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von Brigitta Hochuli, 14.05.2016

Philosophie: Medizin für die Seele

Philosophie: Medizin für die Seele
Betreiben in Kreuzlingen einen Café-Treff Philosphie: Damian Brot, Renata Egli-Gerber und Urs Egli (v.l.) | © Nicole D‘Orazio, Thurgauer Zeitung

Der erste Café-Treff Philosphie der Evangelischen Kirchgemeinde Kreuzlingen schlug im vergangenen März sofort ein. Rund 50 Personen wollten von Renata Egli-Gerber und ihrem Mann Urs Egli mehr wissen zum Thema „Emotionen - ein emotionales Thema im Wandel der Zeit". Sie ist Philologin und Autorin, er ist emeritierter Professor für allgemeine Lingusitik, Universität Konstanz, und Spezialist auch für antike Philosophie. Die Idee zur gemeinsamen Gründung des Philosophentreffs in der Reihe "Open Place" hatte der Gemeindepfarrer Damian Brot. Wir haben Renata Egli-Gerber zu dieser aussergewöhnlichen Veranstaltung befragt.

Brigitta Hochuli

Frau Egli-Gerber, kritische Philosophen hinterfragen alles. Verträgt sich diese Haltung mit den Verpflichtungen der Kirche?

Ja. Für Gemeindepfarrer Damian Brot sollen unter dem Kirchendach gerade auch kritisch fragende Menschen Platz finden. Fragen sind eine wichtige Grundlage der Philosophie, oft wichtiger als Antworten. Ich denke da an die vier zentralen Fragen des Philosophen Immanuel Kant: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Ausserdem gibt es viele Berührungspunkte zwischen Religion und Philosophie.

Der erste Treff war unerwartet gut besucht. Hatte das Publikum philosophisches Wissen oder eher Hemmungen?

Das Publikum war in dieser Hinsicht sehr gemischt. Wir wollten bewusst auch Menschen ohne philosophische Vorbildung ansprechen. Denn philosophieren ist ein menschliches Grundbedürfnis. Kinder stellen oft schon im Vorschulalter hochphilosophische Fragen. Wenn Menschen Hemmungen äussern wegen ihrer vermeintlich fehlenden Bildung, sage ich ihnen immer, dass Sokrates ein Steinmetz war und kein „Studierter“. Es ergaben sich aber gute und interessante Gespräche in lockeren, informell gegründeten Gruppen.

Und wie wurde in den Gesprächen auf das Thema „Emotionen“ reagiert?

Die meisten Teilnehmenden hatten die Lebensmitte überschritten, so wie wir, die Veranstaltenden. Die Älteren unter ihnen sind in einer Zeit aufgewachsen, in der ein starker Gegensatz zwischen Emotionen und Vernunft konstruiert wurde. Man begegnete da den „unvernünftigen“ Gefühlen noch mit viel Skepsis. Genau da wollten wir ansetzen.

Wie manifestiert sich eigentlich der moderne Begriff Emotion in der Philosophiegeschichte?

Der Begriff Emotion wurde erst im 19. Jahrhundert vom im 16. Jahrhundert gebildeten französischen Wort émotion ins Deutsche übernommen. Er ersetzte ältere Begriffe wie Affekt, Passion und Gefühl. Nach fast zweitausend Jahren Unterbrechung wurden die Emotionen wieder Gegenstand philosophischer Betrachtung. In der griechischen Antike hatte die Philosophenschule der Stoiker eine differenzierte Emotionenlehre entwickelt. Diese Lehre geriet nach dem Sieg des Christentums in Vergessenheit. Für viele ist nur noch die „stoische Ruhe“ übrig geblieben.

Ihre nächsten Themen sind "Neid und Eifersucht" und "Wut und Zorn". Es geht also erneut um menschliche Triebe.

Lieber als von Trieb spreche ich auch in diesem Zusammenhang von Emotionen. Das Wort geht ja auch zurück auf das lateinischen Verb emovere „emporwühlen“, „herausbewegen“. Bestimmte Situationen wühlen in uns Neid und Zorn empor. Hingegen sind Triebe immer da und streben nach Befriedigung.

Dann kann die Philosophie also helfen, Emotionen wie Neid und Wut in Schach zu halten? Oder ist sie diesem Zweck mindestens nützlich?

Es ist ein grosses Thema schon bei den alten Griechen, wie man gerade mit Hilfe der Philosophie diese schwierigen, oft destruktiven Gefühle in lebensbejahende Kräfte umwandeln kann. Philosophie galt in der Antike als „Medizin für die Seele“ und „Heilmittel für den Geist“.

Wo treffen sich, wenn überhaupt, Philosophie und Psychologie?

Das griechische Wort für Gefühl, pathos, heisst auch Leiden. Diesem stand der logos, die „Vernunft“ gegenüber. Logos heisst aber auch Wort. Die Frage war schon damals, wie ein alogon pathos, ein unsagbares Leiden, in ein eulogon pathos, in ein gut sagbares Gefühl umgewandelt werden kann. Die Psychologie hat Ende des 19. Jahrhunderts dieses alte Wissen wieder fruchtbar gemacht. Sigmund Freud legte diese Erkenntnis der von ihm formulierten Psychoanalyse zu Grunde.

*****

Die nächsten Café-Treffs Philosophie in der Veranstaltungsreihe "Open Place" der Evangelischen Kirchgemeinde jeweils um 20 Uhr im Haus Bleiche an der Bleichestrasse 9 in Kreuzlingen:
- Freitag, 20. Mai: „Neid und Eifersucht. Was machen sie mit uns?“
- Freitag, 8. Juli: „Wut und Zorn: Kann Zorn heilig sein?“

Anmeldung: Pfr. Damian Brot, 071 672 42 04; E-Mail: damian.brot@evang-kreuzlingen.ch

 

 

www.evang-kreuzlingen.ch

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