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von Bettina Schnerr, 28.06.2022

Worte werden Bilder

Worte werden Bilder
Lea Frei arbeitet gerne im Atelier, wo sie sich mit anderen Illustratoren austauscht und Inspiration finden und ausarbeiten kann. Ihre Arbeit beginnt oft mit Handzeichnungen, die ihr bei der Entwicklung ihres Bildcharakters sehr entgegen kommen. | © Bettina Schnerr

Die Kunst der Graphic Novel: Die Illustratorin Lea Frei will mit ihrer Arbeit berühren. In diesem Jahr erhält sie einen der Förderbeiträge des Kantons Thurgau. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)

Als freie Illustratorin arbeitet die junge Thurgauerin noch nicht sehr lange. Erst vor zwei Jahren hatte sich Lea Frei nach ihrem Studium in Luzern mit dem Bachelor in der Tasche selbständig gemacht. Das ist auf dem Papier eine noch kurze Laufbahn, aber Frei ist eine Illustratorin, die ihre Berufung früh fand und sich seither ausprobiert: „Der Berufswunsch steht praktisch seit dem Kindergarten,“ erinnert sie sich. Das Zeichnen begleitet sie seither pausenlos und sie sagt über sich: „Ich habe mich bei meiner Laufbahn für die Leidenschaft entschieden.“

Frei holt ein in Leinen gebundenen Comic aus dem Schrank, der die Geschichte einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie erzählt. Es ist ihre Maturaarbeit, mit der sie beim 50. nationalen Wettbewerb „Jugend forscht“ einen Preis gewann.

„Die Arbeit erforderte viel Recherchearbeit, um realistische Bilder zu finden und gleichzeitig musste ich einen eigenen Erzählstrang entwickeln,“ erinnert sie sich. „Der Preis und die Rückmeldungen dazu zeigten mir zum ersten Mal, dass ich meinen Berufswunsch tatsächlich realisieren könnte.“

 

Mit ihrer gut recherchierten und einfühlsam erzählten Graphic Novel über eine vietnamesische Flüchtlingsfamilie gelingt der Amriswilerin ein Sieg bei „Jugend forscht“. Der ganze Band entstand als Maturaarbeit. Bild: Bettina Schnerr

Von der Hochschule ins Cartoonmuseum

Und wie er das tat: Schon damals fiel sie mit ihrer Arbeit Anette Gehrig auf, Jurymitglied und zugleich Kuratorin und Leiterin des Cartoonmuseums in Basel. Bereits fünf Jahre später holte Gehrig die junge Illustratorin mit einem Werk in eine Gruppenausstellung zur Corona-Pandemie.

Ein ungewohnt früher Ruf und eine grosse Chance für Freis berufliche Präsenz, laufen Illustratoren und Illustratorinnen in der Regel oft unter dem Radar der Öffentlichkeit. Nur wenigen gelingt eine gewisser Bekanntheitsgrad durch Themen oder Stile, die wie so vieles auch Moden unterworfen sind. Und noch weniger sind auch die Namen bei den Leuten präsent.

Magazine, Zeitungen, Webcomic

In ihrem Beruf arbeitet Lea Frei heute in ganz unterschiedlichen Bereichen und geniesst die Vielfalt. Sie zeichnet für Magazine oder Zeitungen, für zwei Modedesignerinnen konnte sie einen Webcomic über Polyester realisieren und manchmal gestaltet sie auch diverse Einladungskarten.

Aktuell dekorieren vier grossformatige Arbeiten die Fenster eines St. Galler Geschäfts. Auch bei zwei 24-Stunden-Comics war sie bereits dabei. Eine Herausforderung, bei der innerhalb von 24 Stunden ein 24-seitiger Comic entstehen soll.

 

Ohne Skizzenbücher verlässt die Illustratorin nicht das Haus. Ideen für Stories, Themen oder Illustrationen erhält sie oft, wenn sie solche Bildnotzen durchblättert. Bild: Bettina Schnerr

Die Erfindung der illustrierten Lyrik-Performance

Die Lust auf das Neue führte Lea Frei jüngst zu einem Experiment im Literaturhaus Thurgau. Besucher kennen ihren fligranen Strich bereits von den Autor:innen-Portraits, die das Literaturhaus in seine Kommunikation integriert.

In einer besonderen Form des Dialogs tat sie sich vor einigen Wochen mit der Lyrikerin Isabella Krainer zusammen. Was Krainer las, wurde mit dem Stift von Lea Frei lebendig und ein Projektor brachte ihre Werke für das Publikum in Echtzeit auf eine Leinwand.

„Die Zusammenarbeit unterscheidet sich um Einiges vom Live-Zeichnen, wie man es von Veranstaltungen her kennt,“ sagt Frei. „Die Bilder müssen ineinander übergehen, damit das Publikum Gedankengänge akustisch und optisch mitspinnen kann.“

Dafür hatte Frei extra eine lange Papierbahn hergestellt, die schliesslich auf mehr als zweieinhalb Metern gespickt war mit ihren Illustrationen. Ein Experiment, das Schule machen könnte.

 

Illustration in Echtzeit: Lea Frei zeichnet einen fortlaufenden Bilderstrang zu den Texten der Lyriker Isabella Krainer; mehr als zweieinhalb Meter lang wird ihre Story am Ende des Abends im Literaturhaus Thurgau sein. Bild: Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

 

„akademische erkenntnis // noch mehr / dosenravioli / aber der blick / auf die welt / ist ein / anderer“. Lea Frei interpretiert die Zeilen der Lyrikerin Isabella Krainer mit Esprit und Liebe zum Detail. Bild: Sandra Kottonau / Literaturhaus Thurgau

Vom unterschätzten Potenzial der Graphic Novel

„Comics fand ich schon immer stark,“ begeistert sich Lea Frei. Es sei aber interessant, dass ihre Ausdrucksstärke und ihre Möglichkeiten sehr unterschätzt werden: „Es ist eine andere Sprache, aber sie sind Romanen vom Prozess her sehr ähnlich.“

Comics sind, im deutschsprachigen Raum jedenfalls, stark als einfache Unterhaltung abgestempelt. Mit dem Begriff „Graphic Novel“ versuchen Verlage, dem Ruf der Werke entgegenzuwirken und das mit zunehmendem Erfolg. „Mal eben so weglesen lassen sich viele Werke des Genres eben nicht,“ sagt Frei und holt zum Beweis „Maus“ aus dem Schrank.

Intime Themen, die viele betreffen

Die Graphic Novel von Art Spiegelman über seine Eltern und den Holocaust wurde 1992 als erster Comic überhaupt mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und hat der Anerkennung bebilderter Erzählformate massiv auf die Sprünge geholfen.

Die Möglichkeiten der Graphic Novel haben es Frei so sehr angetan, dass sie sich für das kommende Jahr nach ihren Matura- und Bachelorarbeiten eine weitere vorgenommen hat. Für die Arbeit an Ideation und Konzept wurde sie in diesem Jahr als eine von sechs Kunstschaffenden mit einem Förderbeitrag des Kantons Thurgau gewürdigt. „Mich beschäftigen intime Themen, die viele Menschen betreffen, die wir gleichzeitig aber auch vor engen Vertrauten zurückhalten,“ beschreibt sie ihre Motivation.

Dabei sieht sie sich als Forscherin und Visionärin gleichermassen. „Ich muss für den Überblick distanziert Fragen stellen und Hintergrundinformationen sammeln. Zugleich kann ich mich gut in Personen versetzen und so für mich erschliessen, wie meine Figuren in einem bestimmten Umfeld empfinden.“

 

Das Storyboard für einen Comic, der demnächst an den Verlag geht: Lea Frei arbeitet gerade an den Reinzeichnungen, die in einigen Tagen digitalisiert an den Verlag gehen werden. Bild: Bettina Schnerr

Der bebilderte Roman

Fasziniert ist die Illustratorin von der Frage, was Geheimnisse überhaupt ausmachen: „Warum behalten wir Dinge im privaten Rahmen für uns und können doch gleichzeitig in den Sozialen Medien sehr intime Dinge offenbaren?“ Die Suche nach einer Antwort werde sicher eine Rolle bei ihrer Arbeit spielen.

Die Möglichkeiten der Erzählform liegen noch nicht fest: „Die ergeben sich wie beim Roman erst später. Erst, wenn ich Themen und Figuren kenne, kann ich Erzähltempo oder Erzählstimme festlegen,“ sagt Frei. Auch Entscheidungen zur Bildsprache trifft sie sehr viel später. Irgendwann komme ein Punkt wie beim Puzzle, wo sich alles zusammenfüge.

Welche Aspekte des Projekts die Jury für sich eingenommen haben, weiss die gebürtige Amriswilerin nicht. „Das erfahre ich erst durch die Laudatio,“ lacht sie. „Ich weiss erst einmal nur, dass etwas Grosses auf mich zukommt und das ist eine Mischung aus einem gewissen Druck und Respekt, aber auch grosser Vorfreude. Dass jemand an mich glaubt, tut bei diesem Projekt sehr gut.“

Kunst schaffen durch Austausch

Viele Wünsche bleiben da erst einmal nicht offen. „Ich kenne aktuell allerdings nur wenige Kunstschaffende, die sich mit Graphic Novels befassen,“ sagt Frei. „Es wäre schön, wenn ich Kollegen und Kolleginnen für den Austausch in der Region hätte.“

Auch wünscht sie sich mehr Gespräche über generelle Fragen, wie Honorare oder Nutzungsrechte, die so viele Kunstschaffende beschäftigen. „Mehr Transparenz würde die Situation Kunstschaffender ganz sicher verbessern.“

Und welche Träume hat eine Künstlerin, die noch am Beginn ihrer Karriere steht? Vielleicht ein Cover für New Yorker kreieren? „Das wäre schon was,“ meint Lea Frei, bleibt aber auch hier nah an ihrer Liebe zu Graphic Novels. „Beim Verlag Reprodukt veröffentlichen, das wär‘s. Im Haus der Zeichner und Zeichnerinnen unterzukommen, in denen so viele meiner Inspirationen veröffentlicht werden.“

 

Die Porträtserie zu den Förderbeiträgen des Kantons Thurgau

In einer neuen Serie stellen wir alle Gewinner:innen der diesjährigen Förderbeiträge des Kantons vor. Alle Beiträge werden im Themendossier zu den Förderbeiträgen gebündelt. Dort finden sich auch Porträts über frühere Gewinner:innen dieser Förderbeiträge.

 

Die Preisträger:innen 2022 sind: Hannes Brunner, (bildender Künstler, Zürich), Lea Frei, (Autorin und Illustratorin, St. Gallen), Michael Frei, (Filmemacher, Zürich), Sonja Lippuner, (bildende Künstlerin, Basel), Thi My Lien Nguyen, (bildende Künstlerin, Winterthur) und Fabian Ziegler (Musiker, Matzingen). Zu drei der sechs ausgezeichneten Künstler:innen sind in den vergangenen Jahren bereits Porträts erschienen. Diese Texte verlinken wir hier: Sonja Lippuner, Thi My Lien Nguyen und Fabian Ziegler.

 

Einmal im Jahr vergibt der Kanton die mit jeweils 25'000 Franken dotierten Förderbeiträge. Sie werden von einer Jury vergeben, die sich aus den Fachreferentinnen und -referenten des Kulturamts und externen Fachpersonen zusammensetzt. Auch in diesem Jahr sei die Anzahl und Qualität der eingegangenen Bewerbungen hoch gewesen, heisst es in einer Medienmitteilung des Kulturamts. Die Jury habe Künstlerinnen und Künstler aus vier verschiedenen Sparten ausgewählt und damit ein breites künstlerisches Schaffen im Kanton und darüber hinaus gewürdigt, heisst es weiter.

 

 

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