von Barbara Camenzind, 28.02.2022
Nächster Halt: Musik!
Die junge Formation Camerata Aperta lud am Wochenende zu einer Reise im Orient Express ein und überraschte mit einem klugen Konzept und achtsamen, frischen Klängen. (Lesedauer: ca. 2 Minuten)
Musiker:innen sind in der Welt, nicht von dieser Welt. Ungefähr so stellte dies der Cellist und Initiator Johannes Herzog vor Beginn des Konzertes dar. Seine Camerata Aperta wurde kurz vor Pandemiebeginn gegründet und dann massnahmentechnisch erst mal aufs Wartegleis gefahren. Auch die kriegerische, politische Gegenwart sei etwas, was im musikalischen Schaffen nicht einfach ausgeblendet werden dürfe. Sicher dann, wenn ein Programm so weit in den Osten führt, wie dieses.
Musik kann helfen, sich den Fährnissen des Weltgeschehens zu stellen. Indem sie die Zuhörenden für eine Zeit mit auf die Reise nimmt. Das schien wohl der Grundgedanke dieses Abends gewesen zu sein. Mit Agatha Christies „Hercule Poirot“ (Mord im Orient Express) begann die Reise in Paris.
Von Agatha Christie zu Debussy
Monsieur Croche, pardon, Claude Debussy, der (Anti-)Held aller Konzertkritiker:innen, hätte grosse Freude gehabt an der feinen Interpretation seiner beiden Tänze für Harfe und Streichquintett. Harfenistin Marika Riedl zauberte zarte, impressionistische Arpeggi in den barocken Rathaussaal. Debussy malt in Pastelltönen, wenn man ihn atmen lässt. Dass dieses Kammerorchester ohne Dirigenten auskommt, ist für solche Musik ein grosses Plus.
Nächster Halt: Wien. Was für ein schickes Kleinformat-Arrangement von Johann Strauss‘ grossem Walzer „An der schönen blauen Donau“. Sein wunderbares, aber sehr gefährliches Einspiel hat die Camerata Aperta Gänsehaut erzeugend gut hinbekommen.
Dazwischen klang der Walzer etwas sehr rustikal, wie an die Wiener Schrammelmusik erinnernd. Das durfte sein, da kommt die Musik ja her. Aber hey, wir haben auf der Eins im Walzer auf die Harfe gewartet, die nicht mitspielte!
Treffsichere Kombination von Texten und Musik
Zum Glück hatten wir mit Marika Riedl noch einmal das Vergnügen, in Gustav Mahlers Adagietto aus der 5. Sinfonie. Dieser sphärisch klingenden Abgründe aus der Zeit der Wiener Secession. Die Camera Aperta wurde dem berühmten Grenzgänger mit jüdischen Wurzeln allemal gerecht.
Treffend ausgesucht auch die von der Weinfelder Geigerin und Buchhändlerin Katharina Alder vorgetragenen Texte. Nach Agatha Christie folgten Geschichten über die Rettung jüdischer Flüchtlinge via Orient Express, zur Zeiten des Dritten Reichs.
In frecher Bartók-Tradition
Der in Rumänien geborene Ungar-Schweizer Sàndor Veress lieferte mit zwei seiner „Vier Transsilvanischen Tänze“ das richtige 7/8-Takt-Feeling in frecher Béla-Bartók-Tradition. Ja, die Geigen haben gut gesungen.
Der rumänische Komponist Ciprian Porumbescu, 1853 in der Bukowina (heute Schepit in der Ukraine) geboren, bot mit seiner Balada für Violine und Orchester der Geigerin Susanne Saksenvik einen Auftritt mit Czardas-Qualitäten. Für solche Musik braucht es eine leichte Hand, einen schnellen Bogen und viel Gefühl. Schockierend passend und gegenwärtig blieb einem dazu ein Satz aus Katharina Alders Erzählungen hängen: „Wie lustig ist der Krieg, wenn er dir ein Vermögen bringt“.
Eine Bereicherung für das Thurgauer Kulturleben
Die etwas akademisch klingenden „Armenischen Miniaturen“ - das lag aber am Komponisten Sergei Aslamazian der in seinem Schaffen eher wenig Lokalkolorit zuliess - bildeten den Schluss der musikalischen Reise mit dem Orient Express. Die junge Camerata Aperta ist eine echte Bereicherung im Thurgauer Musikuniversum. Nicht nur musikalisch, sondern auch konzeptuell. Weiter so.
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