von Barbara Camenzind, 09.05.2023
Chorgesang und Grenzgänge
An den Rändern ist es immer spannend: Das Ensemble Cantissimo bringt mit ihrem künstlerischen Leiter Markus Utz ein spannendes Programm in den Thurgau. (Lesezeit: ca. 2 Minuten)
Für Fans der gehobenen Chormusik ist das Ensemble Cantissimo schon seit fast 30 Jahren ein Garant für klasse Konzerte. Edel in der Tongebung, mit nordisch anmutender Klarheit gestaltete Musik – und irgendwie immer etwas dem Zeitgeist entrückt. So singen die aus Österreich, Deutschland und der Schweiz stammenden Profis.
Gründer und künstlerischer Leiter Markus Utz ist, wie so viele hier in der Region, im wahrsten Sinnen des Wortes ein Grenzgänger: Als Münsterorganist in Konstanz, Professor an der Zürcher Hochschule der Künste und gefragter Experte für Chorgesang international. Schön, dass er das „Grenzen überwinden“ musikalisch aufgreift und Komponisten mitbringt, die an die Ränder gingen oder über den Rand hinauslauschten, wohin die Reise der Töne gehen könnte.
Ein Weltenbürger der damaligen Zeit
Heinrich Isaac, geboren 1450 in Flandern, wird mit Chansons aus seinem Choralis Constantinus vertreten sein, das er für das Konstanzer Domkapitel 1508 anfertigte. Utz und das Ensemble Cantissimo sind schon seit einiger Zeit dabei, das umfangreiche Werk von 375 Motetten aufzuführen und aufzunehmen. Heinrich Isaac war im wahrsten Sinne des Wortes ein Weltenbürger der damaligen Zeit, der nach langer Zeit bei den Habsburgern in Italien starb. Sein bekanntestes Chanson heisst: „Innsbruck, ich muss dich lassen.“
Max Reger (1873–1916) war ein deutscher Komponist, der im ausgehenden 19. Jahrhundert mit sich, der Welt, den Tönen und mit dem Glauben kämpfte, seine Abgründe kennenlernte und den Weg wieder hinaus fand. Mit seiner Lehrtätigkeit brachte er viele Künstler auf den Weg, unter anderem auch den in St. Gallen wirkenden Komponisten Othmar Schoeck. Die „Acht geistlichen Gesänge“ sind enorm herausfordernd zu singen, mit ihren Doppelfugen und der „neuen Schlichtheit“, wie Reger sie zurückholte, nach der romantischen Opulenz der vorangegangenen Epoche.
Urlicht und Ur-Instrument
„O Röschen rot, der Mensch liegt in grösster Pein …“ Gustav Mahlers (1860–1911) Tonsetzung dieses Gedichts aus „Des Knaben Wunderhorn“, 1882 komponiert, ist stets der Gänsehautmoment in seiner zweiten Symphonie. Der Komponist und Direktor der Wiener Hofoper überwand mit seinen Kompositionen seiltänzerisch leicht die Grenzen der Gattungen Volkslied, Spätromantik und wagte weite Ausflüge in die Welt der neuen Töne.
Mahlers Musik nimmt einem mit in eine Reise in sich hinein, nicht zu vergessen – er lebte zur Zeit Sigmund Freuds. Es kann spannend werden, wie das Ensemble Cantissimo dieser verinnerlichten, schon fast hypnotisch wirkenden Musik a cappella begegnen wird, gerade auch in der Begegnung mit den nicht minder archaisch pulsierenden Klängen des Digeridoos, dem Instrument von der anderen Seite der Erde.
Der Schweizer Frank Martin (1890 –1974) schrieb seine Messe für Doppelchor 1922, uraufgeführt wurde sie erst 1962. Der Komponist fürchtete, dass weniger seine persönliche spirituelle Auseinandersetzung wahrgenommen und mehr über seine Tonsprache diskutiert werden würde. Martin war ein Grenzgänger zwischen der tonalen Musik und der Kunst der Zwölftontechnik. Die doppelchörige Messe dieses Brückenbauers zwischen den Klangwelten gehört zu den beliebtesten Werken der gehobenen Chormusik.
Über Grenzen
13. Mai: St. Stephan, Konstanz, 20 Uhr
14. Mai: Johanneskirche Weinfelden, 17.15 Uhr
14.Juni: St. Stephan, Kreuzlingen, 19 Uhr
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