von Barbara Camenzind, 06.05.2024
Wohlgereifte Nachtmusik
Isabelle Faust sollte eigentlich schon 2021 künstlerische Leiterin der Ittinger Pfingstkonzerte werden. Dann kam die Pandemie. Jetzt endlich wird das Programm der Stargeigerin in Ittingen aufgeführt. (Lesedauer: ca. 3 Minuten)
Wiener Klassik, frühe und späte Romantik, Grenzgänger, Töne-Neuordner, Moderne Klangphantasten und ein Galler Musikdirektor. In Isabelle Fausts „Notturno” treffen sich wohlausgesuchte Komponistengäste, die ihren ganz eigenen lyrischen Zugang zu den Stunden zwischen Sonnenaufgang und Untergang hatten. Faust gruppiert die musikalischen Epochen und ihre Vertreter sehr geschickt in den sieben Pfingstkonzerten.
Die thematische Quintessenz des Hörerlebnisses scheint der Geigerin als fühl-hörbares Erlebnis wichtig zu sein. Obwohl es der Opener am Freitagabend später gar nicht mehr so mit den Quinten hatte, beziehungsweise dem Quintenzirkel und deren Tonika-Dominante-Harmonie-Diktatur.
Die Kunst des ganz Leisen
Anton Webern gehörte zur Zweiten Wiener Schule. Die chromatische Dichte und die „Kunst des ganz Leisen” gehören untrennbar zu seinen vier Stücken für Violine und Klavier op. 7. Zu Isabelle Faust an der Violine gesellen sich Anne Katharina Schreiber, Violine, Antoine Tamestit, Viola, Jean Guihen Queyras, Violoncello, sowie die Pianisten Alexander Melnikov und Alevtina Sagitullina.
Der Bariton Nicolai Borchev wird mit „Notturno”, dem grossen Gesang von Richard Strauss leitmotivisch in die Pfingstkonzerte einstimmen, die mit Robert Schumanns Klavierquartett in Es-Dur op. 47 und dem Streichquartett a-Moll op.41/4 den Freitagabend abrunden werden.
Verbindung von Zeit und Klang
Ähnlich klangdicht und spannend wird der Samstag: Im Konzert 2 wird sich Musik in der Ittinger Remise begegnen, die gut 180 Jahre auseinanderliegt. Ja, auch Schubert schrieb 1827/28 ein Notturno, das Adagio Es-Dur, mit seinen wunderbar verloren klingenden Terzen. Robert Schumanns Romanzen op. 94 werden die Zuhörenden auf György Kurtágs Duos für Violine und Viola vorbereitet.
Diese feine, hochpoetische durchsichtige Musik, diese Streicher-Haikus, die der ungarische Meister der (Post-)Moderne zwischen 1993 und 2001 schrieb. Mit dem Klavierquintett Es-Dur op.44 von Robert Schumann, bei dem sich Oboist Josep Domènech Lafont dazu gesellen wird, wird das Mittagskonzert komplettiert.
Grosse, wenig gespielte Schweizer Komponisten
Was wäre passiert, wenn Claude Debussy und Richard Wagner eine Nacht im Ittinger Klostergarten verbracht hätten? Es wäre Musik von Ernest Bloch komponiert worden. So in etwa könnte man in einfachen Worten die stilistische Einordnung des Genfer Komponisten vornehmen, der die impressionistische Farbenpracht mit der Leitmotivtechnik verband. Samstagabend an den Pfingstkonzerten wird der Schweizer Abend, wobei Europäer Beethoven auch noch mitmachen darf.
Nach den „Trois Nocturnes” von Bloch wird sein Sextett in es Dur op. 20 erklingen, welches er ziemlich genau vor 224 Jahren komponierte. Nach der Pause - man ahnt es- wieder ein Notturno- diesmal von Othmar Schoeck komponiert 1933. Man tut dem ehemaligen Leiter des Konzertvereins St. Gallen und Chef der Tonhalle etwas Unrecht, ihn als Traditionalisten abzutun, oder als kompositorischer Windschatten der Spätromantik.
Schoeck schuf eine ganz eigene Tonsprache und war wohl der grosse Schweizer Liedkomponist schlechthin. Es singen und spielen: Nikolay Borchev Bariton, Lorenzo Coppola, Klarinette, Javier Zafra Fagott, Bart Aerbeydt Horn, Isabelle Faust Violine, Anne Katharina Schreiber Violine, Danusha Waskiewicz Viola, Christian Poltéra Violoncello, Jean-Guihen Queyras Violoncello, Kristin von der Goltz Violoncello, James Munro Kontrabass, Alexander Melnikov Klavier.
Nocturnes in allen Variationen
Bei den beiden Remise-Konzerte am Sonntag geben sich die Protagonisten der zweiten Wiener Schule Alban Berg am Mittag (vier Stücke für Klarinette) und Anton Webern um 17 Uhr die Ehre, zusammen mit dem Universalkünstler und Klangarchitekten George Crumb, dem irischen Komponisten John Field der - so heisst es- die Nocturnes erfand und in Chopins zaubernden Pianokaskaden seine Vollendung finden wird.
Mozarts Klavierquintett KV 452 mit Oboe, Klarinette Horn und fagott, sowie Beethovens Variante zu siebt op 20, sowie Franz Schuberts „Lieder zur Nacht” werden ein breites Musikgenuss-Spektrum an „Nachtmusiken zum Sonntag” bieten.
Atmosphärischer Zauber in der Klosterkirche
Wer sich um 21 Uhr auf die Klänge in der Klosterkirche einlässt, wird erleben können, wie Musik der elisabethanischen Zeit von Orlando Gibbons sich mit den „Wilden Wienern” Arnold Schönberg und Anton Webern einlässt und sich ganz sicher wunderbar mit den feinziselierten Klängen György Kurtág verbinden wird. Wobei, so wild werden die Wilden Wiener nicht klingen. Weberns Streichquartett Nr. 5 ist eine tonalzarte Musik und Schönbergs „Verklärte Nacht” für Streichsextett ein farbiges, sinnliches Hörvergnügen. Dieses Konzertprogramm in der Klosterkirche klingt schon auf dem Papier atmosphärisch spannend.
Mit den sechs Bagatellen von Anton Webern, dem Quartettsatz c-Moll D 703 von Franz Schubert und dem genial komponierten, weil stilistisch weit hinausgeträumten Oktett für Klarinette, Fagott, Horn, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass F-Dur D 803 beschliessen die Ittinger Pfingstkonzerte und Isabelle Faust am Montag ihren nächtlichen Reigen.
Wer sich ein paar poetisch-musikalische Tage gönnen will, wird bei dem schönen, poetischen Programm sicher gut aufgehoben sein. Oder wie es in einem der Nachtgesänge von Schubert heisst:
Heil’ge Nacht, du sinkest nieder; Nieder wallen auch die Träume,
Wie dein Mondlicht durch die Räume, Durch der Menschen stille Brust;
Die belauschen sie mit Lust,
Rufen, wenn der Tag erwacht:
Kehre wieder, heil’ge Nacht,
Holde Träume, kehret wieder.
(M. von Collin)
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