von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 22.02.2018
Volksdichter
Seit mehr als 30 Jahren schreibt Christoph Sutter seine Alltagsverse. Gerade ist ein neues Buch mit den gedichteten Gedanken des Romanshorners erschienen. Ein Besuch bei einem Mann, der lieber Poet als Lyriker sein will.
Wenn man so will, dann verdankt Christoph Sutter sein Talent ein bisschen auch seiner Faulheit. In der Schule sollte er ein Gedicht auswendig lernen, aber das fiel ihm so schwer und machte ihm so wenig Freude, dass er kurzerhand selbst zum Stift griff und eigene Verse notierte. Die konnte er dann problemlos im Kopf behalten, der Lehrer war am anderen Tag durchaus etwas beeindruckt. „Er hat mich jedenfalls ermutigt, weiter zu schreiben“, erinnert sich der heute 55-Jährige. Und Sutter blieb dabei, dichtete weiter. Es folgten eine Kolumne in der Zeitung, etliche Bücher, später auch einige Preise. 2015 erhielt er zum Beispiel den Kulturpreis der Stadt Romanshorn. «Sein breites künstlerisches und kulturvermittelndes Schaffen ist in dieser Tiefe, Breite und Nachhaltigkeit einzigartig», lobte die Kulturkommission damals.
Jetzt gerade ist sein zwölftes Buch erschienen. Es heisst „Sammelversium“ und bündelt Sutters Schaffen der vergangenen vier Jahre etwa. Darin enthalten sind die sutter-typischen Dichtereien und Wortspiele, die mehr auf den Bauch als auf den Kopf zielen. Es sind Beobachtungen aus dem Alltag zwischen Nonsens und Nachdenklichkeit. Blättert man durch das neue Buch, dann fliegen einem die Kreuz- und Paarreime nur so um die Ohren. Es geht um das Leben, die Liebe und den ganzen Rest. Und das im fest gefügten Reimschema. Im Ton ist das mal betulich, mal moralisierend, mal pfiffig. Seine Dichtereien sind insgesamt näher bei Heinz Erhardt als bei Robert Gernhardt. Ganz bewusst, wie Sutter erklärt: „Meine eigentliche Liebe ist immer beim volkstümlichen Reim geblieben, damit gewinnt man die Herzen der Leser und Zuhörer“, sagt der 55-Jährige.
Ein Thema: Was Google und Smartphone aus uns machen
Seit mehr als 30 Jahren dichtet der Mann, den alle nur „Stöff“ nennen, jetzt schon. Bis jetzt seien 3500 Verse entstanden, erklärt er. Er tüftelt gerne daran, aus seinen Alltagsbeobachtungen Sprachspiele zu machen. „Bestimmte Worte haben eine bestimmte Magie, einen bestimmten Klang. Das will ich in meinen Versen beschreiben“, sagt Sutter. Die thematische Breite seines Schaffens habe sich mit seinem Alter fortentwickelt. Heute interessierten ihn eben andere Dinge als beispielsweise noch vor 10 Jahren. Das habe ja auch immer mit den eigenen Lebensumständen zu tun. In „Sammelversium“ befasst sich Sutter in mehreren Texten auch mit dem Einfluss der Digitalisierung auf unser Leben: Bildbearbeitung, Google, Smartphones sind Schlagworte, die in den Versen auftauchen. Dabei will er die Technologie aber nicht grundsätzlich verteufeln: „Smartphones zum Beispiel sind ja eigentlich eine geniale Erfindung, aber wenn ich sehe, wie abhängig meine Schüler von ihren Geräten teilweise sind, dann finde ich das schwierig“, so Sutter. Im eigentlichen Beruf ist der 55-Jährige Lehrer, da bekommt er direkt mit, wie die kleinen Geräte das Leben der jungen Menschen prägen.
Und so ist Christoph Sutter neben allem Witz und Spott in seinen Versen immer auch ein Mahner. Im Falle der Smartphones zum Beispiel, sich nicht zu sehr darauf zu verlassen, sondern vielleicht auch mal wieder selbst zu denken, statt sich Wissen nur zu ergoogeln. Seine Texte seien bewusst sehr geerdet und leicht verständlich. Rätselhafte Lyrik, die kein Mensch verstehe, gebe es ja auch so schon genug, findet Sutter. Deshalb vermeidet er für sich auch die Bezeichnung Lyriker, er sieht sich eher als Poet. Auf seiner Homepage firmiert er gar als „Event-Poet“. Was das bedeuten soll? „Das passt eigentlich ganz gut zu mir, weil ich ja meine Texte nicht nur in Bücher schreibe, sondern sie auch bei Events vortrage und nicht einfach nur vorlese“, so Sutter. Tatsächlich ist er viel unterwegs. Auf Betriebsfeiern, Vereinsversammlungen, privaten Feiern und eigenen Lesungen. Mal als Moderator, mal als Dichter. Je nachdem, was der Kunde wünscht.
Sutter hat auch eine Botschaft: Nicht zu verzagen
Der Romanshorner und vierfache Vater nimmt ernst, was er tut. Das sieht man schon daran, dass manche Texte ein halbes Jahr in ihm reifen, ehe er sie für gut befindet. In der Regel gehe es aber schneller, „wenn ich schreibe, dann auch recht zügig“, sagt der Dichter. Die Verse sind auch nicht das einzige künstlerische Standbein des 55-Jährigen. Er hat schon mehrere Musicals geschrieben, auch Lieder für Männerchöre oder Popsänger hat er bereits verfasst. Eines seiner Lieder hat es sogar ins Schweizer Schulsingbuch geschafft.
Christoph Sutter will aber nicht nur der lustige Poet mit den einfachen Pointen sein. Er hat eine Botschaft darüber hinaus. „Ich möchte daran erinnern, im Leben den Optimismus und die Leichtigkeit nicht zu vergessen“, erklärt Sutter. Die Ängste, die heute allgegenwärtig seien, dürfe man nicht zu gross werden lassen, sonst könne man das Leben gar nicht mehr geniessen. Beispielhaft für dieses Sendungsbewusstsein ist da vor allem das Gedicht „Anti-Terror“ aus dem neuen Buch. Das geht so:
Anti-Terror
Lassen wir uns nicht erwischen
von der Macht des ersten Steins.
Hass ist easy aufzutischen
doch das Ende des Lateins.
Lassen wir uns nicht erschrecken,
wenn es rundum schriller knallt.
Seinen Zeigefinger strecken …
ist schon fast die Faust geballt.
Lassen wir uns nicht behindern,
aufgeklärt des Wegs zu gehn.
Gräben werden wir nicht mindern,
wenn wir am Verständnis drehn.
Lasst uns nicht verallgemeinern,
denn der Stachel ist sehr spitz.
In die Tiefe zieht sie bleiern:
die polemische Notiz.
Lassen wir uns nicht verdrängen,
durch die Hetz- und Slogan-Schlacht.
Selbst in bittersten Gesängen
ist die Liebe … grösste Macht!“
Man kann das pathetisch bis kitschig finden, aber immerhin steckt eine klare Haltung dahinter. Und mit seinen eingängigen Versen erreicht Christoph Sutter auch Menschen, die sich sonst nicht für Lyrik interessieren. Für den Dichter ist klar: Wer zu viel Angst hat, verdirbt sich das Leben. Wer ängstlich sei, der schaffe Distanz zwischen sich und den anderen. Sutter hält den umgekehrten Weg für den Besseren: Nähe statt Distanz. Denn: „Wenn man sich Menschen oder Themen nähert, dann verlieren sie meist den Schrecken.“
Das Buch: Christoph Sutter. Sammelversium. Erschienen im Neptun Verlag. ISBN - 978-3-85820-320-5. Preis: 24.50 Franken
Die nächsten Auftritte von Christoph Sutter:
Donnerstag, 8. März: Lesung Buchhandlung Bodan in Kreuzlingen, 19.30 Uhr
Freitag,16. März: Musik und Poesie mit Acapellachor Fabe up im "Hör-zu-Tisch", Bischofszell, 20.oo Uhr
Samstag, 17. März: Musik und Poesie im Museum Romanshorn, 20.00 Uhr, Irische Musik, Chancons, Renaissancemusik und Poesie mit Romanshorns Museums-Spezial-Musik
Freitag, 23. März: Musik, Skizzen und Poesie im Kulturzentrum Steinacker Kradolf mit Udo Krummel. 20 Uhr
Samstag, 24. März: Unterhaltungskonzert mit dem Musikverein Wittenbach, Abendmoderation, 20 Uhr
Samstag, 28. April: Unterhaltungskonzert der Schlossbergmusikanten, 20 Uhr, Rest. Rössli, Illnau
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