von Brigitte Elsner-Heller, 11.09.2017
Wenn nicht morgen, wann dann?
Kabarettist Jan Rutishauser stellt sein neues Programm „Gepflegte Langeweile“ im Theater an der Grenze vor.
Von Brigitte Elsner-Heller
Das Theater an der Grenze in Kreuzlingen ist zum Auftakt der Spielzeit ausverkauft. Was auch mit dem Thurgauer Kabarettisten Jan Rutishauser zu tun hat, der hier die Premiere seines neuen Programms „Gepflegte Langeweile“ auf die Bühne bringt. Eine kleine Bühne ist das hier bekanntermassen, die keinen Abstand zum Publikum vorsieht – was Rutishauer entgegen zu kommen scheint. Noch hinter dem Vorhang auf den Auftritt wartend, ist (s)ein Juchzer zu vernehmen, als das Publikum vom Veranstalter freundlich begrüsst wird – verständlicherweise angereichert mit Lob auf den erwarteten Künstler. Freude mag da mitgespielt haben, aber auch ein Adrenalinspiegel, der über das Mass hinausreicht, das im Alltag zuträglich ist, damit „Mensch“ nicht in Lethargie verfällt.
Der Bühnenkünstler und sein Publikum
Genau um die geht es dann auch dem Kabarettisten, der sich sein Publikum gleich zum Freund macht – „proaktiv“, um ein neuerdings beliebtes Wort zu benutzen, dessen sich auch Rutishauser später noch im Rahmen seiner Wortspielereien annehmen wird. Ob er es überhaupt nötig gehabt hätte, das Publikum zu umgarnen, sei dahingestellt. Schliesslich kennt man sich, mag sich ohnehin. Und wenn Rutishauser später eins ums andere Mal mit kleineren Fehlschlägen des aufstrebenden Bühnenkünstlers kokettiert, ist klar, dass hier nicht nur genau dieses Publikum als Spiegelung für den Erfolg der eigenen Arbeit gemeint ist. An diesem Abend nicht, und an weiteren Abenden vor anderem Publikum auch nicht. Aber Klappern gehört nun einmal zum Handwerk, auch auf der Bühne (wo alle eigentlich nur so tun, „als ob“ etwas so und nicht anders geschehe).
Ein Konzept wird vorgestellt
Langeweile also. Was das Adjektiv „gepflegt“ dabei bedeuten soll, wird Jan Rutishauser knapp neunzig Minuten später erläutert haben. Am Ende aller Schreibblockaden, die es mit sich bringen, dass der Künstler mäandrierend das zusammenträgt, was nun seine Show ist. Das Problem zum Inhalt zu machen, wird für ihn die gelungene Quadratur des Kreises. Man nehme also eine Schreibblockade, füge alle Ausweichmanöver hinzu, ergänze um die Katharsis in Form eines zur Ruhe zwingenden Hexenschusses, und fertig ist das Bühnenprogramm. Was allerdings immer noch irritiert an diesem Mann, der gerade 30 Jahre alt geworden ist: Erzählt Rutishauser im Kern von sich oder ist er hier eben die Bühnenfigur eines Kabarettisten, der um das neue Programm ebenso kämpfen muss wie um die Gunst des Publikums? Uninteressant ist es nicht, einen Berufsstand zu hinterfragen, für den es mehr braucht, als irgendwo eine entsprechende Ausbildung zu machen. Was Rutishauser noch fehlt, ist die Selbstsicherheit, die klar macht, dass hier einer souverän „von aussen“ erzählt, auch wenn er selbst mitten drin steckt.
Jan Rutishauser brachte viel Elan auf, um schliesslich das Hohelied auf die gepflegte Langeweile zu singen. Bild: Elsner-Heller
Das Bühnen-Ich ist nun ein Mann, der – von der Freundin verlassen – wieder bei den Eltern eingezogen ist. Und der „Defekte Liebeslieder“ präsentiert. Da ohnehin alles immer nur den Bach runtergeht, finden die Lieder zur Gitarre meist einen schnellen Abbruch – was nicht unoriginell ist. Rutishausers Stärken liegen darin, Sätze zu sezieren, den Wörtern einen anderen Sinn unterzuschieben oder sie gleich ganz auszutauschen. Manchmal wird das heiter, manchmal auch ziemlich makaber: „Ich liebe Kaffee. Ich will nach meinem Tod auch nicht verbrannt werden, nur geröstet“. Ein schnelles Ende erfahren auch die Tiere in den vierzeiligen Tiergedichten: „So schnell ist ein Tier Geschichte.“
Das Ding mit der Gürtellinie
Ohne Gitarre ist Jan Rutishauser ein grosser Gestikulierer, auch wenn er nicht viel Bewegungsraum auf der Bühne benötigt. Und da als Übersprunghandlung gegen die Schreibblockade vieles im Alltag Bedeutung erlangt, kann der Kabarettist sich eben auch damit beschäftigen. Dann macht er sich etwa über die Marke Moleskine lustig, deren Notizbücher viele Literaten schätzten, so dass Moleskine noch heute allein am Mythos gut verdienen dürfte. Augenzwinkernd der Hinweis, dass sich auch in einem solchen Notizbuch das neue Programm nicht einfach so von selbst schreiben liess. Weniger geschäftstüchtig, aber eine ständige Gefahr für das Ego: der Friseur, der bekanntlich immer eigenmächtig handelt. Für Rutishauser willkommener Anlass für einen Kalauer: „Beim Friseur darfst du nicht schnippisch antworten, weil sie sonst auch schnippisch arbeiten.“ Zur Pause fühlt sich das Publikum, das seinem Jan Rutishauser gern folgt, gut angewärmt, wobei der Kabarettist (wie so viele andere auch) immer mal wieder ausgetestet hat, wo die Gürtellinie zu verorten ist: „Schreiben ist wie masturbieren – es geht leicht von der Hand. Nur das Ergebnis sollte man dann niemandem zeigen.“ Eine Kopfgeburt kann man Rutishauser da nicht vorwerfen.
Ende gut, alles gut
Der künstlerisch vorgegebenen Schreibblockade geht es dann nach der Pause an den Kragen. Und dafür wird zunächst die Mutter aufgerufen, die die Sprachkompetenz des Sohnes offenbar nachhaltig gefördert hat (Frage: der Bühnenfigur oder Jan Rutishausers?). Über Sprachspielerein findet Rutishauser zum nachhaltigen Erleben eines Hexenschusses, der das wie auch immer konzipierte Ich zwingt, auf dem Sofa still auszuharren. Und siehe da: Diese Langeweile, nun eine gepflegte, weil pfleglich behandelt, führt nun zum veritablen Schreib-Erguss (sorry). Und dann noch eine kleine philosophische Erkenntnis, bevor der Schlussapplaus über Jan Rutishauser hereinbricht: „Es sind tausend kleine Momente, die einen Anfang ausmachen.“
Weiterlesen: Das Porträt "Der will doch nur spielen" über Jan Rutishauser können Sie hier lesen: http://www.thurgaukultur.ch/magazin/3301/
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