von Kira Reiter, 14.10.2015
Komm wie du bist

Unsere 18-jährige Korrespondentin hat für uns zwei Tage und Nächte mitgefeiert beim "Horstfest" zum einjährigen Bestehen des Clubs. Inklusive nächtlichem Ausflug an die legendäre Entstehungsstätte des Clubs.
Wir
Tag 1, die Sonne ist noch nicht ganz verschwunden, man könnte den Horstklub beinahe übersehen, wüsste man nicht bereits, wo man suchen muss. Man hört schon von Weitem das unverkennliche Skategeräusch, die lauten emotionalen Stimmen und die Rockmusik, die wie wilde Freiheit durch die kalte Herbstluft segelt.
"The Lovers" starteten am Freitagabend das Fest. (Fotos: zVg)
Auch der Innenhof des Horstklubs hat einen gewissen Berlinflaire. Etliche Sitzplätze, Schmutz, der wie Kunst aussieht und dann zwischen zwei Hauswänden, direkt hinter einer einladenden Baumkrone, die selbst gebaute Cherry Bowl.
Skaten mit Berlinflair
Immer noch werden letzte Ausbesserungen daran vorgenommen um perfekte Vorraussetzungen für den Contest zu schaffen, der am nächsten Tag folgen wird. Die Bowl ist ein Projekt, das zunächst nur auf die Beine gestellt wurde, weil die Skaterrampe am Konstanzer Seerhein abgebrannt wurde. Etwas altes ging verloren und 20 Freiwillige beschlossen aus dem Verlust etwas Positives zu schaffen.
Die unerschöpfliche Leidenschaft zum Skateboarding trieb sie gemeinsam dabei an, die Bowl zu etwas Großem zu machen. Nach etwa vier Wochen ist sie nun gut befahrbar und wird noch weiter perfektioniert. Auf diese Weise ist das Horst nun auch Treffpunkt der Konstanzer und Kreuzlinger Skater geworden.
Die Bowl scheint ein weiteres Symbol dafür zu sein, wie sich der Klub trotz deutscher Preise und Schweizer Erhaltungskosten über Wasser hält. Selber machen, freiwillig Dinge in die Hand nehmen, das Chaos liebevoll im Griff haben und stets bereit sein für eine verrückte Improvisation.
Auch wenn man die Räumlichkeiten betritt, die bunten Konzertplakate und die Einrichtung einer wilden, verloren geglaubten Zeit betrachtet, auch wenn man sich den Eintrittsstempel auf die Haut drücken lässt und bereit ist für den ersten Eröffnungstanz geht diese Verwunschenheit die auf allem liegt nicht verloren.
"Levin goes lightly" in action. Im Horst bleibt kein T-Shirt trocken.
Leben. Ausleben, auskosten.
11 Bands von überall her erwarten die vorfreudigen Horstklubgänger. Diesmal vor allem laute Musik. Garage, Punk-Rock und Metal. Noch steht keine Band auf der Bühne, aber die Platten drehen sich. Die Herzen füllen sich mit Zuneigung und die Köpfe mit erfinderischen Gedanken.
Für viele ist das Horst ein Zufluchtsort geworden. Hier kann man sein wie man kam, sein wie man ist. Gerne verrückt, anders, das Alter spielt ebensowenig eine Rolle wie das Erscheinungsbild. Jedes Grinsen sitzt unangemalt und ehrlich in den Gesichtern. Keine Posen und wenn dann nur ein ehrliches Schauspiel.
An diesem Ort schaut man sich in die Augen und mit etwas Glück zwischen Stirn und Hinterkopf. Vielleicht schafft man es sogar, in der rauchigen warmen Luft ein paar Hirngespinste einzufangen.
Als die erste Band zu spielen beginnt und alle ihre Körperteile umher wirft, spielt es ohnehin keine Rolle mehr woher man kam. Die tobende singende Masse verschmiltzt zu einem einzigen Wir.
Die erste unendliche Nacht
Eine Musikgruppe nach der anderen tritt vor den goldenen Lamettavorhang und tobt sich aus. Danach mischen sie sich unter die Gäste. Werden wieder zu einem von ihnen, nachdem sie kurz die Sonne in diesem kleinen Horstklubuniversum sein durften.
Draußen kühlen sich viele die benebelten Köpfe ab und auch mit dem Skaten auf der frisch ausgebesserten Bowl kann sich niemand so recht zurückhalten.
Tanzen, Diskutieren, Leben - bis es hell wird.
Platten und T-Shirts werden im Eingansbereich fleissig gekauft. Konversationen werden zu Diskussionen und Disskussionen zu Liebesbekundungen. Niemand muss etwas unausgesprochen lassen. Dies muss wohl der Grund sein, weshalb es im Klub beinahe nie zu Auseinandersetzungen kommt.
Um auch die Nachbarn nicht zu sehr in ihrer Geduld auf die Probe zu stellen, wird das Fest um etwa zwei Uhr im alten Horsthaus weitergeführt. Ein allzu mystischer Ort der nur ein paar Minuten von der Kirchstrasse, dem Standort des Horstklubs, entfernt liegt.
Dort spielen heute Abend noch drei weitere Bands. Das enge Kellergewölbe ist wie eine Musikhöhle der Gleichgesinnten. Viele Horstklubgänger würden es wohl so darstellen.
Wenn gute Musik ein Glaube wäre und Livemusik von Bands aus aller Welt heilig, dann wäre der Horstklub wohl ihre Kirche, und das Horstfest wäre so etwas wie Weihnachten.
Die Nacht wird lange ausgekostet die Persönlichkeiten sind sich einig, schlafen kann man auch noch übermorgen. Heute Nacht heißt es Leben. Ausleben, auskosten.
Luca F. (Organisator des Skatecontests) und der Gewinner Nicolas K., dem die Krone überreicht wurde. (Foto: Tobias Haussmann).
Der Contest der Ehrlichen
Am nächsten Tag um 15 Uhr beginnt die erste Session. Immer mehr beeindruckende Skater verschiedenen Alters betreten die Bowl, um zu zeigen was sie drauf haben. Der Contest kann beginnen. Am Rand und in der Baumkrone sitzen und stehen gespannte Zuschauer, die bei Stürzen aufmunternd gröhlen und auf besonders beeindruckende Tricks hoffen.
Aus dem etwas höher gelegenem Backstage-Bereich des Horstklubs streckt der Herzblut-Skater, Luca F. seinen Kopf und kommentiert das ganze. Er hat den Contest auf die Beine gestellt und somit über 20 Skater vom Bodensee aber auch aus Dortmund, Karlsruhe und anderen verwinkelten Ecken zusammengebracht.
Die wiederholte Einweihung der Cherry Bowl bleibt von Regen und schlimmeren Verletzungen verschont. Jeder der Skater gibt sein Bestes sich zu beweisen.
Beim Skaten gibt es kein Schummeln, man ist genauso gut wie man ist. Später werden gute Tricks mit Preisen belohnt, die aus dem Fenster zu ihnen herunter geworfen werden.
Von Biermarken, über T-Shirts bis zu Skateboarddecks und anderem Zubehör ist alles zu gewinnen.
Das krönende Finale findet auf der Treppe im Inneren des Clubs statt. Die drei Finalisten, Fabian S., Ole B. und Nicolas K. haben noch 15 Minuten, um sich den ersten Platz zu sichern. Schließlich gewinnt Nicolas K. den Titel des Emporer für sich. Feierlich wird ihm Krone und Zepter überreicht. Außerdem ein Cherry Schnaps, ein T-Shirt, etlicher Kram und vor allem ein Sack Beton für den Bau an der geliebten Horstklub-Cherrybowl.
Ein Ausklingen
Natürlich muss der Sieg gefeiert werden. Und die Bands spielen dem König die Siegesmelodien. Auch diese Nacht bleibt magisch und endet abermals in der zweiten Kulisse, dem Ort an dem alles begann dem ehemaligen Horst, der Horsthaus Kellerbar.
Erst als alle Töne gespielt sind, alle Becher gelehrt, alle Gliedmaßen müde sind, machen sich all die müden Gestalten auf den Heimweg.
Super secret Basement Show with "Brain tilt" am Samstagabend.
Manche lassen sich zum schlafen auch im Horstklub nieder. Die gemütliche friedliche Sonntagssonne geht langsam auf und treibt die wilden Seelen in ihre Betten.
Sie werden wohl vom nächsten Horstkluberlebnis träumen. Vielleicht ein bisschen Klaviermusik? Oder etwas Poesie? Vielleicht doch wieder dröhnender Rock?
Oder einfach ein paar alte Platten und gute Gespräche? Auf jeden Fall werden es keine Alpträume sein. Der Horstklub ist für Konstanzer und für die Stadt Kreuzlingen ein wichtiger Kulturtreffpunkt.
Alle hoffen nur freudig auf ein „Nächstes-Jahr-Wieder".
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