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Mr. Phönix fliegt davon

Mr. Phönix fliegt davon
Philippe Wacker will nach vierzig Jahren das Phönix in neue Hände übergeben | © Inka Grabowsky

Erst Gründungspräsident, dann Theaterleiter: Philippe Wacker war 41 Jahre Herz und Seele des Phönixtheater Steckborn. Jetzt tritt er ab. Eine Würdigung. (Lesedauer: ca. 6 Minuten)

Nur mal angenommen, wir sässen jetzt alle zusammen in einer Zeitmaschine und reisten zurück in das Jahr 1981 - wie fühlte sich das an? Zur Erinnerung: 1981 wird Ronald Reagan US-Präsident, in Polen wird das Kriegsrecht verhängt und in der Schweiz stürmen Al Bano und Romina Power mit ihrem Hit „Sharazan“ die Hitparade. Und was, wenn wir jetzt nicht nur in die Vergangenheit reisten, sondern in das Jahr 1981 nach Steckborn?

Wie war das Leben am Bodensee vor 41 Jahren? Mindestens 90 Prozent der Leser:innen dürften jetzt Adjektive wie eng, bieder und verschlafen im Kopf haben. Stimmt, oder? Aber trifft diese Zuschreibung auch wirklich zu? Oder sind es nur unsere eigenen Klischees über die wir da stolpern?

Philippe Wacker muss fast ein bisschen lachen, wenn man ihm von diesem kleinen Gedankenexperiment erzählt. „Nein, eigentlich war es ganz anders. Ich erinnere das Steckborn des Jahres 1981 als lebendiges Städtchen mit einem regen Vereinsleben“, sagt der 68-Jährige.

Mitte September beginnt seine letzte Saison

Nun ist Wacker nicht irgendwer in Steckborn. Er hat die Geschichte des Ortes auf seine Weise mitgeprägt. 1981 gründete er mit weiteren Mitstreiter:innen das Phönixtheater in Steckborn. Er war erst Gründungspräsident, inzwischen ist er seit mehr als 20 Jahren Theaterleiter des kleinen Betriebes.

Vieles hat sich in dieser Zeit geändert. Manches auch nicht. Die Haare trägt der Mann, der im Hauptberuf Lehrer war, heute noch genauso lang wie damals bei der Gründung. Sie sind jetzt halt ein bisschen weniger schwarz.

Nun ändert sich bald wieder etwas: Nach 41 Jahren in führenden Rollen tritt Philippe Wacker Ende des Jahres ab. Mitte September beginnt die letzte Saison, die er noch geplant hat. Es ist ein grosses Wort, aber ja, da endet eine Ära. „Steckborn“, so sagt es Wacker an einem warmen Sommertag am Seeufer, „war vielleicht der bestmögliche kleine Ort, um ein solches Theater zu gründen.“

 

Theater mit Seeanschluss. Hier spielt das Phönixtheater seit 1990. Bild: Michael Lünstroth

Eine Geschichte über Kultur auf dem Land

Deshalb ist das hier zwar eine Geschichte über den Theatermenschen Philippe Wacker. Aber nicht nur. Es ist auch eine Geschichte darüber, wie Klischees einem manchmal den Blick verstellen können, wie Kultur auf dem Land gelingen kann und wie man trotz der unvermeidlichen Krisen nicht den Mut verliert.

Denn natürlich war auch im Phönixtheater nicht immer alles rosarot. „Wir standen schon vor der Auflösung“, erinnert sich Philippe Wacker an eine von mehreren Krisen in der Geschichte des Phönixtheaters. Damals, 1990, ging es um einen neuen Standort für das Theater. Schon Jahre zuvor hatte der Verein der Gemeinde klar signalisiert, dass er gerne ins leerstehende Pumpenhaus am Ufer des Bodensee umziehen würde.

Wie das Phönixtheater mal fast scheiterte

Die Politik vertröstete lange und blockte am Ende doch ab. „Dann haben wir als letzten Versuch Unterschriften gesammelt. Die Gemeindeversammlung musste sich daraufhin mit unserer Bitte um das Pumpenhaus befassen, und sie hat unserem Antrag schliesslich grossmehrheitlich zugestimmt“, blickt Wacker zurück. Der Umzug war perfekt. Im Sommer 1990 eröffnete die neue Spielstätte am Bodenseeufer.

Kultur auf dem Land ist eben manchmal auch ein Kampf. Gegen Widerstände und Vorurteile.

Dabei klang vor 41 Jahren die Idee hinter dem Phönixtheater erstmal einfach: „Wir wollten die Aufbruchstimmung, die damals in der Kulturszene überall greifbar war, auch nach Steckborn bringen“, erinnert sich Philippe Wacker. Mit zeitgenössischem Theater. Selbst inszeniert, selbst gespielt, manchmal auch selbst geschrieben.

 

Sie brachten Theater nach Steckborn: Mitglieder des Phönix-Ensembles 1983. Bild: Archiv

Wie es zu dem Namen „Phönix“ kam

Und das alles in einem kleinen Bodensee-Dorf mit damals rund 3000 Einwohner:innen. „Es war recht gewagt, so ein Konzept in die Provinz zu bringen, aber wir hatten alle grosse Lust darauf und wollten etwas Neues wagen“, sagt Philippe Wacker.

Im Dezember 1981 ging es los. Unter dem Namen „phönix theater - 81“ starteten die Gründer:innen. Der Name damals sei bewusst gewählt: „Der Verein ist aus der Asche des ersten Versuches von Yvonne Escher von Jost Gross entstanden. Ohne deren Initiative wären wir nie auf die Idee gekommen. Deshalb sollte sich das auch in unserem Namen wiederspiegeln“, erklärt Wacker.

Video: Jean Grädel inszeniert Roland Schimmelpfennig im Phönixtheater (2009)

Erst im Keller, dann im öffentlichen Raum

In der ersten Saison fanden die Gastspiele und die Proben zur ersten eigenen Theaterproduktion im Saal des Restaurants Kehlhof oder im Keller des reformierten Kirchgemeindehauses statt. Später baute sich der Verein ein eigenes kleines Kellertheater im Restaurant Kehlhof, ab August 1982 wurde dort gespielt.

Ein bis zweimal im Jahr hat der Verein Eigenproduktionen gespielt. Ambitioniert, ehrgeizig, geprägt von der Lust grosse Kultur auch aufs Land zu bringen. „Wir haben fast immer im Kollektiv Regie geführt“, erinnert sich Philippe Wacker. „Das war nicht immer einfach, aber die Resultate konnten sich sehen lassen“, findet der scheidende Theaterleiter. Mit einem Jandl-Stück seien sie sogar mal beim Theaterspektakel Zürich eingeladen gewesen.

Parallel zu den Eigenproduktionen kamen aber auch zunehmend Gastspiele hinzu, 1982 führten die Initiator:innen eine Tanzreihe ein, ein Jahr später folgte das „Kehlhoffäscht“ - ein Freiluftkulturspektakel, das über die Grenzen Steckborns bekannt wurde, weil es damals schon machte, was erfolgreiche Kulturfestivals auch heute tun: Kultur so zu inszenieren, dass Besucher:innen auf verschiedenen Ebenen einen Zugang finden können.

 

Doris Vuilleumier gastierte mehrfach in Steckborn. Das Bild entstand bei ihrem Auftritt 1987. Bild: Phönixtheater
Das Duo Jaccard/Schelling gastierte 1987 beim Kehlhoffäscht in Steckbon. Bilder: Phönixtheater

Tanz wurde zum wichtigen Standbein

Das Festival „Tanz am See“ etablierte sich, die Tanz-Sparte wurde ein immer wichtigeres Standbein für das Phönixtheater. Noch so eine gewagte Entscheidung. Ausgerechnet in Steckborn auf zeitgenössischen Tanz zu setzen. „Da bekommt man nicht nur Applaus, manche Besucher:innen haben sich von den Aufführungen provoziert gefühlt. Aber das muss man aushalten können“, findet Wacker. Das gelte für das Publikum ebenso wie für das Theater, das mit der Kritik aus dem Publikum umgehen muss.

Wobei das mit dem Aushalten für Wacker auch Grenzen hatte. 2016 strich er das Festival „Tanzplan Ost“ aus dem Programm des Phönixtheaters. Zu umfangreich, zu urban sei es gewesen, sagte Wacker damals gegenüber thurgaukultur.ch So etwas sei im Thurgau eben manchmal schwierig, erklärte der Theaterleiter.

 

Manches war dem Theaterleiter Philippe Wacker auch zu experimentell. 2016 strich er kurzerhand das Festival Tanzplan Ost aus dem Programm. Bild: arttv.ch

Zu urban? Der Eklat mit Tanzplan Ost

Ob er es wollte oder nicht, aber damit bestätigte Wacker natürlich erstmal alte Klischees vom Thurgau als kulturellem Holzboden, in dem ausser Bauerntheater nichts gedeihen könne.

Aber im Zweifel waren dem Steckborner Theaterleiter die Wünsche seines Publikums vor Ort da wichtiger als die Bedenken des Feuilletons. Bringt ja niemandem etwas, Aufführungen zu programmieren, die dann doch niemand sehen will.

Philippe Wacker war da immer eher Pragmatiker als Ideologe. Vielleicht ist dieser Balanceakt zwischen eigenen Ambitionen und dem Interesse des Publikums in den vergangenen Jahren in Steckborn auch deshalb ganz gut gelungen.

„Genauso wie wir wussten, dass wir anspruchsvolle Kultur auf die Bühne bringen wollen, wussten wir auch, dass wir Angebote für ein breites Publikum schaffen müssen, um überleben zu können. Man kann nicht nur sein eigenes Süppli kochen“, sagt Wacker. Ab 2018 kam aber auch der Tantplan Ost wieder nach Steckborn. 2016 sollte die einzige Ausgabe bleiben, die nicht ins Programm passte.

Mehr Pragmatiker als Ideologe

Und es ist ja nicht so, dass Wacker aus dem Phönixtheater eine Comedybude gemacht hätte. Zeitgenössischer Tanz hatte auch nach dem Eklat mit dem Tanzplan Ost einen festen Platz in Steckborn.

Über das Festival „tanz:now“, das bis zu seinem Ende 2021 im Phönixtheater seine Heimat hatte und weitere Aufführungen im Saisonprogramm. Wenn im Thurgau etwas in Sachen Tanz lief, dann war das Phönixtheater meistens involviert.

Eine angemessene Wertschätzung dafür hat Philippe Wacker lange vermisst. „Ich hatte manchmal das Gefühl, dass nicht allen im Kanton immer klar war, was das eigentlich heisst, ein Theater in der Provinz zu leiten“, sagt der scheidende Theaterleiter. Einerseits. Andererseits: Manchmal hat Wacker vielleicht auch nicht klar genug kommuniziert, was es bedeutet. Jede Geschichte hat ja mindestens zwei Seiten.

 

Auch schon wieder acht Jahre her: Präsidentin Cornelia Komposch und Theaterleiter Philippe Wacker beim Aperitif zum 30. Geburtstag des Phönix Theaters 81 Steckborn.

Wertschätzung? Hat er lange vermisst

Für Wacker ist das alles Schnee von gestern. Er will keinen Blick zurück im Zorn werfen: „Bei allem Ärger und bei allen Krisen - am Ende überwiegt die Freude. Es gab so viele wunderbare Vorstellungen im Phönixtheater, so tolle Begegnungen mit den Künstlerinnen und Künstlern und diese besondere Gemeinschaft im Haus, dass wir all das gemeinsam erreicht haben, das war schon ein besonderer Spirit“, sagt er.

Finanziell war das Phönixtheater vergleichsweise solide aufgestellt. Spätestens seit der Leistungsvereinbarung mit dem Kanton gab es keine grundsätzlichen finanziellen Existenzsorgen mehr.

55’000 Franken bekommt das Haus derzeit jährlich vom Kanton, dazu gab es in den vergangenen Jahren oft weitere Mittel vom Kanton und der Kulturstiftung für Tanzveranstaltungen. Die Stadt Steckborn unterstützt mit 29'000 Franken jährlich und bis zu 6000 Franken für projektbezogene Beiträge. Davon träumen andere Initiativen nur. Aber Geld allein macht auch kein Programm. Es braucht schon noch jemanden, der sich darum kümmert.

Klar war das sein Job. Aber eigentlich war es immer mehr als das

Klar, jetzt kann man sagen: War ja Wackers Job als Theaterleiter im bezahlten Teilzeitpensum (40%). Andererseits: Wenn jemand über 41 Jahre massgeblich dazu beiträgt, dass Kultur auf dem Land stattfindet, dann verdient das vielleicht erstmal einfach nur Respekt. Unabhängig davon, ob einzelne Veranstaltungen nun gelungen waren oder nicht.

Die wesentliche Frage ist eher: Wie steht das Haus jetzt da? Corona hat natürlich auch hier Spuren hinterlassen, das Publikum kommt nur langsam zurück. Wenn nicht gerade Pandemie ist, finden bis zu 35 Veranstaltungen im Haus am Seeufer statt, die Auslastungszahlen schwanken.

Programmatisch war Wacker immer offen, zuletzt hat er unter anderem ein Tanzprojekt für Jugendliche lanciert und der jungen Theaterautorin Leonie Moser eine Bühne geboten, die sie für einen Spoken-Word-Abend nutzte.

Video: Rückblick auf das Festival tanz:now (2019)

Wenn der Biss fehlt, wird es Zeit zu gehen

Trotzdem spürte auch der 68-Jährige, dass es jetzt vielleicht Zeit wäre für einen Wechsel in der Theaterleitung: „Der Biss ist bei mir nicht mehr so da. Wenn man so etwas so lange macht, dann nutzt sich das zwangsläufig ein bisschen ab“, gibt Wacker unumwunden zu.

Eine erste Nachfolgeregelung scheiterte vor sieben Jahren. Weil die ausgewählte Kandidatin frühzeitig aufgab nachdem sie in den ersten Wochen merkte, wie viel Administration in so einer Theaterleitung eigentlich steckt.

Jetzt scheint eine tragfähige Lösung gefunden zu sein. Carina Neumer und Julia Anna Sattler übernehmen ab dem 1. Januar 2023 die Leitung des Phönix Theaters. Die Übergabe soll fliessend erfolgen und bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.

Zwei Tänzerinnen übernehmen die Leitung

Die neue Co-Leitung, beide professionelle Tänzerinnen, möchte die Arbeit der letzten 40 Jahre fortführen und weiterentwickeln. Philippe Wacker ist zufrieden mit dieser Lösung; „Ich habe ein gutes Gefühl bei Carina und Julia. Die werden das sehr gut machen.“

Und was macht er ab 2023? „Puh“, sagt Philippe Wacker. Nach der Vorstellung COSMOS mit der Cie Linga am 17. Dezember um 19 Uhr findet die Verabschiedung statt. Er weiss: „Der Abschied wird nicht leicht. Wenn du ein Theater so lange geleitet hast, dann hast du natürlich eine ganz enge Bindung“, so Wacker.

Video: Tanzplan Ost gastierte im Phönixtheater (2014)

Jetzt erstmal Pause, danach sieht man weiter

Deshalb verordnet er sich eine Auszeit: „Ich werde mich erstmal eine Weile ausklinken, vielleicht ein bisschen reisen, es gibt noch keine konkreten Pläne. Sicher ist aber: Beim Phönix Theater werde ich mich erstmal zurückziehen, weil ich die neuen Leiterinnen machen lassen will. Sie brauchen den Raum, um selbst gestalten zu können“, sagt Wacker.

Aber dem Theater werde er natürlich trotzdem treu bleiben: „Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn ich als einfacher Gast im Phönix eine Aufführung anschauen kann.“

 

Der Spielort: Das Pumpenhaus

Von hier aus wurde bis 1974 Wasser aus dem See gepumpt, um Maschinen zur Kunstseiden-Produktion zu kühlen. Das Haus ist im Stil des benachbarten alten Klosters (des heutigen Hotels Feldbach) gebaut, stammt aber aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Umzug spielte der Theaterverein in Restaurant Kehlhof oder im Keller der reformierten Kirchgemeindehauses.

 

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