28.07.2023
Wie Flechten den Klimawandel erklären können
Das Naturmuseum Thurgau digitalisiert seine Flechtensammlung, damit sie der Forschung zugänglich wird. Das kann auch dabei helfen, offene Fragen zur Klimakrise zu beantworten. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Beim Vorbeigehen werden sie meistens übersehen: Flechten. Doch die unscheinbaren Gewächse sind nicht nur aussergewöhnliche Lebensformen. Flechten können Jahrhunderte alt werden und helfen, offene Fragen rund um den Klimawandel zu beantworten. Im Rahmen eines nationalen Forschungsprojektes digitalisiert das Naturmuseum Thurgau seine Flechtensammlung, um sie der Forschung zugänglich zu machen. Das erklärte der Kanton in einer Medienmitteilung vom 25. Juli.
Mit mehr als 60 Millionen Exemplaren von Tieren, Pflanzen, Pilzen, Gesteinen, Bodenproben und Fossilien bewahren Naturmuseen, Universitäten und botanische Gärten der Schweiz einen bemerkenswerten wissenschaftlichen und kulturhistorischen Schatz auf. Weniger als ein Fünftel dieser Objekte ist jedoch digitalisiert.
Damit ist ein grosser Teil dieser Daten über die Biodiversität und die Umwelt für die Forschung nur schwer oder gar nicht zugänglich. Die Initiative SwissCollNet, koordiniert und geleitet von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT, setzt sich für eine bessere Erschliessung naturhistorischer Sammlungen in der Schweiz ein. Im Rahmen dieser landesweiten Initiative überarbeiten unter Leitung des Naturmuseums Thurgau vier Nordostschweizer Naturmuseen gemeinsam ihre Flechtensammlungen.
115’000 Objekte in der Sammlung in Frauenfeld
Die Sammlungen des Naturmuseums Thurgau umfassen rund 115‘000 Objekte aus den Bereichen Botanik, Zoologie, Geowissenschaften und Kulturgeschichte der Natur, die hauptsächlich aus dem Kanton Thurgau stammen und einen Zeitraum von beinahe 200 Jahren abdecken.
Es ist ein Kernauftrag des Naturmuseums, diese Sammlung zu pflegen, zu erweitern und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies nicht nur über Ausstellungen, in denen die Objekte dem Publikum gezeigt werden, sondern auch durch die digitale Erfassung der Sammlungsinformationen, um sie damit für Forschungsprojekte nutzbar zu machen.
Faszinierende Überlebenskünstlerinnen für die Forschung
In der Sammlung des Naturmuseums finden sich auch rund 2'700 Belege von Flechten. Gut 1'700 stammen aus dem Thurgau, die Mehrzahl der anderen Belege aus anderen Regionen der Schweiz. Eine Flechte ist eine Lebensform, in der verschiedene Symbiosepartner zusammenleben, die voneinander profitieren.
Die Basis bildet ein Pilz. Dieser beherbergt in einer speziellen Schicht in seinem Inneren oder in kleinen Einschlüssen im Flechtenkörper entweder eine Grünalge oder ein Cyanobakterium. Die Kombination aus vorteilhaften Eigenschaften verschiedener Organismen macht Flechten äusserst konkurrenzfähig. Flechten wachsen daher auf allen nur erdenklichen Unterlagen, häufig auf Rinde, Holz, Erde und Gestein, aber auch auf Blättern, Nadeln, Steinmauern, Dachziegeln, Metallflächen und vielen anderen menschengemachten Materialien.
Im Vergleich zu Blütenpflanzen wachsen Flechten sehr langsam, oft nur wenige Millimeter pro Jahr. Dafür können sie mehrere hundert Jahre alt werden und gehören damit zu den langlebigsten Lebewesen der Erde.
Video zum Forschungsprojekt
Aufarbeitung der Flechtensammlung des Naturmuseums
Flechten sind bekannte Bioindikatoren für den Nachweis von Umweltveränderungen. Beispielsweise reagieren bestimmte Arten sehr empfindlich auf Luftverschmutzung oder dienen als Zeiger für klimatische Veränderungen. Unter der Leitung des Naturmuseums Thurgau arbeiten vier Naturmuseen aus der Nordostschweiz – die Naturmuseen Thurgau, Winterthur und St. Gallen sowie das Museum zu Allerheiligen Schaffhausen – ihre Flechtensammlungen gemeinsam auf und digitalisieren die Sammlungsdaten.
Im von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz SCNAT im Rahmen der landesweiten Initiative SwissCollNet mitfinanzierten Projekt «Re-determination, revision and databasing of four Swiss lichen collections to aid research» werden gesamthaft rund 3'600 Flechtenbelege aus einem Zeitraum von 1850 bis zur Jahrtausendwende bearbeitet.
So funktioniert Sammlungsarbeit heute
Mit der Aufarbeitung seiner Flechtensammlungen machen das Naturmuseum Thurgau und seine Partnermuseen diese für die wissenschaftliche Bearbeitung zugänglich. Das Flechtenprojekt zeigt exemplarisch, wie Sammlungsarbeit heute funktioniert und worin der Wert naturwissenschaftlicher Sammlungen liegt: Forschende aus den Bereichen Evolutionsbiologie, Klima- und Umweltwandel, Ökologie oder Naturschutzbiologie – um nur einige zu nennen – finden in den Sammlungen unverzichtbare, mitunter historisch weit zurückreichende Daten, um Prozesse und Veränderungen in Raum und Zeit zu analysieren.
«Naturwissenschaftliche Sammlungen liefern so wichtige Grundlagen zum Verständnis drängender gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem Klimawandel oder dem Rückgang der Biodiversität», schreibt das Museum in seiner Medienmitteilung.
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