geografischen Eckpfeiler seiner Jugend dar. Der gelernte Schriftsetzer reiste praktisch von Druckerei zu Druckerei. «Die meisten waren richtige Löcher, gruusig», lacht er. Bereits damals schrieb er Gedichte; es sollte noch bis in die 60er Jahre dauern, bis er sich selbst als Autor verstand. Das war nach seiner Rückkehr aus Berlin, er arbeitete wieder in einer Zürcher Druckerei.
In Zürich kam er mit einer Buchhändlerin in Kontakt, sie schlug eine Lesung vor, Brechbühl lehnte dankend ab. «Sie erwähnte dann das Honorar von 70 Franken. Also sagte ich sofort zu, denn mein Auto war kaputt», erinnert er sich. Die Lesung wurde zu einem Wendepunkt: Nach der Lesung lernte er Daniel Keel kennen, Gründer und Verleger von Diogenes. Keel stellte ihn 1966 als Leiter der Herstellung ein, 1970 erschien Brechbühls Roman «Kneuss». Später, 1978, wechselte er nach Bern und leitete den Zytglogge Verlag. Und indirekt entstand so Waldgut.
Das Eisenwerk als Heimat
«1979 schlug ich Manuskripte von Armin Bollinger für eine Veröffentlichung vor», erzählt Brechbühl. Die Sprachkenntnisse dieses Historikers und Schriftstellers, sein Zugang zum Lateinamerikanischen hätten ihn fasziniert. Beat Brechbühl wollte diese Bücher einem breiten Publikum näher bringen – Zytglogge sei es aber zu wenig schweizerisch gewesen, zu weit weg. «Also sagte ich: Wenn ihr die Texte nicht wollt, gibt es demnächst einen neuen Schweizer Verlag.» 1980 gründete Brechbühl Waldgut, 1985 kündigte er bei Zytglogge.
«In der Wohnung schlafe ich eigentlich nur.»
Beat Brechbühl
Nach wenigen Jahren zeigte sich aber, dass die Räumlichkeiten mehr Ärger als Freude boten. Beat Brechbühl druckte in Wald (ZH), im Kuhstall eines alten Bauernguts (daher der Verlagsname «Waldgut»), renovierte auf eigene Kosten. «Der Vermieter sah das, freute sich und erhöhte die Miete um das Zehnfache.» Verleger-Kollegen schlugen dann Frauenfeld vor, über Freunde gelangte er zu Räumen im Eisenwerk. «Wir waren bei den Ersten mit dabei», erinnert sich Brechbühl. Er trat dem Verein Eisenwerk bei, war im Vorstand, alles sei ziemlich schnell passiert. Heute lebt er sechs Gehminuten vom Eisenwerk entfernt. Wobei: «In der Wohnung schlafe ich eigentlich nur.»
Handwerk statt Kunst
Bei Waldgut erscheinen sehr unterschiedliche Werke. Gedächtnis der Völker heisst zum Beispiel eine Reihe mit populärer Ethnologie, mit Sagen, Märchen und Essays aus aller Welt. Unter Bärenhüter findet sich Hoch- und Weltliteratur von Maurice Chappaz bis Heinrich Heine oder Kenneth White, und natürlich dürfen auch Gedichtbände nicht fehlen. «Ich mache keinen Verlag ohne Lyrik!», sagt Brechbühl, da hätte sich wohl bei der Gründung der Autor in ihm durchgesetzt.
Im «Atelier Bodoni» lebt Beat Brechbühls Schriftsetzer-Seite, unter den Bodoni-Blättern, den Karten, den handgedruckten Buchumschlägen. Die Bodoni-Blätter gibt es bereits seit 28 Jahren. «Das ist nicht Kunst, das ist Handwerk», betont er. Typografie ist seit frühester Jugend seine Leidenschaft. Parma, die Wirkstätte des namensgebenden italienischen Buchdruckers und Schriftgestalters Giambattista Bodoni , sei gar sein Wallfahrtsort.
Lieber tot umfallen als jahrelang sterben
Vor unserem Gespräch hat Beat Brechbühl die No-Go-Frage erwähnt: «Wie lange kann man einen Verlag in dem Alter noch führen?» Im Gespräch zeigt sich, dass die Frage Brechbühl nicht unangenehm ist. Aus seiner Warte ist sie einfach nur eine dumme Frage, auf die es keine Antwort gibt. «Ruhestand ist auch so ein No-Go-Wort. Ich bin im Unruhestand. Wenn ich Glück habe, werde ich bei der Arbeit tot umfallen. Ich möchte nicht jahrelang sterben.»
«Ich bin im Unruhestand.»
Beat Brechbühl
Dennoch: Brechbühl baut seine Nachfolge auf. Er will, dass Jüngere weitermachen können, wenn er nicht mehr ist. Schon vor einigen Jahren gab es einen solchen Versuch, eine Gruppe hätte in den Verlag einsteigen sollen. «Man hat sich dann aber auseinandergelebt.» Verantwortlich für den Bruch sei wohl die räumliche Trennung im Atelier gewesen – die potentiellen Nachfolger im Hauptraum, Brechbühl in seiner «Höhle», versteckt hinter Bücherregalen. Heute ist Brechbühls Arbeitsplatz mitten unter den Verlagsmitarbeitenden.
Ob er etwas bedauere, möchten wir zum Abschluss unseres Gesprächs wissen. Beat Brechbühl trinkt seinen Espresso aus. «Fast immer nur als Verleger gesehen zu werden», sagt er. Autor und Hersteller als Kombination sei bei Diogenes ganz gut gegangen. Heute würde er sich wohl ähnlich entscheiden. «Aber es ist eigentlich eine saublöde Kombination», lacht er. Die Menschen würden ihn kaum als Schriftsteller wahrnehmen. Und das färbe ab; er habe gemerkt, dass er seit zwei Jahren fast nichts mehr für sich geschrieben hat. «Aber ich habe mir schon lange angewöhnt, für wichtige Dinge keine Termine festzulegen», lächelt Beat Brechbühl.
REZENSION zu «Farben, Farben!»
Seit seiner Jugend schreibt der Verleger, Herausgeber und gelernte Schriftsetzer Beat Brechbühl (nicht nur) Gedichte. «Viel zu selten jedoch», meinte er in unserem Gespräch. Mitgegeben hat er uns den Bodoni Druck Nummer 92, einen schmalen, wunderschönen Gedichtband, der einige seiner Werke von 2003 bis 2017 sammelt.
Allen Stücken gemein ist das Motiv: Es geht um Farbe im weitesten Sinne des Wortes. Oft sehr konkret, nicht nur in Gedichten wie «Additiv», das Bezug auf Brechbühls ehemaligen Druckerei-Job in Berlin nimmt. Öfters hingegen verwendet er Farben abstrakt, manchmal kombiniert mit dem Konkreten, manchmal als reine Metapher. Wenn Brechbühl etwa in «Leben ohne Farben» den Schwarzweissdruck mit der Farbenblindheit (als medizinische Diagnose) kombiniert, dann ist es nicht eine einfache Gegenüberstellung. Die Farbenblindheit wird zu etwas Anderem, Grundsätzlicherem im Leben des Menschen, ganz losgelöst von einer etwaigen physischen Rot/Grün-Sehschwäche.
Beat Brechbühls Schriftsetzer-Hintergrund schimmert inhaltlich in vielen der Gedichte durch, klar ersichtlich ist er jedoch in der Aufmachung des Werks. Brechbühl hat sich für schweres, holz- und säurefreies Papier entschieden. Es fühlt sich fast wie Aquarell-Pappe an, oder besonders gediegenes Briefpapier.
Nicht nur der Umschlag, das gesamte Büchlein ist im Handsatz entstanden. Als Typo wählte Brechbühl die «Diethelm» aus, eine vergleichsweise seltene Schrift aus den späten 50er Jahren, die das Typorama Bischofszell dem Atelier Bodoni für den Druck zur Verfügung gestellt hat. Gestalterisch eine hervorragende Wahl, handwerklich perfekt umgesetzt.
Vieles in «Farben, Farben!» erscheint autobiografisch. Durch Beat Brechbühls Sprachkönnen jedoch fühlt man sich als Lesender direkt angesprochen, die Gedichte erhalten einen universellen und gleichzeitig sehr persönlichen Sinn. Brechbühl ist ein scharfer Beobachter seiner Umgebung und exakt in der Wahl seiner Worte. Er malt mit diesen Worten keine ausschweifenden Gemälde. Eher macht Beat Brechbühl Polaroid-Aufnahmen, Schnappschüsse, spontan und ohne Inszenierung. Aber dafür mit einem einmalig guten «fotografischen» Auge. Sascha Erni
«Farben, Farben! Schwarz mit Ohren, Weiss und alles; dazwischen das unbändige Leben» Gedichte. Beat Brechbühl. Frauenfeld: Waldgut, 2017. ISBN 978-3-03740-250-4
Link: https://www.waldgut.ch/e8/e653/e5335/
Weiterlesen:
In loser Reihenfolge porträtiert Sascha Erni für thurgaukultur.ch Kleinverlage aus der Ostschweiz. Bislang in dieser Reihe erschienen sind:
Vexer Verlag: Seit 1985 betreibt Josef Felix Müller den Vexer-Verlag – und sieht ihn auch als Kunstprojekt. Thurgaukultur besuchte ihn in St. Gallen. Zum Text.
Libelle Verlag: Zickzackflug und ein langsamer Abschied. Seit 39 Jahren führt das Ehepaar Ekkehard Faude und Elisabeth Tschiemer den Libelle-Verlag zwischen Lengwil und Konstanz. Nun ziehen sie sich aus dem Geschäft zurück. Zum Text
«Ein klares Profil ist entscheidend»: Am 13. Dezember erschien die 18. Publikation bei Triest, dem jungen Ostschweizer Fachverlag für Design, Typographie und Architektur. Thurgaukultur war in St. Gallen zu Besuch. Zum Text
Sprachkunst vom Bodensee: Der Nischenverlag Signathur aus Dozwil fällt durch seine Vielseitigkeit auf. Er konzentriert sich nicht auf ein spezielles Thema, die Nische liegt in der Sprache an und für sich. Zum Text
Die Reihe wird fortgesetzt.
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Kommt vor in diesen Ressorts
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Kommt vor in diesen Interessen
- Porträt
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