von Michael Lünstroth・Redaktionsleiter, 17.06.2020
Museumsreif

Der Corona-Grenzzaun zwischen Kreuzlingen und Konstanz wird jetzt zum Ausstellungsstück: Das Stuttgarter Haus der Geschichte nimmt den Zaun in seine Sammlung auf. Das liegt auch an einer Guerilla-Kunstaktion.
Über viele Wochen in der Corona-Krise war er ein Ärgernis, jetzt wird er ein Zeuge der Zeitgeschichte: Ein Teil des während der Corona-Pandemie neu errichteten Grenzzauns zwischen Kreuzlingen und Konstanz kommt in die Sammlung des baden-württembergischen Hauses der Geschichte in Stuttgart. Das hat das Museum gegenüber thurgaukultur.ch bestätigt.
Der Konstanzer Landrat Zeno Danner hatte nach Berichten des SWR am Dienstag gemeinsam mit dem Konstanzer Kreisarchivar Friedemann Scheck Teile des Zauns an Paula Lutum-Lenger, Direktorin des Ausstellungshauses, übergeben. Nicht irgendwelche Teile, sondern exakt jene, die mit dem Schriftzug „Kreuztanz“ versehen waren. In einer Guerilla-Kunstaktion hatten einige Konstanzer diesen aus Absperrband erstellten Namen am Zaun angebracht.
Von einer Lausbubenaktion zum Ausstellungsstück
„Ich hätte nicht gedacht, dass aus einer schelmischen Lausbubenaktion mal ein Ausstellungsstück im Haus der Geschichte wird“, schrieb Stephan Kühnle, einer der Iniatoren des Projektes, auf seiner Facebook-Seite. An den Zäunen fanden sich damals viele herzzerreissende Botschaften, Liebesbekundungen und sehr oft der Satz: „Wir gehören zusammen!“ Trotzdem war die Kreuztanz-Aktion wohl die schönste Kunstaktion, die dort entstand. Ausgerechnet dort, wo seit 13 Jahren eigentlich gar kein Grenzzaun mehr steht: An der Kunstgrenze von Johannes Dörflinger, direkt am Ufer des Bodensees.
Im Stuttgarter Haus zur Geschichte geht der Zaun nun zunächst ins Depot. In welchem Rahmen das Stück Zeitgeschichte dort mal zu sehen sein wird, ist noch offen. „Wir überlegen gerade noch, was die beste Verwendung wäre“, sagte Joachim Rüeck, Pressesprecher des Museums gegenüber thurgaukultur.ch.
Die Aktion „Kreuztanz“ als Zeichen von Liebe
Demnach wäre denkbar, den Zaun in eine überarbeitete Dauerausstellung einzubauen oder aber ihn in eine geplante Sonder-Ausstellung zu den Themen Gier, Hass und Liebe zu integrieren. „Natürlich unter dem Stichwort ‚Liebe‘“, wie Rüeck erklärte. Die Ausstellung ist als Trilogie geplant und wird derzeit vorbereitet. Die erste Ausstellung widmet sich der Gier und soll ab 6. Dezember 2020 in Stuttgart zu sehen sein. Hass und Liebe sollen dann folgen. Termine dafür gibt es bislang noch nicht.
Dass der Zaun überhaupt in den Rang der Museumsreife gelangt, liegt auch an der Bedeutung, die die Historiker des Hauses der Geschichte ihm zuweisen. Es sei ein Stück aussergewöhnlicher regionaler Zeitgeschichte, dass dokumentiere, wie zwei Städte, die miteinander verwachsen sind, wieder getrennt wurden. Um die Erinnerung daran zu wahren, nehme das Haus der Geschichte Baden-Württemberg jetzt ein Stück dieses Zaun in seine Sammlung auf.

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