von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 03.07.2025
Neue Räume, neue Perspektiven

Nach der Gesamterneuerung will das Fotomuseum Winterthur noch mehr ein Ort für Vermittlung und Begegnung werden. Die neue Ausstellung erzählt von der Verführungskunst der Fotografie im Zeitalter des Internet. (Lesedauer: ca. 4 Minuten)
Alte Gebäude haben oft einen besonderen Charme, aber leider auch das Problem, dass sie irgendwann baufällig werden und dann saniert werden müssen. Nichts hält schliesslich für die Ewigkeit. Das musste in den vergangenen Jahren auch das Fotomuseum Winterthur spüren. Der Stammsitz des renommierten Ausstellungshauses wies diverse Mängel auf - insbesondere in den Bereichen Klima, Sicherheit und Brandschutz. Eine umfassende Sanierung des Gebäudes, das 1877 als Webereifabrik gebaut wurde, wurde unumgänglich.
Zwei Jahre musste das Haus komplett geschlossen werden, seit Mitte Mai ist das Fotomuseum wieder geöffnet und zeigt sich offener als jemals zuvor (eine Dokumentation des Umbaus gibt es hier). Vor allem der Eingangsbereich ist wesentlich zugänglicher, auch innen wurde viel optimiert und den aktuellen Bedürfnissen eines Museumsbetriebs angepasst. 16,5 Millionen Franken hat der Umbau gekostet, hauptsächlich getragen von der Stadt Winterthur (3 Millionen Franken) und dem Kanton Zürich (6,5 Millionen Franken).
Nebst der öffentlichen Hand unterstützten zahlreiche private Partner wie Stiftungen und Sponsoren das Projekt. „Für das Museum war dieser Umbau eine grosse Chance. Wir konnten uns selbst hinterfragen und nochmal konzentriert überlegen, mit welchem Programm wir die Zukunft des Hauses gestalten wollen“, sagt Museumsdirektorin Nadine Wietlisbach im Gespräch mit thurgaukultur.ch ein paar Tage vor der Wiedereröffnung im Mai.
Welchen Wert hat die Fotografie noch in einer durchfotografierten Welt?
Wichtig ist ihr, dass das Fotomuseum ein Ort bleibt, der sich mit der Kunstform Fotografie auf ganz verschiedenen Ebenen auseinandersetzt und das Medium dazu nutzt, um Begegnungen zu ermöglichen und Diskurs zu schaffen über relevante Themen unserer Zeit. „Unser Alltag ist geprägt von digitalen Bildern und vernetzten Technologien. Dazu gehören auch algorithmische und mithifel künstlicher Intelligenz erstellte Fotografien. Das Medium der Fotografie hat sich innen letzten Jahrzehnten mit unglaublicher Geschwindigkeit verändert. Wir begleiten und diskutieren diesen Wandel und dessen Auswirkungen gleichermassen befragend und mit Begeisterung“, sagt Wietlisbach.
Seit 2018 ist die 43-Jährige Direktorin des Fotomuseums. Den Prozess des Umbaus hat sie fast von Anfang an begleitet. In den Jahren 2017 und 2018 wurden die Räumlichkeiten seitens der Stadt umfassend untersucht. Danach war klar, dass es Investitionen brauchen würde, wollte man den Status des Fotomuseums als einem Leuchtturm und einem der wichtigsten Ausstellungsorte für zeitgenössische Fotografie in der Schweiz nicht verspielen. „Die Finanzierung war anspruchsvoll, aber so ist das bei solchen Projekten. Letztlich haben Stadt und Kanton die Notwendigkeit gesehen. Der von uns vorgeschlagene Weg hat offenbar überzeugt“, freut sich Nadine Wietlisbach, dass ihre Argumente in der Politik verfangen haben.

Die programmatische Öffnung zeigt sich auch in der Architektur
Wer das Haus nun zum ersten Mal seit der Schliessung wieder besucht, dem fällt vor allem die neue Eingangssituation auf. Alles wirkt viel aufgeräumter, grosszügiger, schlicht offener durch breitere Zugänge. Das Foyer ist hell uns geräumig und selbst im noch nicht ganz fertigen Zustand zehn Tage vor der Wiedereröffnung sieht man, was für ein Gewinn dieser Umbau für das Haus ist.
Der inhaltliche Ansatz der weiteren Öffnung des Hauses findet jedenfalls auch in der neuen Architektur seine Entsprechung. „Unser primäres Ziel war es , den Charakter dieses spezifischen Ortes zu erhalten und die bestehenden Qualitäten mit dem Um- und Erweiterungsbau noch stärker hervorzuheben“, wird der Architekt Peter Wehrli (vom Büro RWPA) in einer Medienmitteilung des Museums zitiert.
Mehr Flexibilität durch die neuen Räume
Zentrale Anforderung beim Bauprojekt war es, mehr Räume zu schaffen für die Vermittlungsangebote. Seit Jahren sei das ein Schwerpunkt im Fotomuseum, sagt Wietlisbach, aber erst jetzt mit den neuen Räumen sei man in der Lage die grosse Nachfrage auch angemessen zu bedienen.
Vorteil der neuen Räume: Sie sind flexibel einsetzbar und können beispielsweise schnell aufgeteilt oder vergrössert und den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen angepasst werden. Zudem befinden sich die neuen Räume im Erdgeschoss des Hauses und sind dadurch zugänglicher und barrierefrei erreichbar.

Worum es in der ersten Ausstellung geht
Aber nicht nur die Vermittlung, sondern auch die Ausstellungen sollen vom Umbau profitieren. Neu können zwei Ausstellungen gleichzeitig gezeigt werden. „Das hilft uns auch dabei die Sammlung unseres Museums besser und regelmässiger präsentieren zu können“, sagt Nadine Wietlisbach. Programmatisch will sich das Haus treu bleiben. Neben aktuellen Tendenzen in der Fotografie sollen auch weiterhin gesellschaftliche Fragen verhandelt werden.
Interessant an dem Bau ist auch der Fokus auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz. Die Struktur des Erweiterungsbaus besteht aus einem Holzsystembau aus regionalem Fichtenholz und steht auf einem Sockel aus Recycling-Beton. Für die Fassade wurden rund 350 Quadratmeter wiederverwendete Trapezbleche aus Cortenstahl von einem Winterthurer Schulhaus eingesetzt.
Inhaltlich eröffnet das Fotomuseum mit der Ausstellung „The Lure of the Image - Wie Bilder im Netz verlocken“. Insgesamt 14 künstlerische Positionen setzen sich mit visuellen Phänomenen des Internet auseinander: Social Media, Dating Apps, Schönheitsfilter, KI-Bilder und Verschwörungstheorien stehen dabei im Fokus.
Niedlichkeit als Waffe
Eine der eindrücklichsten Arbeiten stammt von Noura Tafeche. In einer rosafarbenen Plüschwelt, in einem eigens dafür eingerichteten Raum, zeigt sie, wie eine Ästhetik der Niedlichkeit als Waffe eingesetzt wird, um militärische Propaganda und Gewalt zu verbreiten. „Dabei macht sie sichtbar, wie virale Inhalte - etwa Memes oder Online-Tanz-Challenges - Frauenfeindlichkeit, Überlegenheitsdiskurse und Rassismus befördern können“, erklärt Museumsdirektorin Nadine Wietlisbach bei einem Rundgang durch die Ausstellung.
Tafeches Arbeit zeigt beispielhaft, was das Fotomuseum Winterthur sein will. „Wir passen unsere Vision immer wieder an“, sagt Nadine Wietlisbach, „aber grundsätzlich wollen wir ein Ort sein, der immer wieder überrascht und sich nicht davor scheut, komplizierte Fragen der Fotografie und der Gesellschaft zu stellen.“ Diese Mission ist mit der ersten Ausstellung nach der Wiedereröffnung jedenfalls überzeugend erfüllt.


Das Fotomuseum Winterthur
Das Fotomuseum Winterthur widmet sich seit der Gründung 1993 der zeitgenössischen Fotografie und visuellen Kultur. Die Institution präsentiert jährlich drei bis fünf Ausstellungen, welche die Fotografie aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Es werden Arbeiten junger wie auch etablierter internationaler Fotograf:innen und Kunstschaffender gezeigt.
Begleitet werden die Ausstellungen von einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm sowie variierenden Workshops. Auch auf seinen digitalen Plattformen setzt sich das Museum mit dem Fotografischen auseinander; im Rahmen von Online-Events und diversen multimedialen Beiträgen. Die Sammlung des Museums umfasst rund 9’000 Werke aus den 1960er-Jahren bis heute.

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