Seite vorlesen

von Jeremias Heppeler, 28.02.2018

„Wir wollen die Ostschweizer Musikszene pushen!“

„Wir wollen die Ostschweizer Musikszene pushen!“
Obacht Obacht: Eine der Bands, in denen Tobias Rüetschi spielt | © PD

Vor zwei Jahren hat der Frauenfelder Tobias Rüetschi das Musiklabel AuGeil-Records gegründet. Warum eigentlich? Und wie geht es dem Label heute? Unser Korrespondent Jeremias Heppeler hat nachgefragt.

Von Jeremias Heppeler 

Wer über Musiklabels spricht, der denkt oft zuerst an den Pakt mit dem Teufel. An Knebelverträge. An eingeschränkte künstlerische Freiheiten. An Kommerz. Kommerz. Kommerz. Zu viele Liebhaber-Bands haben sich unter dem Einfluss der grossen Player entscheidend verändert, zu viele Künstler erreichten nie wieder ihre Normalform. Labels gelten in der öffentlichen Wahrnehmung oft als der Feind des kreativen Geistes. Und doch wird in diesem Gedankenwirrwarr ein entscheidender Fakt vergessen: Die angesprochenen Mainstream-Giganten sind nur die Spitze des Eisbergs – darunter schlummern Musikverlage aller Farben und Formen und nicht wenige von ihnen haben sich vollends und kompromisslos der Musik verschrieben.

Ein echtes Paradebeispiel ist das 2016 gegründete Frauenfelder Musiklabel AuGeil-Records, welches einen einzigartigen Verbund zwischen Bands der Region geschaffen hat. Gemeinsam mit Labelorganisator und thurgaukultur.ch-Korrespondent Tobias Rüetschi werfen wir einen Blick auf dieses spannende Projekt. Doch zunächst zu Rüetschi selbst. Der Frauenfelder liebt und lebt Independent-Musik. Bedingungslos. In allen Spielformen und Farben. Mit 12 gründete eine erste Band: „...später habe ich dann angefangen, mir selbst Gitarre und Schlagzeug bei zu bringen. Da wurde auch mein Interesse an der Theorie grösser, weshalb ich mich nach der Matura unter anderem für ein Jazz-Studium beworben habe. Leider hat's bei der Aufnahmeprüfung auf Grund von zu wenig Erfahrung im Jazzbereich nicht geklappt und nun studiere ich Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste. Musik ist und bleibt aber meine Leidenschaft, weshalb ich den grössten Teil meiner Zeit in meine Bands und Arbeit mit anderen Bands investiere - ich arbeite im Kulturlokal KAFF als Tontechniker und Veranstalter.“

Auch bei Addicthead mischt Tobias Rüetschi mit. Bild: PD

Darüber hinaus ist Rüetschi Teil der Combo Addicthead und veröffentlicht unter dem Namen Obacht Obacht Musik. Rüetschi kennt die Musikszene aus allen Blickwinkeln. Als Techniker, Journalist, Veranstalter und Musiker. Da erscheint es fast logisch, dass es früher oder später zu einer Labelgründung kommen musste. Gesagt getan: 2016 erblickte AuGeil-Records das Licht der Welt: „Das Label wurde vor rund zwei Jahren gegründet.  Die Vorgeschichte startet aber etwas früher: Ich hatte das Glück, während meiner Jugend in Frauenfeld in meinem Freundeskreis extrem viele Musik- beziehungsweise Rock-affine Menschen zu haben. In diesem Freundeskreis gab es darum diverse Bands, einige davon auch jetzt noch aktiv, wie zum Beispiel Franky Four Fingers, Deaddrunk oder meine Band Addicthead. Für uns alle war es aber extrem schwer, irgendwie aus Frauenfeld heraus zu kommen. Ein Label zu gründen, um die „Szene“ unter ein Dach zu bringen, das war die logische Konsequenz.“ 

Die Bands helfen sich gegenseitig bei AuGeil-Records

Die Bands bei AuGeil stammen mehrheitlich aus Frauenfeld und der Umgebung, im letzten Jahr bekam das Label mit „The Shattered Mind Machine“ Zuwachs aus Kloten. Die einzelnen Bands helfen sich gegenseitig, in dem sie die unterschiedlichen Veröffentlichungen gegenseitig promoten und Events und Konzerte im KAFF in Frauenfeld oder in der Umgebung organisiert werden. Zudem sorgt AuGeil dafür, dass die Musik der Künstler bei allen gängigen Streaming-Diensten verfügbar ist und die Bands eine ansprechende Präsenz im Netz haben.  „Die Philosophie des Labels ist es, die Ostschweizer Musikszene zu pushen und Künstler dazu zu motivieren, sich selber beim Label einzubringen. Do It Yourself wird gross geschrieben - wir sind kein Label, dass Künstler „gross rausbringt“ oder so. Dazu fehlen uns auch die Kompetenzen. Mehr sind wir ein Zusammenschluss von Musikern, die für dieselben Werte einstehen und den Austausch und Zusammenhalt mit anderen Bands schätzen.“

Damit offenbar AuGeil eine Philosophie, die auch zukünftig Schule machen könnte. Denn genau im aktiven Kräftebündeln liegt die Zukunft des vitalen Kulturlebens. Der Einzelkämpfer rennt oft gegen Windmühlen an, während sich im Kräfteverbund plötzlich ganz neue Möglichkeiten ergeben. Speziell im popmusikalischen Bereich spielen oft zu grosse Egos eine zu grosse Rolle – jede noch so untalentierte Poppunk-Band hofft auf den grossen Durchbruch, tingelt von Bandwettbewerb zu Bandwettbewerb im stetigen Anbiedern an Publikum und Jurys und vergisst hierbei alle Leidenschaften. Wirkliche Kreativität oder experimentelle Ansätze sind für junge Bands kaum umsetzbar. In einem Zusammenschluss wie AuGeil-Records, der ja gleichermassen eine Art Community bildet, bekommt jedoch jede Band ihre eigenen kreativen Spielraum, kann aber gleichzeitig auf die Kompetenzen der Mitstreiter hoffen. So wird aus mehrfachen vor sich hin werkelten Einzelzellen plötzlich ein effektives System – und vielleicht sogar eine Bewegung.

https://obachtobacht.bandcamp.com 

https://addicthead.bandcamp.com 

Videos: So klingen Addicthead

 

 

Kommentare werden geladen...

Kommt vor in diesen Ressorts

  • Musik

Kommt vor in diesen Interessen

  • Porträt
  • Pop

Werbung

Unsere neue Serie: «Wie wir arbeiten»

Unsere Autor:innen erklären nach welchen Grundsätzen und Kriterien sie arbeiten!

Fünf Dinge, die den Kulturjournalismus besser machen!

Unser Plädoyer für einen neuen Kulturjournalismus.

#Kultursplitter im November/Dezember

Kuratierte Agenda-Tipps aus dem Kulturpool Schweiz.

15 Jahre Kulturkompass

Jubiläumsstimmen und Informationen rund um unseren Geburtstag.

"Movie Day": jetzt für 2025 bewerben!

Filme für das 12. Jugendfilm Festival können ab sofort angemeldet werden. Einsendeschluss der Kurzfilme für beide Kategorien ist der 31.01.2025

21. Adolf-Dietrich-Preis 2025

Bewerbungsschluss: 28. Februar 2025

Ähnliche Beiträge

Musik

«Eine Knochenarbeit, die mich bereichert!»

Wie wir arbeiten (4): Andrin Uetz ist unser Experte für Pop- und Jazzmusik. Hier beschreibt er nach welchen Kriterien er Projekte bewertet und was das mit seiner eigenen Erfahrung zu tun hat. mehr

Musik

Ein Mann, eine Gitarre, ganz viel Gefühl

Eine Welt voller Melodien und Emotionen: Der Bischofszeller Tobias Engeler holt aus seiner Akustikgitarre heraus, was anderen mit einer mehrköpfigen Band nicht gelingt. mehr

Musik

Schweizer Indie-Pop mit Liebe zum Detail

Die Winterthurer Mundart-Band Plankton kehrte diesen Sommer mit ihrem neuen Album «Boule» auf die Bühne zurück. arttv.ch stellt die Band im Video vor. mehr