von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 10.10.2017
Spielwiese der Klangkunst
Ein aussergewöhnlicher Ort und experimentelle Kunst - bei der Arbonale kommt beides zusammen. Noch bis 15. Oktober können Besucher hier auf Klangreise gehen
Als Stefan Philippi vor drei Jahren die Arbonale ins Leben rief, da hatte er vor allem ein Ziel: Er wollte der Klangkunst ein Zuhause geben. „Es gibt fantastische Arbeiten in dem Bereich, aber viel zu wenig Foren, in denen man sie zeigen kann“, sagt Philippi. Damals war es ein Experiment, heute kann man sagen, dass der Versuch geglückt ist. Derzeit läuft (noch bis 15. Oktober) die dritte Arbonale auf den Quaiwiesen der namensgebenden Stadt Arbon. Der Ort hier hat etwas Mythisches - der Bodensee öffnet seine Uferarme so breit wie an nur wenigen Stellen, der Wind zaust an den Ästen und Blättern der Bäume und selbst wenn hier viel los ist, liegt eine innere Stille über allem, die einen sehr ruhig werden lässt. Eigentlich der perfekte Ort für Kunsterfahrung.
Genau deshalb hat Philippi ihn ausgewählt. Die Arbonale 2015 fand in Innenräumen statt, jetzt wollte er wieder rausgehen zu den Menschen. „Kunst sollte nicht zu elitär sein“, findet der Festivalleiter, „deshalb bespielen wir hie diesen öffentlichen Ort, um die Leute mit Kunst in Berührung zu bringen auf eine intime, sehr persönliche Art.“ Dazu passt das Motto der diesjährigen Ausstellung: es heisst „spielenderweise“ und will dem Zusammenhang zwischen Spiel und Klang nachgehen. Wie es dazu kam? „Ein Kind hat einmal auf die Frage, was denn Klang sei, geantwortet: Klang ist das Haus, in dem die Musik wohnt. Das könnte zu der Frage führen: Wer wohnt noch in diesem Haus? Möglicherweise die Bewegung, denn kein Klang kann ohne Bewegung entstehen. Und sicher das Spiel, denn Musik wird gespielt. Das Zusammenwirken von Klang, Rhythmus, Melodie, Dynamik und Bewegung ist ein grosses, vom Mensch inszeniertes Spiel“, erklärt Stefan Philippi, der selbst auch Klangkünstler ist.
Das Ausstellungskonzept teilt die Schau in drei Einheiten auf - einen interaktiven Bereich, einen performativen Abschnitt und einen Ort der Stille. Wichtigste Grundbedingung für den Festivalchef für die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler: „Wir zeigen nur Arbeiten, die ausschliesslich durch Interaktion zum Klingen gebracht werden können, das heisst, durch den Künstler selbst, das Publikum oder Kräfte wie Wind und Wasser. Auch elektrischer Strom, wenn er interaktiv eingesetzt wird, kann Mittel zum Zweck sein. Der Klang kommt immer vom verarbeiteten Material selbst.“
Ein klingendes Schachspiel, das die Gesellschaft seziert
Ungewöhnlich bei dieser Kunstschau: Der Kurator zeigt selbst auch eine eigene Arbeit. Sie trägt den Titel „Rohrschach“ und bezieht sich einerseits auf die Arboner Nachbarstadt Rorschach, will aber auch den Parallelen zwischen Schachspiel und heutiger Gesellschaft auf den Grund gehen. Auf einem überdimensionalen Schachbrett stehen Philippi Figuren, die allesamt Klangkörper sind und aus Rohren zusammengebaut wurden. Die unterschiedliche Anzahl der Schlitze an ihren Seiten sorgt für eine Unterscheidbarkeit der entstehenden Töne. Tänzelnd bewegt sich Philippi auf seinem Spielfeld und bringt die Figuren zum Klingen. Es ist die ausgefeilteste Arbeit dieser Arbonale, keine andere hat einen ähnlich ambitionierten gedanklichen Überbau. Die Figuren stehen wie in dem entscheidenden Spiel zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski bei der Schach-WM 1972. Das Match galt in der Zeit des Kalten Kriegs auch als Kampf der Systeme. Fischer gewann am Ende den nervenzehrenden Kampf. Stefan Philippi hinterfragt in seiner Arbeit auch die Funktionen der einzelnen Schachfiguren. Der Läufer sind für ihn heute zum Beispiel Konzerne wie Apple und Microsoft.
Daneben gibt es auch andere bemerkenswerte Arbeiten wie die martialische Klangmechanik von Gamelle, die zarten Windharfen von Jutta Kelm oder das sehr reduzierte Werk „Stock über Stein“ von Bernd Bleffert bei dem man lauschen kann, wie unterschiedlich Holz klingen kann. Nicht alle gezeigten Exponate haben diese Qualität. Zudem stellt sich die Frage, ob die Setzung der Arbonale, auf elektronische Klänge weitgehend zu verzichten, im digitalen Zeitalter so klug ist. Grundsätzlich: Man hätte dem Festival-Chef das eine oder andere Mal ein besseres Händchen für die Auswahl gewünscht oder ein bisschen mehr Geld, um auch international renommierte Künstlerinnen und Künstler einladen zu können. So bleibt das künstlerische Niveau dieser Arbonale insgesamt eher im Mittelmass. Lobenswert ist aber allemal, die kunstpädagogische Leistung der Schau. Die ausgestellten Spiele Mühle, Eile mit Weile und Mikado sind in Zusammenarbeit mit der Primarschule Arbon entstanden. 250 Kinder und 40 Lehrer haben daran mitgewirkt und auch hier kann man Klang in seinen verschiedenen Sphären erleben. In den Mühle-Steinen sind beispielsweise Klangkonstrukte eingebaut, die je nach Bewegung verschieden tönen. Wer nun spielenderweise die Arboner Klangwelt entdecken will, hat noch bis zum 15. Oktober Zeit dazu.
Videobeitrag von arttv.ch zur Arbonale
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