von Medienmitteilung, 07.11.2022
Was der See über das Thurgauer Klima verrät

Wie haben sich die Umwelt- und die Lebensbedingungen in der Jahrtausende währenden Besiedlungszeit des Thurgaus verändert? Ein Projekt der Universität Basel und des Amtes für Archäologie Thurgau gibt Antworten. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Wie sah der Thurgau in römischer Zeit aus? Wie war die Landschaft während des Konstanzer Konzils von 1414–1418? Wie beeinflusste der Eisenbahnbau im 19. Jahrhundert die Waldentwicklung? Ohne umfassende Grundlagendaten aus natürlichen Umweltarchiven in der südlichen Bodenseeregion sind solche historischen Fragen kaum zu beantworten.
Dies könnte sich jetzt ändern: Das Amt für Archäologie Thurgau hat vor zwei Jahren in Kooperation mit der Universität Basel das Projekt «Klima, Mensch und Umwelt im Thurgau» (KUMiT) ins Leben gerufen, das die Gewinnung von Grundlagendaten zu Umwelt, Klima und menschlichem Einfluss während der letzten 13'000 Jahre anstrebt. Am Freitag, 11. November, stellen die Forscher:innen erste Ergebnisse im Museum für Archäologie vor. Beginn ist um 14 Uhr.
«Die Sedimentkerne sind wie ein Geschichtsbuch.»
Urs Leuzinger, Archäologe des Kantons Thurgau (Bild: Sascha Erni)
Erkenntnisse dazu haben die Wissenschaftler:innen aus zwei Seen gewonnen. Um Veränderungen in der Umwelt zu untersuchen, hat das Projekt dabei einen genaueren Blick auf die so genannten Seesedimente geworfen. Das sind biologische Überreste, die sich über Jahrtausende am Grund von Seen abgelagert haben. Sie lassen sich mittels Bohrungen erschliessen. Dafür hat das Forschungsteam die Kleinseen Bichel- und Hüttwilersee ausgewählt, die beide in Privatbesitz sind.
Im Herbst 2019 entnahm das Team aus beiden Seen Bohrkerne, die eine durchgehende Sedimentabfolge enthalten. «Wir sind froh, dass dies so gut gelungen ist», kommentiert der Projektleiter PD Dr. Urs Leuzinger vom Amt für Archäologie Thurgau diese Arbeiten, «denn gebohrt wird von Hand und gerade das manuelle Herausziehen der meterlangen Sedimentsäulen aus dem Seegrund ist anspruchsvoll».
Was die Seeablagerungen verraten
Der rund sieben Meter lange Kern aus dem Bichelsee deckt nach Angaben der Forscher:innen eine Zeitspanne vom Spätneolithikum (um 3200 v. Chr.) bis heute ab. Die 13 Meter lange Sedimentsäule aus dem Hüttwilersee reicht demnach von der ausgehenden letzten Eiszeit (ca. 15'000 Jahre vor heute) bis in die Gegenwart.
«Dieses Projekt zeigt anhand eines konkreten Fallbeispiels, wie Umweltrekonstruktion funktioniert», erklärt der Geoökologe Prof. Dr. Oliver Heiri vom Departement Umweltwissenschaften, der für die Laborarbeiten verantwortlich ist. «Wir rollen mit der Analyse der Bohrkerne die Umweltgeschichte des Kantons Thurgau neu auf und schaffen dabei Links zur Archäologie und zur Geschichte», resümiert Heiri.

Wie die Wissenschaftler:innen arbeiten
Wie die Analyse funktioniert, erklärt Dr. Fabian Rey, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Projekt beteiligt ist. Das Team entnimmt in regelmässigen Abständen Stichproben aus den Sedimentkernen. Diese werden dann gesiebt und chemisch aufbereitet und so von unerwünschten Bestandteilen wie zum Beispiel Kalk- und Tonpartikel gereinigt.
Was danach kommt, ist wiederum aufwändige Handarbeit: Die Forschenden bestimmen und zählen die mikroskopisch kleinen biologischen Überreste – beispielsweise Pollenkörner oder Insektenreste. Anhand dieser Analyse können sie danach zum Beispiel zeigen, ab wann sich die Kastanie in der Gegend ausbreitete oder Flachs angebaut wurde.
Projekt steht kurz vor dem Abschluss
«Das A und O dieses Projektes ist es, dass das Alter unserer Proben mittels vieler Radiokarbondatierungen genau bestimmt wird», sagt Rey, «denn so lassen sich auch Veränderungen in kurzen Zeiträumen genau beschreiben».
Inzwischen steht das Projekt kurz vor seinem Abschluss, erste Erkenntnisse liegen bereit. So haben die Forscher:innen herausgefunden, dass es rund um den Bichelsee in der Bronze- und Eisenzeit zu grösseren Waldrodungen und verstärkter Bodenerosion gekommen ist.

Spuren von Walnuss und Esskastanie gefunden
Ausserdem konnten sie, wie in anderen Sedimentkernen aus der Schweiz, das Aufkommen von Walnuss und Esskastanie in jüngeren Sedimentabschnitten verorten. «Die Sedimentkerne sind wie ein Geschichtsbuch», erklärt Leuzinger.
Am kommenden Freitag, 11. November, berichten die Forscher:innen über weitere Erkenntnisse. Der Eintritt ist frei. Die finanziellen Mittel für das Kooperationsprojekt «Klima, Mensch und Umwelt im Thurgau» stammen aus dem Walter Enggist-Fonds.
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