von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 28.02.2017
So wird das nichts
Fünf Jahre lang hat die Stadt Kreuzlingen an ihrem ersten Kulturbericht gearbeitet. Jetzt liegt er vor. Das Ergebnis ist dürftig. Ein Kommentar
Jetzt liegt er also auf dem Tisch - der erste Kulturbericht der Stadt Kreuzlingen. Angesichts der langen Entstehungszeit - seit 2012 wird daran gearbeitet - muss das Projekt eher mühsam gewesen sein. Auf 32 Seiten fassen die Autoren nun die Lage der Kultur in Kreuzlingen zusammen. Der Inhalt ist unter dem Strich erwartbar. Man kann sich durchaus fragen, welche Erkenntnisse daraus fünf Jahre Reifezeit benötigten.
Tatsächlich sind die Schlussfolgerungen ja nicht falsch. Kultur kann zur Profilbildung einer Stadt beitragen. Mehr Zusammenarbeit stärkt das Angebot. Mehr Geld hilft dabei, die grosse Leistung der ehrenamtlich engagierten Kulturschaffenden endlich angemessen zu würdigen. Und ja: Das Schiesser-Areal kann ein Schlüssel-Projekt für die Zukunft der Stadt werden.
Der Bericht hat drei grosse Mängel
Der jetzt vorliegende Bericht hat aber auch gravierende Mängel. Problem Nummer 1: Er ist nicht auf dem aktuellen Stand. Das Abstimmungsergebnis über die Kreuzlinger Museen vom vergangenen November ist nicht berücksichtigt, die Zahlen über die Ausgaben der Kantone und Gemeinden für die Kultur sind überholt. Und über das Zeltfestival in Konstanz heisst es, es scheine wieder auf die Beine zu kommen. Zur Erinnerung: Das Zeltfestival ist auch in Konstanz mittlerweile tot. Seit fast fünf Monaten.
Problem Nummer 2: Es wird immer mal wieder Bezug genommen zu einer Kulturanalyse, die vor einem Jahr in Konstanz vorgestellt wurde. Die Ergebnisse dieser rund 25 000 Euro teuren Analyse waren schon für Konstanz zweifelhaft aufgrund der dünnen Datenbasis. Für Kreuzlingen (die Stadt beteiligte sich damals mit rund 5500 Franken an den Kosten) sind sie es erst recht. Ganze vier Leute aus dem Kreuzlinger Kulturleben wurden für Experten-Interviews befragt, der Rest stammte aus Recherchen der erstellenden Kommunikationsagentur. Auf diesem wackeligen Grund kann man kein nachhaltiges Kulturkonzept bauen.
Problem Nummer 3: Der Bericht behauptet, es gäbe längst so etwas wie einen gemeinsamen urbanen Kulturraum Konstanz-Kreuzlingen. Belegt wird auch das eher notdürftig mit Besucherzahlen aus verschiedenen Kreuzlinger Einrichtungen. Die Realität sieht in vielen Bereichen oft anders aus. Der gemeinsame Kulturraum funktioniert immer noch eher als Einbahnstrasse. Kreuzlingerinnen und Kreuzlinger nutzen die Angebote in Konstanz, aber nur sehr wenige, sehr interessierte Konstanzerinnen und Konstanzer gehen für Kulturveranstaltungen auch mal häufiger über ihre Seite der Grenze. Wenn man ernsthaft von den Besucherströmen aus Deutschland profitieren will, braucht es ganz erhebliche Anstrengungen.
Wie das alles gelöst werden soll, dazu macht der Bericht nur vage Andeutungen. Es drängt sich die Frage auf: Wenn schon das Verfassen eines eher allgemein gehaltenen Kulturberichts fünf Jahre benötigte, wie viel Zeit wird dann erst für ein so komplexes Projekt wie die Entwicklung des Schiesser-Areals draufgehen? Vollkommen klar ist: Bleibt das Entwicklungstempo wie es jetzt, reden wir von Jahrzehnten und nicht von Jahren bis zur Realisierung.
Warum die Entwicklung des Schiesser-Areals eine grosse Chance ist
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Die Entwicklung eines Kulturzentrums auf dem Schiesser-Areal ist der richtige Schritt. Die Pläne für ein Dreispartenhaus, in dem Kunst, Theater und Musik gleichermassen vertreten sind, tönen ambitioniert. Das Projekt ist wirklich eine grosse Chance für Kreuzlingen und auch für die Zusammenarbeit mit der grossen Schwester Konstanz. Denn auch jenseits der Grenze suchen Kulturschaffende händeringend Auftritts- und Probemöglichkeiten.
Wahr bleibt aber auch: Wer das ernsthaft will, der muss Geld in die Hand nehmen. Viel Geld. Mit der Vorstellung, man könne den Betrieb „semi-professionell" leiten, wie es im Bericht heisst, wird das Projekt scheitern. Und all die schönen Worte aus dem ersten Kulturbericht der Stadt Kreuzlingen bleiben dann, was sie sind: Schöne Worte. Keine Taten.
Weiterlesen: "Die freche kleine Schwester": Zum Bericht zur Vorstellung des Kulturberichts geht es hier
KOMMENTAR *
Jürg Schoop • vor 9 Tagen
Kultur müsste ja auch im Kleinen funktionieren, sonst ist von all den gross daher kommenden Aussagen nicht viel zu halten. Habe ich doch als einer der ältesten und angesehensten Künstler im Kanton und wohnhafter Kreuzlinger beim Office der Stadtkanzlei ein kleines Plakat für meine Ausstellung in Romanshorn hinterlegen wollen. (Diese Plakate werden auf einer Litfasssäule vor dem Einkaufszentrum Coop angebracht.)
Die Plakatiersäule war halb leer, aber die ältere Dame am Schalter wies mich darauf hin, dass nur Veranstaltungen in Kreuzlingen berücksichtigt werden. (Was übrigens auch hintergangen wurde.) Ich hoffe sehr, noch zwanzig Jahre zu leben um dann doch noch eines Tages Kreuzlinger zu werden, ich denke, einem Kurt Lauer wäre der Wunsch bestimmt nich abgeschlagen worden....
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