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Raus aus dem Netz, rein ins Leben

Raus aus dem Netz, rein ins Leben
Viel Schnee, viel Idylle, zauberhaftes Lächeln: Kein Wunder, dass der Instagram-Account von Linda Meixner so erfolgreich ist. | © Linda Meixner

Mehr als 96’000 Menschen folgen Linda Meixner auf Instagram. Der Druck wurde ihr irgendwann zu gross - und sie stieg aus. Jetzt schreibt sie an einem Offline-Manifest und gibt Tipps zum Umgang mit dem Smartphone. (Lesedauer: ca. 5 Minuten)

Die meisten Menschen kennen das: Eigentlich wollte man am Abend mal wieder ein Buch lesen. Eine Partie Scrabble spielen, miteinander reden. Aber dann liegt dieses schwarze, anschmiegsame Gerät so verlockend auf der Kommode. Es scheint zu rufen: Fass mich an. Nimm mich in die Hand. Ich bin gut zu Dir. Komm schon.

Es liegt da, wie ein Panther - jederzeit zum Sprung bereit, jedwede Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und am Ende scrollt man sich eben doch wieder stundenlang durch unwichtige und nichtssagende Posts und Texte, die man sofort wieder vergisst.

Linda Meixner ist dieses Gefühl auch sehr vertraut. Sie arbeitete sehr lange als Instagram-Influencerin mit mehr als 96’000 Followern. Wer sich ihren Account anschaut, ahnt sofort, weshalb er funktioniert: Mit viel Schnee, viel Berg-Idylle und viel zauberhaftem Lächeln hat sich die Vorarlbergerin eine eigene Marke aufgebaut und verdient damit ihren Lebensunterhalt. Und sie lebt gut davon: Heli-Skiing in Georgien und Kanada, Land-Rover-Tour im Busch von Afrika, Promi-Termine im Skiwinter - ihr Instagram-Job war nicht nur lukrativ, sondern auch glamourös. Aber irgendwann konnte Linda Meixner nicht mehr.

„Ich war nicht mehr präsent im Hier und Jetzt.“

Linda Meixner, Instagram-Influencerin (Bild: HTWG Konstanz)

„Der Druck ständig neuen Content produzieren zu müssen, immer etwas liefern zu müssen, um ja keine Follower zu verlieren, hat mich beinahe aufgefressen“, sagt Meixner heute. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt - ihr Job hat sie krank gemacht.

Dem hohen psychischen Druck folgten irgendwann körperliche Symptome: Zwei Bänderrisse kurz hintereinander, eine Lähmung der rechten Schulter, das ständige Gefühl, dass da etwas falsch läuft in ihrem Leben. „Ich war nicht mehr präsent im Hier und Jetzt, sondern ich habe nur immer nach verwertbaren Inhalten gesucht“, sagt die Marketing-Managerin.

Sie entschied sich auszusteigen. Es fügte sich, dass sie ohnehin gerade auf der Suche nach einem Thema für ihre Masterarbeit im Studiengang Kommunikationsdesign an der Konstanzer Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) war. Nach vielen Gesprächen mit ihrer Professorin Judith M. Grieshaber stand die Idee: 66 Tage offline. Sie zieht sich zurück aus dem Social-Media-Zirkus, schreibt über ihre Erfahrungen, unterzieht sich einer systemischen Therapie, arbeitet wissenschaftlich zu dem Thema und kreiert so einen eigenen Ratgeber.

Hübsche, blonde Frau in Bergidylle: Zwei Gründe, weshalb Linda Meixners Instagram-Account so erfolgreich ist. Bilder: Linda Meixner

66 Tage dauert es, bis Menschen Gewohnheiten dauerhaft ändern

Für die Zahl 66 Tage habe sie sich nur entschieden, weil es gut klinge, sondern, „weil Wissenschaftler sagen, der Mensch braucht mindestens 66 Tage, um Gewohnheiten dauerhaft zu verändern“, erklärt die 31-Jährige. Ein Komplett-Ausstieg für immer, sei nie ein Thema gewesen, sagt sie. Dafür schätze sie die positiven Seiten der Technik zu sehr. Aber Linda Meixner wollte schon wissen, ob es einen Weg gibt, gesünder mit all dem umzugehen - und stellte ihr Smartphone aus.

„Am Anfang fühlte es sich an wie ein Entzug. Ich habe mich gelangweilt, hatte Angst vor Kontaktverlust. Beim Fernsehen haben ich mich dabei ertappt, wie ich an den Fingernägeln kaue. Die Spannung, die ich sonst mit dem Gerät durch Dauer-Berieselung abgebaut habe, musste wohl auf andere Weise raus“, erzählt Linda Meixner. Ganze 35 Tage habe es gedauert, bis ihr das Smartphone egal war: „Es lag da und interessierte mich nicht mehr“, so Meixner.

„Am Anfang fühlte es sich an wie ein Entzug. Ich habe mich gelangweilt, hatte Angst vor Kontaktverlust.“

Linda Meixner, über den Beginn ihrer Offline-Zeit

In dieser Zeit hatte sie auch begonnen, wieder andere Dinge zu tun, selbst zu gestalten oder einfach nur bei sich zu sein. Sie hat meditiert, mit Fingerfarben gemalt, im Garten gearbeitet, Seifenblasen nachgeschaut, Zeit gehabt für jene Berge, die sonst nur noch Kulisse für ihre Instagram-Stories waren. „Ich habe gemerkt, wie sehr mir das alles gefehlt hat“, sagt die 31-Jährige.

Was klingt wie ein Achtsamkeits-Märchen, hat Meixners Leben verändert: Sie schlief wieder tiefer, konnte sich besser konzentrieren und war kreativer.

Trotzdem war nach den 66 Tagen offline klar, dass sie nicht komplett aus der Instagram-Welt aussteigen möchte. Dazu mag Meixner ihren Job zu sehr, dazu erleichtert die Technik zu sehr ihren Alltag. Sie habe aber einen bewussteren Umgang mit dem Smartphone für sich gefunden, erklärt Linda Meixner: „Ich verzichte tageweise komplett darauf, achte auch sonst darauf, dass ich im privaten Gebrauch nicht mehr als zwei Stunden am Handy sitze. Ausserdem habe ich Orte definiert an denen das Smartphone Tabu ist: Im Schlafzimmer und während des Essens.“

Detox-Tage, bewusster Umgang und Tabuzonen

Genau das ist es auch, was sie anderen Menschen raten würde: Geht bewusster mit der Technik um! Es geht ihr nicht um eine Verteufelung des Mediums, sondern um einen gesünderen Umgang damit. Linda Meixner rät ohnehin zu einem differenzierten Urteil. Bildschirmzeit sei ja auch nicht per se schlecht. Ein FaceTime-Gespräch mit Freunden und Familie hat für sie zum Beispiel einen anderen Wert als stundenlanges Scrollen durch einen Newsfeed ohne Ziel und ohne Ende.

Dass soziale Medien wie Instagram und Facebook genau darauf ausgerichtet sind und sich diese Neigung des Menschen zu nutze machen, weiss sie natürlich auch. Deshalb sieht sie auch nicht nur die Nutzer in der Pflicht, auch auf Entwickler-Seite müsste sich etwas verändern, ist Meixner überzeugt: „Die Netflix-Dokumentation ‚The Social Dilemma‘ hat ja die Dimension gezeigt. Die Anbieter haben da auch eine Verantwortung, finde ich“, sagt Meixner.

Ihre Idee: Nach einer bestimmten Zeit des Konsums schalten sich die Funktionen von selbst aus: „Das wäre klug und könnte uns helfen, einen gesünderen Weg zu finden“, sagt die 31-Jährige.

So sieht es aus: Das Offline-Manifest von Linda Meixner. Bild: HTWG Konstanz

Ihr „Offline-Manifest“ soll auch anderen Digital-Junkies helfen

Linda Meixner hat diesen Weg für sich schon gefunden. Mehr im Hier und Jetzt leben. Sich nicht von den technischen Möglichkeiten treiben lassen. Klare Grenzen setzen.

Ihre Erfahrungen will Meixner teilen. Erkenntnisse aus ihrer Masterarbeit sollen in ein Buch münden, das Erfahrungsbericht, Handbuch und Ratgeber sein soll. Illustriert hat es die Kommunikationsdesignerin selbst, bei der Abschluss-Ausstellung ihres Studiums an der Konstanzer HTWG war ein Prototyp bereits zu sehen.

Der Titel ist so mächtig wie klar: „Das Offline-Manifest“. Ob man das bald im Buchhandel bestellen kann? An dieser Stelle zögert Linda Meixner das erste Mal während des gesamten Gesprächs. „Ich kann es noch nicht sagen, aber ich hoffe es sehr.“ Und dann hört man am anderen Ende der Leitung ein sehr breites Lächeln.

Video: Trailer zu «The Social Dilemma»

 

 

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